Am Rand der Gesellschaft
NETZ Zeitschrift 1-2012 | Sexualität ist in Bangladesch ein besonders sensibles Thema. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung damit findet im Verborgenen, im Privaten statt. Liebespaare, die öffentlich Zärtlichkeiten austauschen, vermögen die Gefühle anderer zu verletzen. Dennoch existiert eine bestimmte kollektive Vorstellung von Sexualität, die von weiten Teilen der Gesellschaft Bangladeschs angenommen und nur selten hinterfragt wird. Die Beziehung zwischen Frau und Mann wird als soziale Norm und somit als natürliche und unveränderliche Idee von Partnerschaft und Sex verstanden. Raum für davon abweichende sexuelle Identitäten besteht nicht.
Die englische Bezeichnung LGBTI steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle. Das Akronym wird in den nachfolgenden Beiträgen als inklusiver Überbegriff für alternative Sexualitäten jenseits der Heterosexualität gebraucht. Sexuelle Subkulturen, wie Hijras und Kothis, werden hier ebenfalls mit eingeschlossen. Auch in Bangladesch gibt es Homosexuelle und Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen. Da sie jedoch gesellschaftlich nicht akzeptiert sind, ist es auch kaum möglich, ein Bewusstsein für diese Menschen und ihre Lebenssituation zu schaffen.
Die Situation von LGBTI ist demzufolge schwierig in Bangladesch. Sie werden von der Gesellschaft nicht als gleichwertig betrachtet und ausgeschlossen. Sehr häufig sind sie Diskriminierungen sowie psychischen und physischen Misshandlungen ausgesetzt. Auch der Staat gesteht diesen Menschen kaum Rechte zu und drängt sie somit an den Rand der Gesellschaft.
Sexarbeiterinnen haben in Bangladesch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Aufgrund ihrer Tätigkeit stehen auch sie außerhalb des sozialnormativen gesellschaftlichen Rahmens, der Sexualität und Partnerschaft in engen Grenzen definiert. Ebenso wie LGBTI erfahren sie deshalb teils massive gesellschaftliche Diskriminierung.
Verfolgen Sie die Geschichte von Little Boxes* ab Seite 4. Er erzählt von seinen Erfahrungen als Homosexueller in Bangladesch. Über Menschen mit alternativen Sexualitäten, ihre Probleme und ihren Kampf um Gleichberechtigung berichtet Heiko Herold ab Seite 6. Pinky Sarker, Geschäftsführerin der NGO Badhan Hijra Sangha, gibt Einblicke in die Situation von Hijras in Bangladesch (Seite 10 folgend). Die Organisation setzt sich für die Rechte der Transgender-Gemeinschaft ein. Mehr über die Lebenssituation von Sexarbeiterinnen erfahren Sie ab Seite 13. Über Geschlechteridentität und Diskriminierung informiert Sanaiyya Ansari, stellvertretende Direktorin der Menschenrechtsorganisation Ain o Salish Kendra, im Gespräch ab Seite 19.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht Ihnen
Sven Wagner, Redaktionsmitglied
*Name geändert