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Zafar Iqbal lädt Angreifer zum Gespräch ein: „Was hat dir so viel Schmerz zugefügt?“

„Macht nicht so viel Lärm. Ich versuche, meine Bewegungen zu kontrollieren so gut es geht. Meine Blutgruppe ist A positiv“, sagte Zafar Iqbal unmittelbar nachdem er am 3. März vier Messerstiche in den Kopf und einen in den Rücken erhalten hatte. Der Informatik-Professor schaute auf dem Campus der Universität von Sylhet, an der er unterrichtet, einem Roboterwettbewerb zu, als er attackiert wurde. Anwesende Gäste überwältigten den 26-jährigen Angreifer; im späteren Verhör gab er der Polizei zufolge zu Protokoll, dass er Zafar Iqbal als einen Feind des Islams betrachte und deshalb versucht habe, ihn zu töten.

Der Vorfall rief landesweit eine Welle der Solidarität hervor. In vielen Städten versammelten sich spontan Menschen, um gegen religiös motivierten Hass und für ein friedliches Miteinander zu demonstrieren. Yeshim Iqbal, die Tochter Zafar Iqbals, rief dazu auf, weiterhin unbeirrt für die eigenen Ideale einzutreten. Professor Zafar Iqbal, ein beliebter Kinderbuch-Autor und für sein Eintreten für ein säkulares Bangladesch bekannt, ist Vorsitzender des NETZ-Partners Anandalok Trust.

Am 14. März, wenige Stunden nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, steht Zafar Iqbal wieder auf dem Universitätscampus von Sylhet und sagt: „Ich fühle mit dem jungen Mann, der mich angegriffen hat. Ich bin nicht wütend auf ihn.“ Ganz direkt wendet er sich an den Angreifer: „Wie kann ein Mensch nur so unglücklich sein, dass er einen anderen töten möchte, um in den Himmel zu kommen? Ich möchte gerne wissen, was dich umtreibt, was die so viel Schmerz zugefügt hat. Besuche mich. Lass deine Waffe zu Hause. Frag mich. Ich werde all deine Fragen beantworten.“ Zafar Iqbal fährt fort: „Viele junge Menschen denken wie er. Und vielleicht steht hier, gerade jetzt in diesem Augenblick, einer von ihnen in der Menge und wundert sich, weshalb ich überlebt habe. Wenn euch das verwirrt, besucht mich. Ich habe euch etwas zu sagen.“

Von Peter Dietzel

Yeshim Iqbal am 6. März 2018: Antwort auf den Angriff auf meinen Vater

Aus dem Englischen von Boris Gemünd.

„Natürlich sind wir alle schockiert und äußerst beunruhigt. Wie viele von euch, die dies lesen, habe ich ein tiefes Gefühl von Unbehagen und Trauer darüber, dass mein Land nicht sicher ist. Dass der Universitätscampus, auf dem ich aufgewachsen bin, derselbe Ort ist, an dem mein Vater mit einem Messer angegriffen wurde, als er versuchte, sich an einem Roboterwettbewerb zu erfreuen. Ein junger Freund fragte mich verzweifelt: "Warum Yeshim? Warum solltest du in diesem Land bleiben, wenn dergleichen passiert?"

Viele Menschen scheinen über den Zustand dieses Landes zu verzweifeln. Sie fragen mich, ob meine Familie gehen wird, beklagen, dass wir in unserem Land meinen Vater im Stich gelassen haben.

Wie dem auch sei.

Es gibt da etwas, das ich euch allen sagen möchte. Tatsächlich könnte ich genauso gut faul sein und meinem Vater ein paar Worte stehlen, denn ich weiß genau, was er sagen wird, sobald er wieder auf den Beinen ist. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Und du darfst niemals aufhören, für all die Dinge zu kämpfen, die gut und schön für dich sind, für das Land, in dem du dir so sehr wünschst zu leben, und die du noch nicht ganz erreicht hast.

Nichts ist je einfach und ohne Anstrengung entstanden. Jede einzelne Sache, die du in deiner heutigen Welt genießt – eine Straße, auf der du als freier Mensch gehen kannst, eine Mahlzeit, wenn du hungrig bist, ein Arzt, wenn du krank bist, das Recht, zur Schule zu gehen, zu wählen, in einem Beruf zu arbeiten, in dem du genug verdienst, um zu leben und vielleicht eine Rikscha-Fahrt und etwas Fuchka zu essen, das wahrscheinlich deinen Magen durcheinander bringt, aber es wert ist, weil du es mit jemandem isst, der dich zum Lachen bringt. Jede einzelne Sache, die du heute genießt, wurde von jemandem erkämpft, der vor dir kam. Nichts entstand einfach so, und nie war dieser Entstehungsprozess einfach. Jemand hat dafür gekämpft, Stück für Stück, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Leute wie meine Eltern, ja, aber auch Leute wie du und ich. Es ist unser Recht und unsere Verantwortung, jedes noch so kleine Stückchen von dem, was uns gegeben wurde, zutiefst zu genießen. Und es liegt in unserer Verantwortung, weiterhin für das zu kämpfen, was wir noch nicht haben. Vielleicht erhalten es unsere Kinder.

Wenn es schwierig wird, wenn du schreien und weinen willst in der schieren Empörung hierüber – ich weiß, ich weiß, das tue ich selbst – dann planst du nicht, wie du weglaufen kannst. Du atmest tief ein. Du schaust dich um und sammelst die Einzelteile des Mutes und der Courage auf, die du vielleicht zufällig auf deinem Weg verloren hast. Du hebst dein Kinn so stur hartnäckig wie möglich an und findest heraus, in welche Richtung dein nächster Schritt geht.

Ich weiß sehr wohl, dass ich das auch deshalb sagen kann, weil mein Vater lebt und wohlauf ist und bereits darüber spricht, wie er die fünf Kurse, die er in diesem Semester unterrichten soll, abschließen wird. Ich denke jetzt besonders an die Familien und Freunde derjenigen, die in diesem Kampf ihr Leben verloren haben. Es gibt da draußen Töchter, deren Väter sich nie wieder erholt haben. Ich denke an euch.

Ich bleibe in diesem Land, weil es mir gefällt. Für mich ist dieser Ort nicht die Hässlichkeit solcher Vorfälle. Diese Vorfälle und die Menschen, die sie verursachen, sind ein Problem, mit dem wir uns dringend befassen müssen. Sie sind eher wie Warzen oder vielleicht Pilze. Sie sind ekelhaft, und sie sind möglicherweise erschienen, weil wir noch nicht gut genug gearbeitet haben, um sauber zu bleiben. Wir müssen sie entfernen.

Aber sie sind nicht das, was dieser Ort ist. Für mich sind dieses Land die einzigartigen Freiwilligen, mit denen ich bei Kaan Pete Roi (Anmerkung: das erste Notruftelefon in Bangladesch, von der Autorin initiiert) zusammenarbeite. Es ist eine Fahrt ins Chhayanaut oder Shilpakala (Anmerkung: Kultur-Institutionen in Dhaka) an jedem Tag der Woche, an dem sich mein Herz nach einem Lied sehnt. Es ist die unglaubliche Wissenschaft und Kunst und Literatur, die dieses winzige Land trotz der Misshandlungen, die es geschichtlich erlitten hat, hervorgebracht hat. Es sind die Studenten, mit denen ich oft das Privileg habe zu plaudern und von ihnen zu lernen, und es sind die jungen Kolleginnen und Kollegen meiner Eltern, die an unserem Esstisch sitzen und planen, wie sie die Dinge für ihre nächste Gruppe von Studenten verbessern können. Es ist die Beharrlichkeit von Freunden, die mich mit Kebabs aus kleinen Fischen füttern, da dies anscheinend das ist, was ein Baby braucht, um gesund aufzuwachsen. Es sind meine Mutter und mein Vater, die – täuscht euch nicht – nirgendwo hingehen.

Ich bin so dankbar, vor allem denen, die im richtigen Moment da waren und schnell und ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit gehandelt haben, um meinem Vater die nötige Hilfe zukommen zu lassen. Ich danke euch. Denen, die im ganzen Land protestieren, danke, euer Klang gibt mir Kraft. Denjenigen, die den absoluten Ozean der Liebe gebildet haben, den wir in den letzten Tagen erhalten haben, danke, ihr seid genau das, was ich brauche.

Täuscht euch nicht. Wir gehen nirgendwo hin.“

Im Original: Yeshim Iqbal (2018): Response to the Attack on my Father, posted on March 6, 2018 by yeshimiq, https://yeshimiqbal.com/2018/03/06/response-to-the-attack-on-my-father/

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