"Ich bin nicht wütend auf andere Länder"
Wer über Klimawandel redet, spricht nicht nur vom Wetter sondern auch über Gerechtigkeit: Konsumverhalten, globale Ungleichverteilung oder Frauenrechte sind wichtige Themen, die untrennbar mit der Klimadiskussion verbunden sind. Mami Begum weiß das. Die Vorsitzende der Jamuna-Frauenguppe im Dorf Namanopur im Distrikt Naogaon arbeitet zu genau jenen Themen – und ist zusammen mit ihren Mitstreiterinnen direkt betroffen.
Interview von Anna Dermann und Zakir Hossain
NETZ: Lassen Sie uns über den Klimawandel und die Folgen reden. Die Mitglieder Ihrer Frauengruppe sagen, dass es hier immer öfter Überschwemmungen gibt, manchmal regnet es viel, manchmal ist es sehr kalt.
Mami: Ja, das ist wahr. Durch Hochwasser haben wir verschiedene Probleme: Wir müssen unser Zuhause zeitweise verlassen, wir können nicht regelmäßig kochen und essen. Die Ernten auf unseren Feldern werden durch Fluten zerstört. Normalerweise verdienen wir Geld mit der Landwirtschaft und können Nahrungsmittel für unser tägliches Leben kaufen. Aber das ist bei Hochwasser nicht möglich, wir haben es sehr schwer.
NETZ: Welche Probleme sind noch mit dem Klimawandel verbunden, die hier bei Ihnen auftreten?
Mami: Es gibt Dürre, Überschwemmungen und zusätzliche Niederschläge. Während des Monsuns wird es extrem kühl, und im Winter manchmal bis zu fünf Grad kalt. Im Sommer folgen dagegen extrem hohe Temperaturen. Ich habe als Teilnehmerin des NETZ-Projekts ein Training in Katastrophenvorsorge erhalten: Im Falle einer Überschwemmung packen wir alle unsere Sachen und bringen sie zum nächstgelegenen Damm. Steigt der Wasserspiegel über den Staupegel, bauen wir Plattformen aus Bambus. Und wir bereiten Sandsäcke vor, um den Damm zu schützen. Bricht dieser aber, flutet das Wasser unsere Felder. Deshalb versuchen wir vor allem, den Damm zu schützen.
NETZ: Gab es in diesem Gebiet früher schon Überschwemmungen?
Mami: Ja, Namanopur wird jedes Jahr auf natürliche Weise geflutet. Doch bislang war es nie so intensiv, floss das Wasser nie über das Ernteland. Nun ist das während der Regenzeit anders. Wenn wir Gemüse anbauen, wird auch dieses überflutet.
NETZ: Warum hat sich das geändert?
Mami: Wegen des Wetterumschwungs. Es gibt sechs Jahreszeiten in Bangladesch. Nach einer Saison kommt die nächste. Das Wetter wechselt normalerweise je nach Jahreszeit. Nun ändert sich das Wetter aber drastisch und passt nicht mehr zum landwirtschaftlichen Rhythmus. Besonders hart ist es im Oktober und November, in der Vorerntezeit. Zu diesem Zeitpunkt könnten wir auf viele Schwierigkeiten stoßen, weil es weniger Arbeit und weniger Einkommen gibt. Und wir haben auch Schwierigkeiten bei der Aufzucht unserer Tiere.
NETZ: Ein anderer möglicher Grund, warum es in dieser Region jetzt viele Überschwemmungen gibt, ist Wasser aus Indien. In der Ost-Himalayaregion gab es früher viele Bäume, inzwischen wurden viele abgeholzt. Deshalb kann viel Winter-Tauwasser und Regenwasser so schnell nach Bangladesch durchfließen.
Mami: Ja, wir haben das im Fernsehen gesehen und von verschiedenen Leuten gehört, dass Wasser aus Indien kommt. Deshalb gibt es immer wieder Überschwemmungen. In Indien gibt es den Farakka-Staudamm. Wenn sie dort Wasser freisetzen, dann haben wir eine Flut in Bangladesch. Und das Eis im Himalaya-Gebirge schmilzt, wenn es dort regnet. Dieses Wasser kommt zusätzlich hierher.
NETZ: Es gibt noch mehr Gründe für Klimaextreme, sagen Wissenschaftler: Autos und Flugzeugen setzen durch ihren Betrieb Treibhaus-Gase frei.
Mami: Dass Abgase aus Autos und Flugzeugen kommen und die Probleme verursachen, höre ich zum ersten Mal. Das haben wir weder von der Regierung noch von den Mitgliedern unserer Gruppe erfahren. Wie das geht, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass es zuletzt eine extrem starke Flut gab. Es gibt jedes Jahr eine Flut, aber diesmal war sie besonders stark. Wir blieben alle auf dem Damm, auch während Eid-Al-Adha, dem Opferfest. Als Muslime feiern wir das. Doch es war schwer, auf dem Damm zu essen und die Zeit dort zu verbringen. Vielleicht werden Sie das nicht verstehen, weil Sie nicht dabei waren. Aber es war eine schwere Zeit, die Flut hat uns viel Schaden zugefügt. Unser Leid darüber teilen wir aber normalerweise nicht mit anderen – denn es fühlt sich nicht gut an, Unterstützung von anderen zu suchen.
NETZ: Die Abgase aus Autos, Flugzeugen oder durch chemische Düngemitteln bleiben in der Atmosphäre und erhöhen die Temperatur – hier und beispielsweise auch in Deutschland. Und das bringt vieles – auch die Niederschlagsfolgen – durcheinander.
Mami: Deshalb haben wir diese Probleme wohl. Hier betreiben wir Ziegelwerke, die die Luft verunreinigen. Auch das Abwasser aus Industriebetrieben belastet die Umwelt und verursacht viele Schäden für uns. Aber es ist wohl nötig, weil man auch überleben muss. Viele Menschen aus Bangladesch gehen nach Japan, Deutschland und in andere Länder zum Arbeiten. Sollen sie ihre Arbeit etwa nicht fortsetzen? Wenn sie arbeiten, werden sie unser Land verbessern. Wie sollen diese Leute sonst auf eigenen Füßen stehen?
NETZ: Die Frage ist: Ein Teil der Welt stößt viele Abgase aus, und deshalb haben Sie hier vor Ort große Probleme. Finden Sie das in Ordnung? Sind sie nicht wütend darüber?
Mami: Nein, ich bin überhaupt nicht wütend. Und ich bin nicht wütend auf andere Länder. Ja: Als Bürger von Bangladesch haben wir ein Recht darauf, gesund zu leben. Wir wollen diese Rechte verwirklichen. Dennoch sind wir nicht wütend auf den Schaden, der uns von anderen Ländern zugefügt wird. Sie können das wahrscheinlich nicht verstehen, aber Gott hat uns Geduld gegeben. Wir sind in der Lage zu tolerieren. Wir werden nicht in ein fremdes Land gehen, und fordern, dass keine Autos mehr fahren und keine Flugzeuge mehr fliegen. Das würde auch uns schädigen. Wir erhalten Unterstützung aus dem Ausland. Wie soll diese hier ankommen, ohne Transport?
NETZ: Ist die Frage nicht vielmehr: Warum haben einige Länder überhaupt so viel Geld, um anderen zu „helfen“. Ist es nicht so, dass wohlhabende Industriestaaten Länder des globalen Südens systematisch benachteiligen und ausnutzen? Und mit damit verdientem Geld „Hilfsprojekte“ finanzieren?
Mami: Dennoch: Durch diese Projekte können wir viel lernen. Unser größter Wunsch ist es, mehr zu lernen, um mehr tun zu können. Wir wollen auf eigenen Füßen stehen. Wir brauchen Selbstständigkeit und Stärke hier an diesem Ort. Es gibt zu wenige Leute, die gut ausgebildet sind, nicht mal einen ordentlichen Schulabschluss haben viele. Also finden sie keine Arbeit. Ich möchte, dass meine Kinder später zur Schule gehen. Aber hier gibt es keine Schule. Wir wollen lernen. Wir wollen Kleider nähen, wir wollen selbstständig arbeiten. In der Hauptstadt Dhaka gibt es viele Bekleidungsfabriken, nicht wahr? Dort wird überall gearbeitet.
NETZ: Ja, in den Kleiderfabriken arbeiten Menschen Tag und Nacht.
Mami: Ich war einmal dort zum Arbeiten, aber ich war sehr überrascht und habe mich sehr schlecht gefühlt. Es ist so eine harte Arbeit. Die Frauen kommen um acht Uhr morgens und gehen um zehn Uhr abends. Aber wie sollen sie sonst überleben? Abgesehen von der Textilindustrie gibt es für sie keine Arbeit. Ich habe mich da so schlecht gefühlt, dass ich wieder hierher zurückgekommen bin und sogar dachte: Lieber habe ich weniger zu essen. Trotzdem: Wir wollen hier selbstständig arbeiten. Eine Mutter sollte einen Job bekommen, um ihre Kinder zur Schule schicken zu können, nicht wahr?
NETZ: Ja, das stimmt.
Mami: Wir Menschen in Bangladesch leiden sehr, auch wenn wir unser bestes versuchen. Wir bauen Bananen und Reis an. Aber die hochwertigen Lebensmittel essen wir nicht selbst. Wir exportieren sie ins Ausland. Sie essen doch auch Reis in Deutschland, oder?
Anmerkung der deutschen Gesprächspartnerin: Mami Begum zeigte sich in dem halbstündigen Gespräch persönlich sehr beeindruckend. Die Herausforderungen, von denen sie sprach, sollten im besonderen Kontext ihrer Lebensumstände eingeordnet werden. So lässt sich zugleich ihre Stärke erkennen: an der Normalität, mit der sie den persönlichen Umgang mit vielen dieser Dinge beschreibt. Es wird zweierlei deutlich: So lange Menschen auf eine Flut oder den Winter vorbereitet sind, ist das eine tragbare Situation und auch ein Stück weit normal. Genauso wird aber auch deutlich, dass Fluten häufiger, stärker und unvorhergesehener kommen. Und das hat nicht nur mit dem Klimawandel zu tun, sondern auch mit dem Management von Flüssen, mit der Siedlungspolitik und vielen anderen Faktoren.
Der Beitrag erschien in der Sonderausgabe 2020 der Bangladesch-Zeitschrift NETZ zum Projekt "Ein Leben lang genug Reis" Die Zeitschrift können Sie als PDF downloaden oder als Drucksache bei uns anfordern.