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Heimsolar-Systeme im ländlichen Bangladesch

Mit welchen Mitteln und zu welchem Preis kann Bangladesch es schaffen?

Um die wirtschaftlichen Visionen der Regierung Bangladeschs zu erreichen, braucht es einen funktionierenden Energiesektor. Wie kann der Wandel gelingen - in Einklang mit Mensch und Umwelt?

Den Energiehunger stillen

Regierung Bangladeschs wirbt für Kraftwerke

Bangladeschs Regierungen versuchen seit Jahren, neue Energiequellen zu erschließen. Sie befürchten negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Produktivität, wenn der reibungslose Ablauf unter anderem in der stetig wachsenden Textilindustrie nicht gewährleistet ist. Auch in den ländlichen Regionen steigt die Energienachfrage aufgrund modernisierter Agrartechnik und wachsender nichtlandwirtschaftlicher Industriezweige. Durch eine zunehmende wirtschaftliche Anbindung auch entlegener Regionen in Bangladesch steigt der Energiebedarf im Transportwesen. Zudem hat sich sowohl in den urbanen Zentren als auch in den ländlichen Regionen eine Mittelschicht herausgebildet, deren Konsummuster mit einem erhöhten Energiebedarf einhergehen.

Unter der Annahme eines durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstums von sechs Prozent wird die Energienachfrage im Jahr 2025 doppelt so hoch sein wie heute – so die weitläufige Annahme. Das liegt auch daran, dass die Regierung ihre Visionen 2021 und 2041 realisieren möchte. Im Jahr 2021 soll Bangladesch die Gruppe der ärmsten Länder der Welt verlassen und zu einem Land mit mittleren Einkommen transformiert sein, im Jahr 2041 soll Bangladesch zu den entwickelten Ländern gehören (High Income Countries, HIC).

Gegenwärtig ist Bangladeschs Wirtschaftswachstum stark abhängig von der exportorientierten Textilindustrie. Um die Vision 2041 Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es aus Sicht der Regierung diversifizierter Industrien mit hoher Wertschöpfung. Potenziale werden gesehen in der Lichttechnik, in der Agrarindustrie, in der Pharmaindustrie, bei der Softwareentwicklung und den Informations- und Kommunikationstechnologien, in der Autozubehörindustrie und im Schiffsbau.

Mit dem Aus- und Aufbau dieser Industrien wird der Energiebedarf weiter steigen. Die Energieerzeugung wurde in den letzten Jahrzehnten bereits massiv erhöht. Trotzdem gibt es regelmäßige Versorgungsengpässe.

Vor allem in den ländlichen Regionen gibt es Nachholbedarf: Nur rund die Hälfte der etwa 160 Millionen Einwohner ist an das Stromnetz angeschlossen, das von zahlreichen Stromausfällen betroffen ist. In den ländlichen Gebieten, in denen mehr als 70 Prozent der Bevölkerung leben, haben wiederum nur rund 40 Prozent Zugang zur öffentlichen Stromversorgung. Der Großteil der ländlichen Bevölkerung ist zur Deckung des Energiebedarfs auf Biomasse angewiesen. Dazu zählen vor allem Holz, Biomasse-Briketts, Kuhdung sowie Rest-Biomasse aus der Landwirtschaft, die die Menschen vor Ort sammeln. Der Primärenergiebedarf des Landes wird zu 68 Prozent durch Biomasse gedeckt, wobei mehr als 90 Prozent der Haushalte Holz als Brennstoff zum Kochen nutzen.

Energiestrategie bis 2041

Bangladesch deckt seinen Gesamt-Energiebedarf (Wohnraum, Industrie, Transportwesen, Agrarwirtschaft) bis heute weitgehend über Erdgas. Diese starke Abhängigkeit von einem Energieträger stellt das Land vor Herausforderungen. Da die Erdgasvorkommen in den kommenden zehn Jahren ausgebeutet sein dürften und Versuche, neue Erdgasfelder zu erschließen, bisher nicht geglückt sind, muss Bangladesch seine Energiequellen zwingend diversifizieren.

Mit dem 2016 vorgestellten Energieplan (Power System Master Plan, PSMP) hat die Regierung Bangladeschs einen Fahrplan vorgelegt, um bis zum Jahr 2041 die Energieversorgung sicherzustellen. Der PSMP wurde eingebettet in Bangladeschs Visionen 2021 und 2041. Entsprechend soll der Energiemix so gestaltet werden, dass diese Visionen Wirklichkeit werden können. Das Ziel, sich zu einem entwickelten Land zu transformieren, soll vor allem durch die Ausbeutung von Kohlevorkommen im Land und den Import von Kohle erreicht werden. Bis zum Jahr 2041 soll die Energieversorgung zu 35 Prozent durch Kohle sichergestellt werden, während der Anteil von Kohle als Energieträger gegenwärtig noch bei knapp 3 Prozent liegt. Allerdings liegt der Fokus gegenwärtig – anders als noch in vergangenen Jahren – weniger auf der Ausbeutung einheimischer Vorkommen als vielmehr auf dem Import von Kohle und der Verbrennung im eigenen Land.

Die gegenwärtige Abkehr davon, den Abbau einheimischer Kohle auszuweiten, beispielsweise im nördlichen Phulbari, kam nicht freiwillig. Starkes nationales und internationales Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure, die vor den massiven ökologischen und sozialen Verwerfungen des Kohletagebaus warnten, war erfolgreich. Selbst nachdem die Regierung anfänglich noch versucht hatte, den Tagebau gegen zivilgesellschaftlichen Widerstand und unter Anwendung von Polizeigewalt durchzudrücken. Durch den notwendigen Flächenbedarf hätten in Phulbari bis zu 150.000 Menschen umgesiedelt werden müssen, bis zu 220.000 Menschen wären insgesamt betroffen gewesen. Da die Mine zur Bearbeitung hätte entwässert werden müssen und somit der Grundwasserspiegel gesunken wäre, wären Brunnen versiegt, die Trinkwasserversorgung eingebrochen, die Landwirtschaft geschädigt und die Ernährungssicherheit gefährdet gewesen. Im aktuellen Energieplan PSMP werden dennoch Szenarien für einen künftigen Energiemix durchgespielt, die einen Kohleabbau in Phulbari und die Erschließung weiterer Kohlevorkommen einbeziehen.

Heimsolar-Systeme im ländlichen Bangladesch
Zunehmende Verbreitung von Heimsolar-Systemen im ländlichen Bangladesch: Da der Preis noch immer hoch ist, wäre ein gemeinschaftlichr Dorf-Ansatz zu begrüßen. Foto: Ashrai

Massive ökologische Schäden

Laut PSMP müssten im Jahr 2041 rund 60 Millionen Tonnen Kohle importiert werden, um die dann bestehenden Kraftwerke mit dem fossilen Energieträger zu versorgen. Auch diese Pläne haben massiven zivilgesellschaftlichen Widerstand hervorgerufen. Im Zentrum der gegenwärtigen Kritik steht jedoch vor allem der geplante Bau eines Kohlekraftwerks in Rampal im Südwesten Bangladeschs – nur wenige Kilometer nördlich des Weltnaturerbes Sundarbans, dem größten und artenreichsten Mangrovenwald der Erde. Nationale wie internationale Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen machen auf die massiven ökologischen Schäden und die sozialen Verwerfungen aufmerksam, die aufkommen, wenn das Kraftwerk gebaut werden sollte.

Die Mangrovenwälder schützen bereits heute das Binnenland und seine Bewohner wie ein natürlicher Wellenbrecher vor Zyklonen. Als Folge des Klimawandels wird erwartet, dass Zyklone in ihrer Häufigkeit und Stärke zunehmen werden. Der Bau des Kraftwerks und die einhergehende Störung und Zerstörung des Ökosystems Sundarbans würde allen Bemühungen entgegenstehen, die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren. Im Gegenteil: die Folgen würden sogar verschärft. Hinzu kommt, dass Entscheidungen zum Kraftwerksbau schon getroffen wurden, bevor Umweltgutachten vorlagen. Kritiken an den Gutachten sowie unabhängige Studien, die den wirtschaftlichen Mehrwert niedriger einstufen als die sozialen und ökologischen Schäden, wurden ignoriert.

Druck kommt nun auch zunehmend von der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, UNESCO. Eine Delegation hatte im vergangenen Jahr Rampal besucht und vom Bau des Kraftwerks in der ökologisch sensiblen Gegend abgeraten. Aufgrund mangelnder Bereitschaft der Regierung, auf Kritik der UNECSO und zivilgesellschaftlicher Akteure einzugehen, behält sich die UNECSO vor, die Sundarbans im Rahmen ihrer Jahresversammlung 2017 auf die Liste der stark bedrohten Weltnaturerbe zu setzen.

Neben dem Kohlekraftwerk in Rampal ist der Bau von Kohlekraftwerken in Asuganj und in Kalpara mit einer Leistung von jeweils 1.320 Megawatt geplant. China tritt hier als Hauptgeldgeber auf. Zudem ist geplant, in Rooppur ein Atomkraftwerk mit einer Leistung von 2.400 Megawatt zu errichten. Vorverträge mit Russland wurden bereits abgeschlossen. Bis zum Jahr 2030 sollen 10 Prozent der Energieerzeugung nuklear sein. Die Zivilgesellschaft in Bangladesch lehnt die Atomkraft jedoch ab und verweist immer wieder darauf, dass modernste Technologie in Japan die Nuklearkatastrophe von Fukushima nicht verhindern konnte. Denn klar ist auch, dass eine Nuklearkatastrophe in einem extrem erdbebengefährdeten und dichtbesiedelten Land wie Bangladesch verheerende Konsequenzen hätte.

Sundarbans
Der Bau des Kraftwerks in Rampal und die damit einhergehende Störung und Zerstörung des Ökosystems Sundarbans würde allen Bemühungen entgegenstehen, die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren. Foto: Foto: Kai Fritze

Erneuerbare Energien stärker nutzen

Das US-amerikanische Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) hat in einer im November 2016 veröffentlichten Studie zu Bangladesch auf die wirtschaftlichen Gefahren der weiteren Nutzung von Kohle aufmerksam gemacht. Die gegenwärtigen Pläne Bangladeschs, die Nutzung fossiler Energieträger zu vervielfachen, führt laut Bericht zu einer langfristigen Abhängigkeit von kostspieligen importierten und fossilen Energieträgern und somit zu einer wachsenden Staatsverschuldung. Die Währungsabwertung und eine Zunahme der Inflation wären die Folge, dies würde der Wirtschaft Bangladeschs erheblich schaden.

Der Bericht empfiehlt, dass Bangladesch vielmehr die Förderung erneuerbarer Energien – vor allem Solarenergie – deutlich erhöhen sollte. Dabei müsste das Land nicht einmal von seiner gegenwärtigen Kampagne „Zugang zu Elektrizität für alle im Jahr 2021“ abweichen. Die Menschenrechtsverteidigerin und Sprecherin der Umweltbewegung National Committee for Saving the Sunderbans, Sultana Kamal, rief die bangladeschische Regierung dazu auf, sich die Handlungsempfehlungen des IEEFA zu eigen zu machen. Bangladesch soll auf nachhaltige Energien setzen, die bezahlbar, zugänglich und umweltschonend sind und den Bemühungen, klimatischen Veränderungen Einhalt zu gebieten, nicht widersprechen.

Gegenwärtig führen erneuerbare Energien in Bangladesch trotz ihres Potenzials ein Nischendasein. Laut der 2009 eingeführten Richtlinie zu erneuerbaren Energien soll deren Anteil zwar bis 2020 verdoppelt werden – vor allem durch die Förderung von Wind- und Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse. Dann läge der Anteil aber trotzdem nur bei 15 Prozent des Energiemixes.

Gerade für die ärmere, in ländlichen Gebieten lebende Bevölkerung sind erneuerbare Energien allerdings eine günstige und gesündere Option. Bisher nutzen viele Menschen gesundheitsgefährdende Kerosinlampen oder umweltschädliche Trockenbatterien für Radios. Rauch und Ruß aus Kerosinlampen und herkömmlichen Herden führen zu Augen- und Atemwegserkrankungen. Die Förderung erneuerbarer Energien würde zur Armutsreduzierung beitragen und zugleich öffentlichen Gesundheit und Umweltschutz verbessern. Dabei ist der Blick auf die zunehmende Verbreitung von Heimsolar-Systemen auch wichtig: Da der Preis eines Systems noch immer so hoch ist, dass extrem arme Familien hierzu kaum Zugang haben, wäre es zu begrüßen, wenn der individualisierte Ansatz einem gemeinschaftlichen Dorf-Ansatz weichen würde. So könnte man die Stromversorgung in ganzen Gemeinden ermöglichen und die Relevanz für die Armutsreduzierung eruieren. Dies könnte wiederum Erkenntnisse schaffen, die von Bedeutung sind für die Erarbeitung energiepolitischer Richtlinien.

Kampagne Bangladesch „Zugang zu Elektrizität für alle im Jahr 2021“
Experten empfehlen, dass Bangladesch die Förderung erneuerbarer Energien deutlich erhöhen sollte. Dabei müsste das Land nicht einmal von seiner gegenwärtigen Kampagne „Zugang zu Elektrizität für alle im Jahr 2021“ abweichen. Foto: Sven Wagner

Wachstum vs. Menschenrechte

Die Regierung Bangladeschs hat sich auf einen gefährlichen Weg begeben. Um ihre Visionen 2021 und 2041 zu realisieren, braucht es ein auf unbedingtes Wirtschaftswachstum ausgelegtes Entwicklungsmodell, so ihre Lesart. Ohne einen funktionierenden Energiesektor wird es dieses Wachstum aber nicht geben. Daher tut die Regierung alles, um die Energieversorgung zu gewährleisten – auch auf Kosten von Mensch und Umwelt. Es müsse, so hört man Regierungsvertreter sagen, im nationalen Interesse sein, zu diesem Entwicklungsmodell beizutragen.

Kritik in den Medien oder aus der Zivilgesellschaft wird als dem nationalen Interesse widersprechende Sichtweise stigmatisiert. Repressionen gegen zivilgesellschaftliche Akteure, die das auf Raubbauökonomie fokussierte Entwicklungsmodell Bangladeschs kritisieren, nehmen zu. Regierungsvertreter in Bangladesch verweisen immer häufiger auf Länder wie Malaysia oder Singapur und betonen, dass industrielle Entwicklung Vorrang vor Demokratie haben müsse.

Beobachter in Bangladesch sind der Meinung, dass das starke Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren das Ausbrechen sozialer Konflikte noch verhindert hat. Wenn aber Umwelt und Mensch weiter Schaden nehmen im Zuge der Energiegewinnung und des aggressiven Wirtschaftsmodells Bangladeschs mit Raubbauökonomie und Landwegnahme zu kommerziellen Zwecken, ohne dass das Ganze durch hohe Wachstumsraten kompensiert wird, dann könne die Unzufriedenheit in weitläufige soziale Konflikte umschlagen.

Bangladeschs Zivilgesellschaft drängt im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele darauf, den Auf- und Ausbau Erneuerbarer Energien stärker voranzutreiben. Fossile Energieträger und Atomenergie sind für sie keine Option für die Zukunft.

Dieser Beitrag erschien in der NETZ Ausgabe 1/2017 "Klima und Wandel" der Bangladesch-Zeitschrift NETZ zum Projekt Klimagerechte Zukunft Die Zeitschrift können Sie als PDF downloaden oder als Drucksache bei uns anfordern.

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