Bereits seit Mitte der 1970er-Jahre hat sich das Mikrofinanzsystem in Bangladesch und Indien etabliert und galt damals als kleine Revolution: Menschen bekamen erstmals die Möglichkeit, sich von Entwicklungsorganisationen kurzfristig Geld zu leihen, ohne bei den oft dubiosen lokalen Mittelsmännern mit Zinsraten bis zu 250 Prozent in Abhängigkeit zu geraten. Seitdem sind Mikrokredite für viele Organisationen zum festen und sogar Haupt-Bestandteil ihres Geschäfts geworden.
Doch auch bei diesen muss die Arbeit Gewinn abwerfen, um die Existenz zu sichern. Demzufolge werden Mikrokredite vornehmlich an Menschen vergeben, die zumindest im geringen Maße rückzahlungsfähig sind. So bleibt das Risiko geringer. Ein großes Problem dabei: Nicht immer können die Betroffenen ihre Mikrokredite produktiv einsetzen. Sie nutzen sie stattdessen für Essen und den Lebensunterhalt – und brauchen das Geld somit kurzfristig auf. Die Folge: Sie müssen immer neues Geld leihen und werden in die Verschuldung getrieben. Menschen, die bereits in extremer Armut leben und weder Besitz noch Einkommen haben, sind dagegen von vornherein nicht in der Lage Zinsbeträge zurückzuzahlen, egal wie gering diese sind. Sie gelten daher als nicht-kreditwürdig und bekommen gar nicht erst die Chance auf den Schnellkredit der Organisationen.
Für NETZ und seine lokalen Partner steht die Zusammenarbeit mit genau diesen Menschen im Fokus: alleinstehende Frauen, indigene Gemeinschaften, Menschen mit Behinderung sowie Familien, die unter chonischer Magelernährung leiden und deren durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen mit täglich weniger als 30 Eurocent weit unterhalb der internationalen Armutsgrenze liegt. Weil Rückzahlungen für die Betroffenen aufgrund ihrer Lebenssituation insbesondere zu Beginn der Zusammenarbeit nicht machbar sind, haben NETZ und Partner den Ansatz des Start-„Kapitals“ entwickelt. Das bedeutet: Die Betroffenen erhalten Produktivgüter – zumeist Tiere oder landwirtschaftliche Güter –, mit denen sie sich eine wirtschaftliche Existenz aufbauen können. Dafür müssen sie nichts zurückzahlen und haben somit weder Bringschuld noch Zeitdruck – sodass sie sich ganz auf die nachhaltige Entwicklung ihres Zuhauses konzentrieren können.
Wie die Existenzgründung ohne Mikrokredite funktioniert, lesen Sie hier (englisch).