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Die Klimakrise als große Herausforderung und wie Familien in Nordbangladesch Strategien entwickeln zum Schutz vor Fluten, Kälte und Bodenerosion.
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Die Klimakrise als große Herausforderung

Das Projekt „Ein Leben lang genug Reis“ unterstützt Familien in Nord-Bangladesch, der Klimakrise zu widerstehen:

Wenn von den Auswirkungen der Klimakrise in Bangladesch die Rede ist, gilt das Augenmerk bisher dem Anstieg des Meeresspiegels im Golf von Bengalen, durch den die Küstenregion unbewohnbar zu werden droht. Die Tragweite der Veränderungen im Nordwesten und Norden rücken erst NETZ und seine Partner in den Fokus der Öffentlichkeit. Hitzeperioden im Sommer, Dürre, absinkendes Grundwasser sind laut den Klimaforschern des „Bangladesh Centre for Advanced Studies“ ebenso Bestandteil des Klimawandels wie die Verdichtung des Monsuns mit extremen Niederschlägen und schweren Fluten. Zudem haben seit einigen Jahren Kältewellen die Region im Winter fest im Griff. Am stärksten betroffen sind Menschen, die nichts zum Klimawandel beitragen – wie Sabina Khatun, Roushana Rana und Nazma Begum. Sie selbst entwickeln nun ihre Strategien zum Schutz vor Fluten, Kälte und Bodenerosion.

Von Peter Dietzel

Im Haus von Sabina Khatun steht Wasser. Wadentief. Still. Grünlich-trüb. Fast die Hälfte der Fünf-Quadratmeter-Einraumbehausung füllt das Bett aus, auf dem sie sitzt. Es ist Anfang September, Spätmonsun in Bangladesch. „Seit zwei Monaten“, antwortet Sabina Khatun auf die Frage, wie lange ihre Schlafstätte bereits im Wasser stehe. Sie lacht dabei. Zugleich hat ihr Gesichtsausdruck etwas Ernstes. „Früher gab es hier kein Hochwasser“, berichtet sie, „doch seit 2017 jedes Jahr“.

Familie Khatun und die anderen Bewohnerïnnen des Dorfes Bhabanipur im nordwestlichen Distrikt Naogaon gehören zu den Menschen, die unterhalb der unteren Armutsgrenze leben. 13 Millionen sind es in Bangladesch. Das entspricht der Einwohnerzahl der sieben Bundesländer Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Saarland, Sachsen-Anhalt, und Schleswig-Holstein zusammen.

Wetterextreme im Nordwesten ...

„Der Monsun hat sich verändert. Er ist kürzer geworden, bringt aber in dieser Zeit die gleichen Regenmassen“, sagt Dr. Dwijen Mallik, Wissenschaftler am „Bangladesh Centre for Advanced Studies“, kurz BCAS, mit Sitz in Dhaka und damit Mitarbeiter eines Thinktanks, der sich mit den Folgen des Klimawandels befasst. In Sabina Khatuns Siedlung kann das Wasser nicht schnell abfließen. Zwei Handbreit über der Wasseroberfläche befindet sich ihr Schlafplatz.

Ihr Mann meint: „Ist doch praktisch. Da können wir beim Aufstehen gleich die Füße waschen.“ Auf die verdutzen Blicke der Umstehenden hin ergänzt er: „Ich würde ja traurig oder verrückt werden, wenn ich klagen würde. Ich lache lieber und mache Scherze.“ Auch mit dieser Strategie kann man den Folgen der Klimakrise trotzen – selbst wenn man nur zwei Euro am Tag für harte Plackerei auf den Reisfeldern verdient und zusammengerechnet vier Monate im Jahr arbeitslos ist.

Die Bewohnerïnnen anderer Dörfer im Distrikt Naogaon berichten gleichermaßen von den Konsequenzen der Wetterveränderungen. In Ataikula etwa erläutern sie: „Früher kannten wir keine Überschwemmungen. Jetzt zerstören sie während der Regenzeit die Hütten der Ärmsten und die Menschen siedeln für ein paar Monate auf der Straße, die zwei Meter höher liegt“. Im Sommer, ehe der Monsun einsetzt, steigen die Temperaturen auf Werte, die jegliche körperliche Arbeit unmöglich machen – mit gravierenden Konsequenzen für alle Familien, die auf tägliche Erwerbstätigkeit angewiesen sind. Im Winter fällt das Thermometer in manchen Nächten auf unter drei Grad – für subtropische Verhältnisse bitterkalt. Costantina Hasdak, Mitglied im Gemeinderat von Deopara in Rajshahi, erzählt: „Manchmal holen wir morgens tote Kinder und alte Menschen aus den Häusern der Familien, die so arm sind, dass sie auf dem Boden schlafen“.

Projektupdates "Ein Leben lang genug Reis"Mehr Updates

Die Menschen am Brahmaputra haben einen der kleinsten ökologischen Fußabdrücke weltweit - und widerstehen den Auswirkungen des Klimawandels in ihrem Lebensraum. Das Foto entstand während der Flut 2016.

… und entlang der Flüsse im Norden

Infolge der Verdichtung des Monsuns nehmen die Regenfälle an den Hängen des Himalajas sturzflutartige Ausmaße an und führen vermehrt zu Überflutungen im Gebiet des Brahmaputras. Der in Tibet entspringende Fluss gehört zu den längsten Strömen der Erde und hat, wenn er von Indien kommend in das Staatsgebiet von Bangladesch eintritt, eine Breite von 15 Kilometern. Riesige Landstriche der beiden nördlichen Distrikte Gaibandha und Kurigram stehen inzwischen Jahr für Jahr unter Wasser.

Reiche Familien oder Angehörige der Mittelschicht leben nicht entlang des Brahmaputra. Wer irgendwie ein tägliches Auskommen hat, lebt auf höher gelegenen und damit geschützteren Flächen. Die Ärmsten jedoch, die kein eigenes Land besitzen, haben dieses Privileg nicht, ihre Siedlungen sind gnadenlos jedem Hochwasser ausgesetzt. Was dies während der Überschwemmung im Jahr 2017 bedeutete, berichtet Roushana Rana, 28, aus Kurigram: „Das Wasser stand eineinhalb Meter hoch in unserem Wellblech-Haus. Mein Mann band unsere beiden Töchter an Bäumen fest, damit sie von der Flut nicht fortgerissen wurden“. Ihre beiden einzigen Ziegen verlor die Familie in den Wassermassen. Die Bewohner der Flussinseln und Ufer sind es gewohnt, mit Wetterextremen zu leben. Doch ihr traditionelles Wissen reicht nicht aus, um den Auswirkungen des Klimawandels zu trotzen. Roushana Rana erzählt: „Früher sahen wir an den Wolken und Wellen, wann der Regen zunimmt und der Brahmaputra steigt. Dann packten wir unser Hab und Gut zusammen, verluden es zusammen mit unseren Wellblech-Dächern auf die Boote und brachten alles auf höher gelegenen Landflächen in Sicherheit. Jetzt regnet es so unfassbar heftig und die Wassermassen kommen mit solch einer Wucht und Geschwindigkeit, dass wir bei der Flut gerade noch unser Leben retten können.“

Dorfversammlung im Projekt Ein Leben lang genug Reis
Auf einer Dorfversammlung besprechen die Mensch, wer an dem Projekt "Ein Leben lang genug Reis" teilnimmt. Foto: Noor Ahmed Gelal
Zur Vorsorge für die nächste Flut hat sich Begum Khatun (68) aus Kurigram einen Kürbis zurückgelegt, der zwei Jahre lang haltbar ist. Foto: Noor Ahmed Gelal

Kleinster Fußabdruck – größte Bürde

Laut BCAS haben die Wetterextreme erheblichen Einfluss auf die Sicherstellung der landwirtschaftlichen Produktion und somit auf die Haupteinkommensquellen. Hierunter leiden vor allem Menschen, die unterhalb der unteren Armutsgrenze leben – und aufgrund ihres geringen Konsums einen vernachlässigbar kleinen ökologischen Fußabdruck aufweisen. Zugleich verfügen die Menschen über die geringsten Widerstandskräfte und Ressourcen, um den Wetterextremen und ihren Auswirkungen zu trotzen. Sie sind als Tagelöhner vom Ernteerfolg größerer landwirtschaftlicher Betriebe abhängig. Das durchschnittliche pro-Kopf-Einkommen in diesen Haushalten beträgt weniger als 50 Taka (rund 50 Eurocent) am Tag. Konkret bedeutet dies, dass die Familien höchstens zweimal täglich essen können, in geringer Menge und Qualität. Bei Kleinkindern führt dies zu Unterernährung mit langfristigen Schäden. Außerhalb der Landwirtschaft gibt es kaum Erwerbsmöglichkeiten. Die Familien haben keine eigenen Felder, die sie bebauen könnten, keine Tiere, kein sonstiges Kapital.

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Monira Begum aus dem NETZ-Projekt Ein Leben lang genug Reis

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bekommt eine Familie das Startkapital, um sich dauerhaft ein Einkommen zu erwirtschaften. Zur Überwindung des Hungers.

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Neue Strategien

Sabina Khatun möchte das Land aufschütten, auf dem sie wohnt, als Schutz vor Fluten: „Dann kann ich hinter dem Haus auch Gemüse anbauen“. Der Landbesitzer sei damit einverstanden, sagt sie. Zudem möchte sie mit ihrem Mann Ziegen züchten. Wie Familie Khatun haben die meisten Menschen Ideen, wie sie der Misere trotzen könnten. Doch es mangelt ihnen an Ressourcen, an Zugang zu Know-how, an einer Interessenvertretung. In ihrer Region wollen die meisten Menschen bleiben. Eher versetzen sie ihr Haus zwanzigmal in ihrem Leben bei jeder Fluss-Erosion, als dass sie in die Slums der Großstädte ziehen. Erst wenn ihre angestammte Heimat keine Sicherheit und kein ausreichendes Einkommen mehr bietet, entscheiden sie sich zu gehen.

Seit 2017 passt NETZ das bewährte, gemeinsam mit den Menschen entwickelte Projektkonzept Ein Leben lang genug Reis an die neuen Herausforderungen im Norden an. Frauen, die in Bangladesch traditionell benachteiligt sind, und häufig Rechtsverletzungen wie Kinder-Ehen oder häuslicher Gewalt ausgesetzt, bleiben die Hauptakteurinnen. In den Situationsanalysen zu Projektbeginn, welche die Familien gemeinsam mit der zuständigen Dorfentwicklungshelferin durchführen, werden nun auch die Anfälligkeit, Unsicherheit und Schutzlosigkeit aufgegriffen, denen die Menschen aufgrund der Wetterveränderungen ausgesetzt sind.

Schritt für Schritt

Basierend auf ihren Erfahrungen, Stärken und Potenzialen erstellen die Familien kleinschrittige Aktionspläne, sogenannte Familienentwicklungspläne. Darauf aufbauend erhalten die Frauen nicht-rückzahlbares Startkapital. Wer etwa Kenntnisse in der Bambusverarbeitung hat, erhält Werkzeug und Rohmaterial und vermarktet später Körbe. Wer bisher das Vieh anderer Dorfbewohner gehütet hat, bekommt seine eigenen Tiere und verkauft deren Milch, Eier oder Jungtiere. Zur Diversifizierung ihrer Einkommensquellen erhalten die Teilnehmerinnen sowohl Produktivgüter wie Hennen oder Spinat-Samen, die bereits nach wenigen Tagen den Speiseplan verbessern. Ebenso erhalten sie Haupt-Produktivgüter wie Ziegen oder Pachtland, welche langfristig Gewinn abwerfen. Die Frauen berichten begeistert vom ersten Besuch des Viehmarkts in ihrem Leben, wenn sie dort zusammen mit Projekt-Mitarbeitern Schafe oder eine Kuh erworben haben, eine Tätigkeit, die in Bangladesch sonst in der Regel den Männern vorbehalten ist.

In Schulungen lernen die Frauen effektive Methoden für das Management ihres Kleinunternehmens. Dazu zählen Gartenbau und Tierhaltung in Verbindung mit Anpassungsmaßnahmen gegenüber klimabedingten Gefahren wie Flut, Dürre, Schädlingen oder Tierkrankheiten. Innerhalb von drei Jahren verdreifachen die Familien ihr Einkommen, belegt die systematische Datenerhebung, die unabhängige Gutachter bestätigen. Die 25-jährige Nazma Begum zeigt, wie es läuft: „Mit der Kuh, die ich für 115 Euro vor einem Jahr aus dem Projekt bekam, habe ich bereits 210 Euro Gewinn gemacht“, berichtete sie, und weiter: „Auf der Schulung habe ich Kompostierung gelernt. Jetzt baue ich vier Gemüsesorten im Beet an und darüber Kürbisse“. Weiter oben tragen zwei Papaya-Stauden die ersten Früchte. Auf drei Anbau-Ebenen nutzt sie das kleine Stück Land hinter ihrem Wellblechhaus. Bei Saatgut und Setzlingen achtet sie auf klimaresistente Sorten und biologischen Insektenschutz stellt sie selbst her.

Traditionelles und aktuelles Wissen

In flutgefährdeten Dörfern schütten die Familien Erdschichten über den höchsten je gemessenen Hochwasserpegel auf und errichten darauf ihre Häuser neu. An den Böschungen pflanzen sie Bäume. Dabei tauschen sie traditionelles Wissen aus, welche Pflanzen rasch mit weitverzweigtem Wurzelwerk den Boden festigen ohne von Ziegen abgefressen zu werden und welche Tiefwurzler auch bei stärkerer Strömung Schutz vor Erosion bieten. Nachhaltigkeit ist nur mit lokalem Wissen zu sichern. Familien, welche die erforderlichen Ausgaben nicht aus eigener Kraft stemmen können, erhalten aus Projektmitteln eine Unterstützung.

Projektmitarbeiterïnnen kümmern sich um den Katastrophenschutz. Die Frauen nehmen an Schulungen teil und stellen in den darauffolgenden Gruppentreffen eigene Aktions- und Vorsorgepläne auf. Zum Beispiel bauen sie sich einen kleinen tragbaren Herd, auf dem sie auch bei Hochwasser kochen können, deponieren einen Reisvorrat in einem Gefäß, das vom Dachgebälk baumelt, oder erfahren von denÄlteren im Dorf, welche Kürbissorte besonders lang haltbar ist und legen ein paar Früchte für Notzeiten zurück. „Bei früheren Fluten haben wir nie Informationen aus dem staatlichen Frühwarnsystem erhalten“, berichten die Mitglieder der Dorfgruppe auf der Flussinsel Balarampur im Brahmaputra, „für die Gemeindeverwaltung sind wir zu abgelegen, und den Ratsmitgliedern ist egal, was hier passiert. Hier wohnen nur arme Leute.“ Nazma Begum ist Sprecherin der Gruppe: „Jetzt sorgen wir dafür, dass die Informationen bei uns ankommen. 60 Frauen aus unserem Dorf sind gemeinsam zum Bürgermeister gegangen“.

In jeder Gemeinde, die erreicht wird, haben die Projektmitarbeiterïnnen ein Katastrophenschutz-Komitee initiiert. Die ehrenamtlichen Katstrophenhelferïnnen erhalten Schulungen sowie fortlaufend Informationen aus dem staatlichen satellitenbasierten Frühwarnsystem. Im Ernstfall gehen sie mit Megaphon durch die Dörfern und informieren die Bevölkerung, koordinieren Evakuationen in Schutzunterkünfte und sorgen zum Beispiel dafür, dass die Gemeinde Trinkwasser bereitstellt.

Die Aufschüttung von Land schützt vor künftigen Überflutungen. Foto: Noor Ahmed Gelal

Politisches Empowerment

Die Dorfhelferïnnen stärken das Selbstvertrauen der Frauen in die eigenen Fähigkeiten. Sie leiten die Selbsthilfeorganisationen an, für ihre Rechte gegenüber öffentlichen Stellen einzutreten. „Mit unserer Gruppen haben wir bei der Gemeindeverwaltung durchgesetzt, dass ältere Menschen in unseren Dörfern, die nicht mehr arbeiten können, jetzt ihre Rente erhalten“, erklärt Nazma Begum. Früher wäre diese nur gegen Bestechung ausgezahlt worden, berichten die Witwen innerhalb der Gruppe, das Geld dafür hätten sie nicht aufbringen können. Auch den tiermedizinischen Dienst und die Anbauberatung der Landwirtschaftsbehörde nehmen die Frauen nun in Anspruch. Im Kontext des Klimawandels stellen diese staatlichen Leistungen ein wichtiges Instrument zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität dar.

Das Projekt stärkt die ökonomischen und sozialen Widerstandkräfte und die Anpassungsfähigkeit benachteiligter Menschen gegenüber klimabedingten Gefahren und Naturkatastrophen. Größere, zum Beispiel infrastrukturelle Veränderungen kann das Projekt nicht leisten. Partiell gelingt es den Akteurinnen, auf lokaler Ebene gesellschaftliche Machtverhältnisse zu perforieren. Doch um Asymmetrien beim Zugang zu Ressourcen entgegenzutreten, etwa zu staatlichem Land, sind ein langer Atem und eine wesentlich breitere Unterstützung erforderlich. NETZ und seine Partner schaffen jedoch Räume, dass die Menschen ihre Anliegen auf nationaler Ebene artikulieren, etwa an einem Runden Tisch im Pressehaus der bedeutendsten englischsprachigen Tageszeitung „The Daily Star“.

Mami Begum

Unser größter Wunsch

ist es, mehr zu lernen, um mehr tun zu können. Wir wollen auf eigenen Füßen stehen. Wir brauchen Selbstständigkeit und Stärke hier an diesem Ort. Es gibt zu wenige, die gut ausgebildet sind, nicht mal einen Schulabschluss haben viele. Also finden sie keine Arbeit. Ich möchte, dass meine Kinder später zur Schule gehen.

Mami Begum, Vorsitzende der Jamuna-Frauenguppe im Dorf Namanopur/Naogaon
Interview mit Mami
Mami Begum

Grüner Klimafonds: an den Menschen vorbei

Das Leben der Menschen im Norden Bangladeschs und die Ergebnisse der Weltklimakonferenzen sind eng miteinander verknüpft. Um Folgen der globalen Erwärmung in Entwicklungsländern abzumildern oder zu verhindern, haben 194 Staaten auf der Klimakonferenz 2010 in Cancún den milliardenschweren Grünen Klimafonds der Vereinten Nationen gegründet. Doch es ist nicht erkennbar, dass von den Geldern für Projekte zur Anpassung an den Klimawandel tatsächlich etwas in den betroffenen Regionen Bangladeschs ankommt. In der Praxis lässt sich nur feststellen, dass Regierungsinstitutionen aus dem Norden wie aus dem Süden hohe Summen aus diesem Fonds erhalten und Beraterfirmen hochdotierte Aufträge. Organisationen, welche die Interessen der am stärksten benachteiligten Menschen im Süden vertreten und an deren Seite arbeiten, sind in die Arbeit des Grünen Klimafonds nicht einbezogen. Auf internationaler Ebene muss noch sehr viel passieren, dass die Menschen, die existentiell von der Klimakrise bedroht sind, an den Entscheidungen teilhaben, die sie selbst betreffen.Alle Institutionen, die zu Anpassungsmaßnahmen arbeiten, sind in erster Linie den am stärksten betroffenen Menschen gegenüber rechenschaftspflichtig.

Die Industrieländer sind Hauptverursacher der menschengemachten Klimakrise. Ihre Aufgabe ist es, sich für weitgreifenden Klimaschutz einzusetzen und radikal den Ausstoß an Treibhausgasen zu senken. Jedes Zehntelgrad weniger Erderhitzung zählt – vor allem für die Menschen, die im globalen Maßstab den kleinsten ökologischen Fußabdruck haben, jedoch die Lasten der globalen Wetterveränderungen am eigenen Leib verspüren.

Für diese Menschen zählt auch, wie solidarisch privilegiertere Menschen mit ihnen sind, damit sie den Folgen der Klimakrise widerstehen können. Rohima Bin, 32, die sich in einer der Selbsthilfeorganisationen in Kurigram engagiert, drückt es so aus: „Ich empfinde es als respektlos uns gegenüber, wenn Katastrophenberichterstatter bei jeder Flut in unsere Dörfer einfallen, wir jedoch mit unseren Anstrengungen ums tägliche Überleben alleine gelassen werden.“

Der Autor ist seit 1991 in der Entwicklungszusammenarbeit mit Bangladesch tätig. Dieser Beitrag erschien in der Sonderausgabe 2020 der Bangladesch-Zeitschrift NETZ zum Projekt "Ein Leben lang genug Reis" Die Zeitschrift können Sie als PDF downloaden oder als Drucksache bei uns anfordern.