Entwicklungszusammenarbeit: Wer profitiert?

Ende Juli 2004: die Flut erreicht einen traurigen Höhepunkt. In
Bangladesch steht eine Fläche unter Wasser, die der Größe der Schweiz
entspricht. 30 Millionen Menschen sind betroffen, ihre Häuser sind ganz
oder teilweise zerstört. Über 500 Menschen verlieren ihr Leben. Hunderte
weitere sterben an Infektionskrankheiten, die sich mit dem Sinken des
Wassers rasch ausbreiteten. Keine Statistik erfasst die Menschen, die
jetzt vor dem absoluten Nichts stehen.
Der Appell der Vereinten
Nationen an die internationale Gemeinschaft verhallt fast ungehört: 210
Millionen US-Dollar sind nötig, um bis zum Jahresende 5 Millionen
Menschen zu versorgen, die am schwersten betroffen sind. Die
internationale Hilfe klingt ab, als die Fernseh-Kameras das Land
verlassen. Die britische Tageszeitung The Guardian vergleicht die
Berichterstattung innerhalb der englischen Presse: den Meldungen zur
Flut in Bangladesch stellt sie die Nachrichten über den zeitgleich in
Florida wütenden Hurrikan Charley gegenüber. Über den Hurrikan wird in
einer Woche doppelt so viel berichtet wie über die Flut in Bangladesch
in einem ganzen Monat.
Nach der Flut ist in Bangladesch immer
vor der Flut. Nachhaltige Entwicklungsarbeit ist die beste
Katastrophenhilfe. Selbsthilfe-Institutionen, in denen die Bevölkerung
zusammen arbeitet, können gemeinsam Vorsorge treffen. Gesund ernährte
Kinder sind weit weniger anfällig für Krankheiten, die bei
Überschwemmungen auftreten. Familien, die finanzielle Rücklagen bilden,
können sich eigenständig neues Saatgut kaufen, wenn eine Ernte zerstört
wird. Schulbildung oder berufliche Fertigkeiten kann kein Hochwasser
wegspülen. Und Aufforstung im Himalaja würde das ungehemmte Abfließen
allzu heftiger Monsunregen verhindern.
Von vielen wird
erwartet, dass staatliche Entwicklungszusammenarbeit dies leistet: Sie
soll den Ärmsten helfen, ihr Elend zu überwinden. Tut sie das? Hat sie
überhaupt diesen Anspruch? Allzu oft scheint das Wirtschaftswachstum im
Vordergrund der Entwicklungszusammenarbeit zu stehen. Wie viel davon die
Ärmsten profitieren, wird als Nebenaspekt angesehen. Bis heute werden
die Ärmsten zu wenig einbezogen bei Entscheidungen, die ihre eigene
Entwicklung betreffen. Das gilt auch aktuell für die Entwicklung der
Strategie, wie die Armut in Bangladesch bis 2015 halbiert werden soll.
Seit Gründung des Staates ist Bangladesch Partner der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit. Auch sie muss sich mit der Frage
auseinandersetzen, ob die Planung und Entscheidung von staatlichen
Entwicklungsprojekten nah genug dran ist an den Menschen. Oder
zementiert die Zusammenarbeit bestehende Strukturen? Wie nachhaltig
verbessern die Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die
Lebenssituation der Ärmsten?
Diese NETZ-Ausgabe erhebt nicht
den Anspruch, den Stein der Entwicklungs-Weisen gefunden zu haben. Eher
sammelt sie Mosaik-Steinchen. Sie berichtet von Erfolgen und
Fehlschlägen in der staatlichen Zusammenarbeit. Sie benennt Chancen und
Schwierigkeiten. Sie fängt Sorgen und Hoffnungen von Menschen ein, die
an Entwicklungsprojekten teilnehmen. Allen, die an diesem Mosaik
mitgewirkt haben, danken wir sehr herzlich!
Es grüßt Sie vielmals Ihr Peter Dietzel