Wer profitiert?
NETZ Zeitschrift 2-2011 | Bangladesch ist ein „Held“, sagte der Direktor der Zentralbank Bangladeschs Atiur Rahman im April 2011 als Reaktion auf das erwartete wirtschaftliche Rekordwachstum des Landes zum Ende des aktuellen Haushaltsjahres. Aber ein stiller Held, einer dessen große Taten nicht besungen werden, so Rahman damals. Er bezog sich auf das noch immer in der Weltöffentlichkeit prägende Bild Bangladeschs: Ein Land, in dem Millionen hungern und in dem Naturkatastrophen und Korruption Entwicklung und Wohlstand verhindern.
Dabei hat Bangladesch in den vergangenen vier Jahrzehnten viel erreicht. Der Zugang zu Grundbildung wurde verbessert, die Kindersterblichkeit signifikant reduziert und demokratische Institutionen gestärkt. Medien und Zivilgesellschaft haben die wichtige Funktion inne, staatliches Handeln zu kontrollieren. Unternehmensgründer haben zum Wirtschaftswachstum beigetragen. So sind die finanziellen Möglichkeiten gestiegen, um Armut zu bekämpfen.
Doch kann Bangladesch allein aufgrund des Rekordwachstums als Held bezeichnet werden? Wohl kaum. Dafür taugt schon allein das Bruttoinlandsprodukt als Maß für die wirtschaftliche Leistung und als Indikator für Wohlstand nicht. Darin werden alle in einem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft addiert. Ob aber das Wachstum jeden Einzelnen wohlhabender macht, misst es nicht. So haben von den Wachstumsraten in Bangladesch in den letzten Jahren vor allem die einkommensstärksten 10% der Bevölkerung profitiert, der Anteil der einkommensschwächsten 40% am Volkseinkommen ging gar zurück.
Um Wohlstand zu messen, müssen zudem Aspekte wie der Zugang zu Gesundheit, politisches Mitspracherecht, die Qualität der Regierungsführung, soziale Beziehungen und der Grad der wirtschaftlichen und physischen Unsicherheit berücksichtigt werden. Wenn Bangladesch wirtschaftliche Rekord-Wachstumsraten erzielt, bestehende Machtstrukturen den Ärmsten aber Zugang zu Ressourcen, Rechten und Dienstleistungen verwehren, wird Armut in Bangladesch nicht nachhaltig reduziert werden. Staatliche Großprojekte, die zu massiven sozialen und ökologischen Schäden führen, generieren zwar Wirtschaftswachstum, produzieren möglicherweise aber auch Armut. Bangladeschs Erfolge müssen wertgeschätzt werden, aber es bedarf weiterer Anstrengungen bis der Held gefeiert werden kann.
Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Amartya Sen, Zentralbank-Chef Atiur Rahman und Mustafizur Rahman, der Geschäftsführer der bangladeschischen Denkfabrik Center for Policy Dialogue, nehmen in dieser Ausgabe Stellung zu den Auswirkungen des Wirtschaftswachstums auf die Armutsbekämpfung in Bangladesch – auch im Vergleich zu Indien und China. Ingo Ritz, Geschäftsführer von NETZ, greift diese Gedanken auf und kommentiert auf den Seiten 18-19.
Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
Dirk Saam