Startseite
Jetzt spenden

„Es ist so absurd“ Wie politische Lobbyarbeit das Lernen beeinflussen kann

Korankinder-4.jpg

Textänderungen in Schulbüchern, die mutmaßlich auf den Druck politisch-religiös motivierter Interessengruppen zurückzuführen sind, haben in Bangladesch Anfang 2017 große Aufregung ausgelöst (siehe Bericht Textbuchänderungen in Bangladesch). Der 19-jährige Schüler Azmin Azran beschreibt aus seiner Perspektive, was die Änderungen bedeuten und warum die Schüler die Leidtragenden sind. Der Text ist im Original auf der Webseite der größten englischsprachigen Zeitung Bangladeschs, The Daily Star, erschienen.

Text: Azmin Azran

In lokalen Medien kamen die Meldungen über Änderungen in den neuen Schulbüchern der staatlichen Schulbehörden für das Schuljahr 2017 zuerst auf. Die vorgenommenen Änderungen – mit unverkennbaren Ähnlichkeiten zu den Forderungen konservativer Interessengruppen – ärgern Pädagogen im ganzen Land. Doch ein Bericht der New York Times, der im Anschluss die Runde machte, zeigt genau, welche Empfindlichkeiten sich bei den Forderungen nach Änderungen und schließlich deren Umsetzung beimischten. Das zeichnet ein tristes Bild besonders für einen jungen Menschen wie mich, der eben nicht davon spricht, dass Bangladesch bei jedem Schritt nach vorn immer auch zwei zurückgeht, so wie es viele Leute glauben. Zu den Änderungen, über die nun jeder genauestens Bescheid weiß, zählen auch die Streichung von Kapiteln aus dem Bengalisch-Buch der zweiten Klassenstufe. Nach Meinung der konservativen Interessengruppen vermitteln diese „atheistische Werte“. Ein Kapitel, das entfernt wurde, war ein Bericht von Sanjib Chandra Chattopadhyay, Bruder des berühmten Schriftstellers Bankim Chandra Chattopadhyay. Der Text beschreibt Sanjibs Reise in eine kleine Stadt namens Palamaou im indischen Bundesstaat Bihar. Und er entstammt einem Buch, das zu den ersten modernen Reiseberichten zählt, die je auf Bengalisch erschienen. Trotzdem wird dem Werk sein literarischer Wert einfach abgesprochen – weil Behörden sich am Autor stören.

Die Schüler verlieren

Ein weiteres Kapitel, das in einem Textbuch für eine andere Klassenstufe entfernt wurde, ist ein verkürzter Auszug aus dem Gedicht Annanda Mangal des Poeten Bharatchandra Ray. Das Genre Mongolkabya, zu denen das Gedicht zählt, ist ein prägender Hauptbestandteil der Geschichte der bengalischen Literatur. Dieses berühmte Werk in den Unterricht einzubeziehen ist essenziell für das Verständnis unserer eigenen Sprache. Sogar ein Lied des berühmten bengalischen Denkers und Philosophen Lalon über den Ansporn, immer das Beste aus sich zu machen, hat es nicht geschafft. Die Leute, die für diese Änderungen verantwortlich sind, waren entweder getrieben von äußeren Einflüssen. Oder – noch schlimmer – sie verstanden nicht, warum diese Werke entscheidend sind für ein Bengalisch-Textbuch der Sekundarstufe. Doch so oder so sind die Einzigen, die verlieren, die Schüler.

In Lehrbüchern für Koranschulen, die zur gleichen Zeit an die dortigen jungen und leicht beeinflussbaren Schüler ausgegeben wurden, wurden Dialoge zwischen Mädchen und Jungen gänzlich ausgelassen. Nichtmuslimische Namen wurden in muslimische Namen geändert und die Erwähnung der weiblichen Periode wurde aus den Büchern ebenso entfernt. Da bedarf es kaum weiteren Erklärungen, warum und wie absurd das Ganze ist.

Gemeinsamen Unterricht abschaffen?

Der New-York-Times-Bericht deutet auf weitere Forderungen der konservativen Interessengruppen hin. Demnach sollen jegliche Unterrichtsfächer, in denen Kinder lernen, wie man Lebewesen zeichnet, aus den Lehrplänen gestrichen werden. Bilder von Frauen und Mädchen, die sich körperlich betätigen oder Sport machen, sollen verschwinden – weil das Sachen seien, die „Frauen nicht machen können“. Das ultimative Ziel der Interessengruppen ist es jedoch, den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen nach der 5. Klassenstufe abzuschaffen. Denn dies ermutige die Heranwachsenden angeblich dazu, Sex vor der Ehe zu haben. Solche Forderungen würde im Normalfall niemand ernst nehmen. Doch angesichts der nun durchgesetzten Änderungen frage ich mich, wie weit das Ganze nun gehen kann. Und bei diesem Gedanken schaudert es mir.

Es ist schockierend, dass solch bigotte Ansichten überhaupt von einem offiziellen Ministerium eines Staates vorgestellt wurden, der auf Grundlage der Gleichberechtigung gegründet wurde. Ich bin nur ein 19-jähriger Junge, der seinen Schulabschluss noch vor sich hat und es gibt gewiss andere Leute, die es besser wissen.

Aber ich kann aus voller Überzeugung sagen: Die Unterdrückung von Minderheiten in unserem Land und die Trennung von Mädchen und Jungen – anstatt ein gutes soziales und religiöses Miteinander zu fördern – werfen unser Land zurück in eine Lage, aus der zu entkommen wir immer und immer wieder gekämpft haben.

Übersetzung: Karl Tschebotarew

Azmin Azran ist ein 19-jähriger Schüler aus Bangladesch, der vor dem Abschluss der weiterführenden Schule steht. Dieser Beitrag erschien in der Sonderausgabe 2017 "Lernen fürs Leben" der Bangladesch-Zeitschrift NETZ zum Projekt Jedes Kind braucht Bildung Die Zeitschrift können Sie als PDF downloaden oder als Drucksache bei uns anfordern.

Mehr BeiträgeAlle Beiträge

Ihre Spende kommt an.

Alle Projekte ansehen
Jetzt spenden

Sichere SSL-Verbindung