Lernen fürs Leben
NETZ Zeitschrift 02-2017 | Bildung wird häufig als Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft bezeichnet. Was genau bedeutet das eigentlich? In der Schule lernen wir zuerst Lesen, Schreiben und Rechnen. Später kommen Naturwissenschaften, Kunst und Politik hinzu. Was wir lernen, bildet die Grundlage dafür, die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen und im Leben zu bestehen. Wer nicht rechnen kann, weiß nicht, ob sein Wechselgeld beim Einkaufen stimmt. Wer keinen Sozialkundeunterricht hatte, kennt seine Rechte als Bürger nicht. Bildung bedeutet außerdem, Hintergründe der eigenen Kultur und Traditionen zu verstehen und dadurch die Identität zu festigen.
Über Unterrichtsinhalte hinaus macht Schule noch mehr mit uns: Erstmals lernen wir, außerhalb der Familie in einer Gruppe zusammenzuleben – ein sozialer Raum mit unterschiedlichen Charakteren und Dynamiken. Dieses Miteinander zeigt uns, dass es verschiedene Sichtweisen, Bedürfnisse und Ausdrucksformen gibt, mit denen wir zusammenleben.
Wie sollte sich Schule also im Idealfall gestalten, wenn sie einen solch prägenden Einfluss auf uns hat und wir einen Großteil unserer Kindheit und Jugend dort verbringen? Und wer darf darüber entscheiden?
In Bangladesch ist inzwischen eine große Debatte darum entbrannt. Nachdem staatliche Behörden Texte aus Schulbüchern gestrichen hatten – vermutlich auf politischen Druck von religiös motivierten Interessengruppen – fragen sich die Menschen, welche weiteren Entwicklungen diese Art von Zensur provozieren kann und welche Folgen das für künftige Generationen hat. Intellektuelle, Aktivisten, Eltern und Schulkinder sind besorgt. Der 19-jährige Azmin Azran, selbst betroffen, hat seine Gedanken dazu auf den Punkt gebracht (Seite 5).
Die Debatte bietet Anlass, zu analysieren, wie es aktuell um das Bildungssystem Bangladeschs steht. Prof. Dr. Salimullah Khan zeigt im Gespräch ab Seite 8 auf, warum „koloniale Bildung“ in Bangladesch verankert ist und was sich ändern muss. Bildungsexpertin Manjusree Mitra beschäftigt sich mit modernen Bildungsansätzen und erklärt ab Seite 12, wieso es wichtig ist, die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer neu zu denken. Im Interview spricht Projektleiterin Kerina Soren über die Situation von Kindern aus indigenen Gemeinschaften und deren Schulalltag (Seite 15).
Herausforderungen gibt es in Bangladesch zweifelsohne. Dass der Staat sich auf NGOs mit ihren non-formalen Schulen verlässt und dem eigenen Bildungsauftrag nicht nachkommt, ist ein großer Kritikpunkt. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die sich engagieren und Bildung in Bangladesch kreativ voranbringen: Lehrkräfte, Sozialarbeiter und Vertreter der Zivilgesellschaft haben vieles bewegt – und werden weiter dranbleiben.
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Sven Wagner
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