Interview Reformvorschläge für bessere Arbeitsbedingungen in Bangladesch

Der Autor und Forscher Altaf Parvez diskutiert im Gespräch mit der Zeitung "The Daily Star" die Empfehlungen der Arbeitsreformkommission zur Verbesserung der Lage der Arbeitnehmer*innen im Land.
Der politische Wandel, den Bangladesch 2024 erlebt hat, war auch mit großen Opfern für Arbeitnehmer*innen verbunden. Seit dem Aufstand sind nun fast neun Monate vergangen. Wie beurteilen Sie diese Zeit?
Unter den Opfern des Aufstands im Juli waren über hundert Menschen aus der Arbeiterklasse. Auch viele der Verletzten stammten aus Arbeiterfamilien. Obwohl die Bewegung mit Forderungen wie der Quotenreform begann, die vor allem die gebildete Mittelschicht betrafen, gab es zwei zentrale Gründe für die breite Beteiligung der Arbeiter*innen: Erstens fanden die Rufe nach Gerechtigkeit und Gleichheit großen Anklang. Zweitens waren viele bereits in den Jahren zuvor mit einer erheblichen Bedrohung ihres Einkommens und ihrer Existenzgrundlage konfrontiert.
Während der Amtszeit von Sheikh Hasina wurde jede Forderung nach höheren Löhnen mit Repression beantwortet. Die Industriepolizei wurde häufig gegen protestierende Arbeiter*innen eingesetzt. Gleichzeitig stiegen die Löhne nur langsam, während die Inflation die Preise stark nach oben trieb – am Ende konnten sich viele Arbeiter*innen mit ihrem Einkommen immer weniger leisten. Viele glaubten, dass sich ihre Lage bessern würde, wenn sich die politischen Verhältnisse änderten. Doch bislang ist das kaum geschehen.
In Bangladesch sind die Löhne für 42 Wirtschaftszweige festgelegt. Die neue Regierung hätte diese überarbeiten müssen, aber das ist bisher nicht geschehen. Rohstoffpreise werden weiterhin von Kartellen kontrolliert. Auch das Arbeitsrecht wurde bislang nicht reformiert – ebenso wenig wie die Lebensbedingungen der Arbeiter*innen.
Was sollte geschehen, um die Lage zu verbessern?
Arbeiter*innen brauchen ein gesichertes Einkommen, das ihnen Zugang zu Nahrung, Bildung, medizinischer Versorgung und Wohnraum ermöglicht. Sie müssen unter sicheren Bedingungen arbeiten können – und im Schadensfall Anspruch auf Entschädigung haben. Es braucht das Recht auf Mitbestimmung, auf gewerkschaftliche Organisation und auf verlässliche Arbeitsverträge.
Kurz gesagt: Ihre Rechte müssen gesetzlich garantiert und durch die Verfassung geschützt werden. Sie verdienen Respekt, nicht Bevormundung.
Die Arbeitsreformkommission der Übergangsregierung hat kürzlich ihren Abschlussbericht mit verschiedenen Empfehlungen vorgelegt – darunter die regelmäßige Überprüfung der Löhne, Mutterschutz, ein Notfallfonds für exportorientierte Industrien, leichtere Gründung von Gewerkschaften und eine ständige Arbeitskommission. Wie bewerten Sie diese Vorschläge?
Viele Empfehlungen sind sinnvoll und könnten zügig umgesetzt werden. Die Regierung sagt oft, dass für Reformen ein politischer Konsens erforderlich ist. Wenn man sich jedoch die Empfehlungen der Kommission ansieht, sind einige davon so formuliert, dass wahrscheinlich keine politische Partei etwas dagegen einzuwenden hätte. Zum Beispiel die Ausstellung von Arbeitsverträgen für Arbeitnehmer*innen – es gibt keinen Grund, dagegen Einwände zu erheben. Auch informell Beschäftigte wie Hausangestellte, Landarbeiter*innen oder Tagelöhner*innen müssen endlich rechtlich anerkannt werden. Eine aktualisierte Datenbank über Arbeitnehmer*innen wäre ein erster Schritt.
Wichtig ist auch, dass veraltete Lohntabellen dringend überarbeitet werden. Die Untersuchung von Unglücken wie Rana Plaza muss beschleunigt werden. Und der Staatshaushalt sollte den arbeitsbezogenen Ministerien mehr Mittel bereitstellen – für neue Programme und die Umsetzung der Reformen.
Welche Reformen sollten Ihrer Meinung nach besonders dringend angegangen werden?
Der Begriff „Arbeitgeber*in“ sollte verbindlich für alle gelten – nicht mehr „Eigentümer*in“. Arbeitsgesetze müssen entsprechend angepasst werden. Die Löhne in vielen Sektoren sind so niedrig, dass man von Ausbeutung sprechen muss. Lohnausschüsse sollten hier rasch Entscheidungen treffen. Auch die zuständigen Aufsichtsbehörden brauchen mehr Personal, mehr Fachwissen und stärkere Befugnisse.
Arbeitsgerichte müssen personell gestärkt werden, damit Verfahren zügig abgeschlossen werden. Außerdem braucht es einen nationalen Mindestlohnstandard, der regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst wird. Und: Um das Recht auf Vereinigungsfreiheit zu stärken, müssen die Bedingungen für die Gründung von Gewerkschaften gelockert werden.
Wie realistisch ist die Umsetzung – gerade mit Blick auf die informelle Wirtschaft, in der ein Großteil der Bevölkerung arbeitet?
Die meisten Empfehlungen sind machbar – und im Interesse der Gesellschaft. Wenn die Regierung Armut bekämpfen will, muss sie sicherstellen, dass niemand unter zwei Dollar pro Tag verdient. Das ist derzeit in vielen Branchen der Fall – obwohl sie profitabel sind. Das widerspricht jeder Strategie zur Armutsminderung.
In der Bekleidungsindustrie etwa steigen die Löhne deutlich langsamer als die Inflation. Dennoch wächst der Sektor – auf Kosten der Arbeiter*innen. Das steht im Widerspruch zu den erklärten Zielen von Regierung und Parteien, Armut zu bekämpfen.
Auch informell Beschäftigte müssen ins Arbeitsrecht einbezogen werden: Hausangestellte, Tagelöhner*innen, Rikschafahrer*innen oder Landarbeiter*innen. In der Trockenzeit finden Landarbeiter*innen kaum Arbeit – hier braucht es gezielte staatliche Lohn-für-Arbeit-Programme.
Die Arbeitsreformkommission hat sich ebenfalls mit der Dalit-Bevölkerung befasst. Ein großer Teil von ihnen arbeitet seit Generationen in der Abfallwirtschaft. Viele leben seit Jahrhunderten in Dhaka – und sind dennoch landlos. Die Regierung sollte dafür sorgen, dass sie auf staatlichem Land unter menschenwürdigen Bedingungen leben können.
Doch solche Veränderungen geschehen nicht von selbst. Es braucht politischen und gesellschaftlichen Druck. Und der fehlt aktuell: Arbeiter*innen sind kaum organisiert, auch in politischen Parteien kaum vertreten. Daher kann ich derzeit nicht allzu optimistisch sein.
Neben Reformen ist auch Gerechtigkeit für die tödlich verunglückten und verletzten Arbeiter*innen eine grundlegende Forderung. Nach Rana Plaza oder Tazreen Fashion hat es kaum Konsequenzen gegeben.
Das ist ein nationales Versagen. Selbst zwölf Jahre nach Rana Plaza gibt es keine Gerechtigkeit für die Opfer – ein erschütterndes Zeichen dafür, welchen geringen Stellenwert das Leben von Arbeiter*innen in Politik und Verwaltung hat.
Wir feiern Wirtschaftswachstum, das auf ihrer Arbeit – und vielfach auf ihrem Leid – basiert. Das ist keine bloße Verzögerung von Justiz, sondern Ausdruck systematischer Vernachlässigung und Gleichgültigkeit.
Die Tragödie von Rana Plaza hat offengelegt: Die Krisen, die Arbeiter*innen in Bangladesch treffen, rufen bei der politischen Elite nicht dieselbe Verantwortung hervor wie andere gesellschaftliche Ereignisse. Nach den Protesten im Juli und August 2024 war vielerorts von Wandel die Rede – von Verantwortung, Empathie, einer gerechteren Republik. Doch dieses Versprechen bleibt bislang unerfüllt. Noch immer steht die Würde der Arbeiter*innen nicht im Zentrum politischer Entscheidungen – obwohl sie zu den tragenden Säulen der Gesellschaft gehören.
Einige Empfehlungen der Kommission betreffen auch gesellschaftlichen Wandel: Arbeiter*innen sollen künftig nicht mehr respektlos mit „tui“ oder „tumi“ angesprochen werden. Aber solche Veränderungen können nicht einfach vorgeschrieben werden, sie erfordern einen gesellschaftlichen Wandel. Wie kann das erreicht werden?
Sie haben Recht, solche sprachlichen Änderungen sind richtig – aber sie allein reichen nicht. Die Geringschätzung von Arbeiter*innen ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Obwohl unsere Wirtschaft kapitalistisch organisiert ist, denken und handeln viele noch in feudalen Mustern. Es fehlt an Respekt, an Anerkennung – nicht nur in der Sprache, sondern im alltäglichen Umgang. Gesetze allein ändern daran nichts. Wir brauchen grundlegende, demokratische Reformen – in Staat, Wirtschaft und Politik. Der Aufstand 2024 forderte genau das. Doch seither ist wenig passiert.
Unsere Gesellschaft ist aus dem Gleichgewicht geraten – und Arbeiter*innen gehören zu den ersten, die das zu spüren bekommen. Doch auch Akademiker*innen und andere Berufstätige erleben einen Verlust an Würde und Selbstbestimmung. Die Rechte und die Würde der Arbeiter*innen müssen genauso ernst genommen werden wie wirtschaftliches Wachstum. Erst wenn das gelingt, kann sich wirklich etwas verändern – für sie und für die Gesellschaft als Ganzes.
Altaf Parvez ist Forscher für süd- und südostasiatische Geschichte und Politik.
Das Interview wurde von Monorom Polok geführt. Es erschien im Englischen Original am 01.05.2025 in der Zeitung "The Daily Star".