
Für ein besseres Leben - Aufbruch in Bangladesch?
Bangladeschtagung und NETZ-Mitgliederversammlung 2025
Vom 23.-25.5.2025 kamen in der Wetzlarer Sportjugend viele Menschen zusammen, die sich ganz besonders für Bangladesch und Gerechtigkeit engagieren. Es gab sehr viel zu besprechen, war doch so viel geschehen seit der letzten Zusammenkunft: Zu einem historischen Umsturz der Regierung Bangladeschs mit weitreichenden Folgen sorgten auch die Folgen der internationalen Veränderungen besonders durch die Trump-Regierung für Aufruhr. Wie geht es den Menschen, an deren Seite NETZ seit über 35 Jahren steht? Werden sie nun vergessen? Was können, müssen wir mehr tun in der augenblicklichen Situation? Diese Fragen diskutierten Gäste aus Deutschland, der Schweiz und Bangladesch über das ganze Wochenende hinweg gemeinsam in unterschiedlichen Foren. Ein Spoiler vorweg: Der Kampf für ein besseres Leben geht auch unter neuen Umständen weiter.
Gleich eintauchen in die Welt der besonders vom Klimawandel betroffenen Küstenregion Bangladeschs konnten die Teilnehmenden am Freitagabend: Dort wurde die Weltpremiere des Kurzfilms “Leben und Hoffnung in einem Klima-Hotspot Bangladeschs” gefeiert. Die Küstenregion Bangladeschs am Rand der größten Mangrovenwälder der Erde ist ökologisch besonders und sehr schön - aber auch eine Region, in der der Klimawandel sich nicht abstrakt zeigt, sondern ganz konkret und das heißt existenziell. Bodenversalzung, Zyklone, Verlust von Ackerland und Trinkwassermangel treffen Menschen, die in extremer Armut leben, besonders. Der Film begleitet sie und zeigt, wie aus Hoffnung Wandel für ein besseres Leben wird.
Dies, so konstatieren die beeindruckten Zuschauer*innen im Filmgespräch, ist wegweisend und der Film ein guter Anlass für Gespräche auch in Deutschland. “Die Frauen wirken trotz allem nicht resigniert. Ich nehme mit, wie extrem wichtig es ist, sich zu organisieren und sich gegenseitig zu unterstützen”, so eine Stimme aus dem Publikum. Auch zur Sprache kommt, wie beeindruckend es sei, dass NETZ schon nach wenigen Jahren in der Küstenregion den Ansatz zur Überwindung extremer Armut an die Region anpassen konnte. Diese Verbindung von lokalem Wissen und Input von außen sei vorbildlich für Klimaanpassung weltweit, findet ein Zuschauer – und erfährt große Bestätigung im Raum. Die hier versammelten lernen sich dann auch noch in Vernetzungsspielen besser kennen, um auch die persönliche Grundlage für die vielen Austausche in den kommenden Tagen zu schaffen.
Im Sommer 2024 trat Bangladesch sogar jenseits des hier versammelten Kreises in die Weltmedien, und das nicht bei einer Naturkatastrophe, sondern einem politischen Erdbeben. Ein Einführungsvortrag lässt die Ereignisse Revue passieren. Der Regierungssturz, die Übernahme der Übergangsregierung, die Reformkommissionen, die Hoffnung auf baldige Wahlen - die Ereignisse haben seitdem kaum an Fahrt verloren. Auf jeden Fall ein Wechselbad der Gefühle, in dem Bangladesch weiter in einer großen Umbruchphase mit offenem Ausgang steckt.
Die Berichte der Gäste aus Bangladesch vertiefen das Bild mit Informationen aus erster Hand - und von den Menschen, für die NETZ sich einsetzt. Shahidul Islam weist darauf hin, dass wirtschaftliche Indikatoren wie Auslandsüberweisungen und Textilexporte sich positiv entwickelt haben. Gleichzeitig jedoch sei die Inflation nicht wesentlich gestoppt und die Armut gestiegen. Bis zu drei Millionen Menschen würden Analysen zufolge in die Extreme Armut fallen. Diesem Trend zu begegnen sei eine der wichtigen Aufgaben der Partnerorganisationen von NETZ. Auch deren Arbeit im Menschenrechts- und Grundbildungssektor sei gerade besonders wichtig, auch da die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen leider keinen Fokus auf diese Bereiche zuließen.

Der plötzliche Wegbruch ausländischer Unterstützung trifft die Zivilgesellschaft hart. Essentielle Gesundheitsleistungen fallen weg. Aber es droht auch eine langfristige Gefahr: Wenn jetzt nicht in Bildung und Frauenrechte investiert wird, stärkt das rechtsgerichtete islamistische Gruppen, die die aktuelle Unsicherheit ausnutzen können.

Meghna Guhathakurta ergänzt diesen Bericht um eine Analyse der Frauen- und Minderheitenrechte. Sie weist darauf hin, dass Partizipation von Frauen aktuell weiter eingeschränkt wird und wie wichtig ihr Schutz, Vorkehrungsmaßnahmen und auch Auffangen nach evtl. Gewalt seien. Dabei seien Frauen, davon ist Guhathakurta überzeugt, entscheidend für den Aufbau und die Entwicklung des Landes. Die aktuellen Angriffe von Fundamentalisten auf beispielsweise den Bericht der Frauenkommission der Regierung Bangladeschs zeugten somit nicht zuletzt davon, dass auch diese Gruppierungen die entscheidende Rolle von Frauen erkennen und dagegen vorgehen.

Die Verfolgung von Minderheiten und Frauen endet nicht an Grenzen. Ebensowenig sollte unser Widerstand dagegen an Grenzen enden.

Eine Spannung war schon früh auf der Tagung klar. Auf der einen Seite die historische Transformation in Bangladesch mit Chancen und Gefahren, in der die internationale Unterstützung des Landes besonders wichtig ist. Auf der anderen Seite eine internationale Gemeinschaft, die teils weniger zu lebenswichtigen Vereinbarungen steht und sich kurzsichtig auf sich selbst zurückzuziehen droht. Die Sorge, aber auch: wie wir dagegenhalten können und was gute nächste Schritte sind, beschäftigte alle Teilnehmenden in intensivem Kleingruppenaustausch. Es wird deutlich, was für ein grundlegender Wert globale Solidarität im Leben aller hier versammelten Menschen ist.
Nach einem Mittagessen und körperlicher Aktivierung mit Spiel- und Yogaangeboten stellt das NETZ-Team in einem bunten Kaleidoskop vor, was die Organisation seit der letzten Tagung mit den Partnerorganisationen und Ehrenamtlichen auf die Beine stellen konnte. Und das war viel. Angefangen in Bangladesch, wo Partnerorganisationen die Veränderungen im Leben der Menschen mit begleiten konnte, positive Impulse verstärken und Sorgen und Gefahren auffangen. Das Bangladesch-Büro spielte hier wie immer eine herausragende Rolle. In Anbetracht der zentralen Aufgabe, für eine klimagerechte Zukunft zu streiten, konnte NETZ mit sieben Partnerorganisationen insgesamt 23.000 Familien unterstützen.

Nach dem Zyklon haben viele Familien es geschafft, selbst ihre Häuser wiederaufzubauen - und für 384 weitere Familien hat NETZ sofort Solidarität aus Deutschland mobilisieren können. Das ermutigt uns sehr, unser Engagement in der neuen Schwerpunktregion Südbangladesch noch weiter auszubauen.

Jedes Kind braucht Bildung - und NETZ-Partnerorganisationen konnten beinahe 70.000 Kindern zu eben jener verhelfen. Dazu zählen Vorschulunterricht und Gesundheitscamps ebenso wie der Einsatz für bessere Rahmenbedingungen. Paula Steinhäuser betont auch hier, dass im neuen Arbeitsgebiet Südbangladeschs ein besseres Leben auch bedeutet, Zugang zu sicherem Trinkwasser zu haben - und NETZ an den Grundschulen auch hier aktiv werden möchte. Im Projektschwerpunkt Menschenrechte verteidigen ist Anastasia Rau besonders von den ehrenamtlichen Menschenrechtsverteidiger*innen und Schüler*innen beeindruckt. Beinahe 22.000 von ihnen engagieren sich in NETZ-Projekten für Rechte, z.B. von Frauen und Mädchen oder zu sozialen Dienstleistungen. Sie berichtet auch, dass gerade dieser Arbeitsbereich wirklich teilweise mit sehr schweren Schicksalsschlägen und auch Gewalt konfrontiert ist.
Um hier international gut informiert zu unterstützen und Stimmen auf Bangladesch nach Europa zu tragen, waren der politische Dialog und das Globale Lernen von NETZ im Einsatz. Neben Langzeitthemen wie Klimawandel und Bildungsmaterial zur Textilindustrie trat die Information über den Umbruch in Bangladesch. Die letztjährige Besuchsreise zeigte den wesentlichen Faktor Austausch - der in der aktuellen politischen Situation leider wieder nicht in einen neuen Freiwilligendienst zwischen Bangladesch und Deutschland münden kann. Und zum Schluss noch die große Erleichterung: Trotz allen Sorgen auch um sich selbst sind die NETZ-Spender*innen den Menschen in Bangladesch verbunden geblieben und konnten zusammen 562.125 € Spenden mobilisieren.
Wie kann man bei all dem, was NETZ mit großem Engagement macht, eigentlich kurz und bündig sagen, was der Kern ist? Wie kann die Vielfalt des Engagements in verschiedenen Ländern von ganz unterschiedlichen Menschen zusammengebracht werden - und motivierend kommuniziert? Über das, wofür NETZ steht, wurde im letzten Jahr im Verein, in Bangladesch und Deutschland, diskutiert. Denn irgendwie angestaubt wirkte das Leitbild, das vor bald 20 Jahren entwickelt wurde. Die Versammelten schauten nun auf den Vorschlag, der gemeinsam entwickelt wurde - und der es wirklich in sich hat. Nicht nur wurden die inhaltlichen Entwicklungen von NETZ aufgegriffen, sondern auch Fragen der Perspektiven und "wer spricht". Die spontanen Rückmeldungen (siehe Bild) sprechen für sich - nach einem inhaltlichen Austausch empfehlen alle, den Vorschlag auf der NETZ-Homepage der Mitgliederversammlung zum Beschluss vorzulegen.

Das ist optimistisch und selbstbewusst geschrieben - wie Klappentext auf einem Buch, das ich weiterlesen will. Es lädt ein, weiter nachzufragen - und das ist genau das, was wir brauchen.

Gestärkt von der Kaffeepause ging es zur offiziellen Mitgliederversammlung. Diese ist im Detail für die Mitglieder protokolliert. Unter ihren Highlights waren der Bericht des Vorstands. Dieser hat sich unter dem neuen Vorsitz gut eingefunden und konnte auch, aller Rahmenbedingungen zum Trotz oder gerade deshalb, im Frühjahr eine Reise nach Bangladesch unternommen. Auch der Finanzbericht, vorgestellt vom Finanzvorstand Martina Herzog, zeigte die solide Aufstellung des Vereins, was gerade in unsicheren Zeiten eine wichtige Grundlage der Arbeit ist. Wie transparent und vorbildlich die Finanzen geführt werden, bestätigten der Wirtschaftsprüfer Markus Strauß und die Kassenprüferin Christine Radestock in ihren Vorträgen. Die Vereinsmitglieder entlasteten auf dieser Grundlage gerne den Vorstand und dankten ihm für sein außerordentliches Engagement. Ebenso beschlossen sie, den Umzug des NETZ-Büros nach Gießen nun auch offiziell in der Satzung zu verankern. Und nicht zuletzt ehrte die Versammlung Jubiläumsmitglieder (darunter die Stadt Wetzlar) und zwei langjährige Mitarbeiter.
Um mit dem Tagungsort der Sportjugend Hessen zu sprechen, ging es am Sonntagmorgen nach dem Marathon des Vortags und dem tiefen Eintauchen in Bangladesch nun darum, all das beim Auftauchen mitzunehmen in das Engagement in Deutschland. Den politisch aufgewühlten Zeiten entsprechend lud NETZ dazu neben den Gästen aus Bangladesch auch die Gewerkschaftlerin und Bundestagsabgeordnete der Partei die Linke aus Gießen, Desiree Becker, zur Diskussion ein.

Wir brauchen soziale Sicherheit. Die Menschen wählen ja rechts, weil sie sagen, ich habe Angst, noch weniger zu haben als vorher. Also darf nicht noch mehr gekürzt werden im sozialen Bereich. Die Angst vor Krieg ist groß. Aber es soll nicht immer nur um Waffen gehen. In der Entwicklungszusammenarbeit ist wichtig: Nur Menschen vor Ort können entscheiden, was es braucht.

Alle drei Gäste betonten, dass es wichtig ist, die Bewegungen der Gegenwart global zu verstehen. Ebenso rückten sie wirtschaftliche Dimensionen und den Klimawandel in den Fokus. Aus dem Publikum wurde gefordert, auch über globale Sozialpolitik nachzudenken und im Bundestag Themen der internationalen Finanzierung und Institutionen wie Weltbank und IWF zu diskutieren. Ein weiteres wichtiges Anliegen waren Vernetzung und die Bedeutung von Kooperation - nicht zuletzt, um wachsenden rechten Bewegungen zu begegnen. Bildungsarbeit in Deutschland wie Bangladesch ist hierfür sehr wichtig, betont Shahidul Islam: es könne nicht sein, dass noch immer zwei Millionen Grundschulkinder gar nicht zur Schule könnten und für die anderen kaum ganzheitliche Bildung angeboten würde. Das Publikum beteiligte sich mit Fragen und Beiträgen, sodass der Moderator Niko Richter schlussendlich erleichtert konstatierte: "Wir sind keineswegs gelähmt trotz der vielen und schnellen Veränderungen."

Das NETZ-Motto ist: Gerecht geht gemeinsam. Wir alle wollen Solidarität schützen gegen die Angriffe der Rechten. Zuletzt ist die Entwicklungszusammenarbeit ist sehr stark angegriffen worden. Das gilt es jetzt im Gegenteil von uns allen zu stärken. Das heißt nicht, unkritisch zu sein. Sondern, den eindringlichen Appell, den wir auf dieser Tagung immer wieder gehört haben aus Bangladesch ernst zu nehmen: Lasst uns nicht im Stich. Und das schließt finanzielle Verpflichtungen ein.

Nach einem intensiven Wochenende gab es Möglichkeiten für Dank und Verbesserungsvorschläge. Doch vor allem eines durfte nicht fehlen: Wie kann jede und jeder von uns mitmachen? Was wünschen wir uns? Die Teilnehmenden visualisierten ihre Vernetzungsangebote, Wünsche (Blumen) und Aktivitäten (Wasser und Sonne) und schufen so eine Wiese von Plänen und Möglichkeiten.