Barrierefrei?
NETZ Zeitschrift 03-2014 | Inklusion ist ein aktuelles und deutschlandweit vieldiskutiertes Thema. Großangelegte Initiativen von der Bundes- bis hin zur Kommunalebene zielen darauf ab, Menschen mit Behinderung im Alltag maximale Teilhabe zu ermöglichen. Was bedeutet das? Kinder mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam in der Schule lernen. Schulgebäude werden dazu barrierefrei umgebaut. Zusätzliche Sozialpädagogen sitzen bereits in Klassenzimmern, unterstützen Kinder mit speziellem Förderbedarf und sensibilisieren die anderen Schüler. Im Berufsleben gibt es Quoten für Menschen mit Behinderung.
Inklusion in allen Lebensbereichen umzusetzen, muss als langfristiger Prozess verstanden werden. Hierzulande ist dieser Prozess zwar noch längst nicht abgeschlossen, aber die Richtung stimmt. Die Gesellschaft öffnet sich dem Thema und wichtige Entscheidungsträger festigen nötige Rahmenbedingungen mehr und mehr.
In Bangladesch ist die Situation eine andere. Es gibt ebenfalls Institutionen und Initiativen, die Gleichberechtigung für Menschen mit Behinderung fordern und sich dafür einsetzen. Allerdings sind dies bis dato vergleichsweise wenige. Den Bemühungen, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu schaffen und Inklusion zu verwirklichen, stehen schwierige Voraussetzungen entgegen. Mangelhafte Infrastruktur und gesellschaftliche Stigmata sind große Hindernisse.
Die Versorgungsinfrastruktur ist unzureichend und marode - insbesondere außerhalb der Hauptstadt Dhaka. Auf dem Land fehlen Rehabilitationseinrichtungen. Betroffene müssen dort zur Untersuchung und Behandlung der Behinderung zumeist reguläre Krankenhäuser aufsuchen. Und in den häufigsten Fällen wirkt dann das Stigma: Die Menschen werden aufgrund der Behinderung abgelehnt, weil Vorurteile ihnen gegenüber in der Gesellschaft weitverbreitet sind. Zusammen mit den physischen Barrieren, fehlenden Rollstuhlrampen an Schulen und Universitäten sowie unzureichenden Transportmöglichkeiten, versetzen diese Vorurteile die Betroffenen in einen Status der Machtlosigkeit.
Erfahren Sie auf den Seiten 6 bis 8, mit welchen alltäglichen Hürden Menschen mit Behinderung im ländlichen Bangladesch zu kämpfen haben. Warum Armut und Behinderung zusammenhängen erklärt die Direktorin des Rehabilitationszentrums für Paralyse-Patienten, Valerie Taylor, im Interview (Seite 9 bis 11). Wie Menschen mit Behinderung in Bangladesch leben und ihre eigene Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen, lesen Sie in vier Portraits auf den Seiten 12 und 13.
Auf den Seiten 18 und 19 berichtet Frank Heinrich, Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestags, von seiner Reise nach Bangladesch im April 2014.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Sven Wagner