Wie geht es den Menschen in den NETZ-Projekten im politischen Umsturz?
Im Juli gab es zunächst wochenlangen Protest von Studierenden. Mitte des Monats reagierte die Regierung mit äußerster Härte mit hunderten Toten und tausenden Verletzten. Anstatt die Proteste niederzuschlagen, führte dies allerdings zur Ausweitung der Proteste. Es gab bis zu fünf Tage kein Internet im Land, das Militär setzte schließlich eine Ausgangssperre durch. Wie wirkten sich diese Geschehnisse auf die Menschen in den NETZ-Projekten aus? Und wie ist die Situation jetzt, direkt nachdem die Regierung stürzte? Während die Arbeit von NETZ als unabhängiger Organisation nicht von Regierungswechseln abhängt, prägt ein Umsturz diesen Ausmaßes aktuell das Leben in den Projektregionen.
Während der anfänglichen Proteste der Studierenden konnten die Menschen in den NETZ-Projekten noch vieles Machen. Die Dorfgruppen in den Schwerpunkten Ein Leben lang genug Reis und Klimagerechte Zukunft kamen weiter zusammen, um zu sparen und sich auszutauschen. Selbst die Wiederaufbauarbeiten nach dem Zyklon schritten voran, unter anderem schickte eine Partnerorganisation (JCF) einen Ingenieur in die betroffene Region, der seitdem dort berät.
Die Projekte für Kinder an Grundschulen waren schon bald von der Situation betroffen, da während der Proteste alle Bildungseinrichtungen in Aufruhr waren. Ab der landesweiten Ausgangssperre wurden alle Schulen geschlossen. Doch die Lehrkräfte bleiben, ähnlich wie während Covid, mit vielen Kindern in Kontakt, besonders mit Vorschulkindern und denen an Dorfschulen.
Seit die Ausgangssperre verhängt wurde, konnten sich auch die Menschenrechts-AGs und Menschenrechtsverteidiger*innen nicht mehr treffen und mussten auf telefonischen Kontakt ausweichen. Auch die Partnerorganisationen schlossen in der unübersichtlichen und aufgeladenen Situation teils ihre Büros.
Mit der Eskalation am Sonntag und der gestrigen Absetzung und Flucht der Premierministerin wurde die Situation jedoch noch unübersichtlicher und gefährlicher. Der Laden, den sich eine Projektteilnehmerin in Lalmonirhat im Norden Bangladeschs aufgebaut hatte, wurde zerstört. Glücklicherweise kamen sie und ihre Familienmitglieder nicht zu Schaden.
Insbesondere Minderheitengruppen sind in einer Situation, in der die Polizei selbst aus Furcht vor Vergeltung flieht, voller Angst und Unsicherheit. Die Menschenrechtlerin Ronita Bala aus Thakurgaon ruft weinend im NETZ-Büro an: Familien aus der Hindu-Gemeinschaft in ihrer Gegend würden erwägen, ob sie Bangladesch verlassen müssen.
Die Gruppenverbände der Projekte sind Tag und Nacht wachsam. Sie rufen einander um Hilfe und stehen sich bei. Die Projektteilnehmer*innen werden sofort aktiv, wenn sie von Gewalt gegen Hindus, Indigene und Dalits hören. Lokal bauen sie Brücken von Menschenrechtsverteidiger*innen. Gleichzeitig alarmierten sie letzte Nacht die Presse und kontaktierten Vertreter*innen der Studierendenbewegung, um Schlimmes zu verhindern.
Wie schlimm und bedrohlich die Situation ist und was mutiger Zusammenhalt bringt, zeigt die Geschichte von Lakita Mandal, die in einem Menschenrechtsprojekt arbeitet. Sie lebt zusammen mit 25 weiteren Familien in einem Dorf. Als Hindus werden sie heute Mittag plötzlich angegriffen, ihre Häuser sind das Ziel. Sie rufen sofort die anderen Mitglieder der Gruppe an und wehren sich so gut es geht. Die Menschenrechtsverteidiger*innen aus verschiedenen Dörfern kommen selbst und mit Nachbarn und können die Angreifer vertreiben, bevor irgendein Schaden entstand. Nun gilt es, sicherzustellen, dass die Angreifer nicht wiederkommen.
Nicht abgewendet werden konnte der Schaden bei einem Angriff auf indigene Gemeinschaften in Natore. 10 Häuser zerstörten die Angreifer und stahlen Kühe, Schafe, Ziegen und Hühner. Doch als die Menschenrechtsverteidiger Krishna, Ujjal und Gurup herbeieilen, flohen sie. Und nicht nur das: Noch am selben Abend brachten sie die Tiere zurück, entschuldigten sich und baten, nicht weiter über die Geschehnisse zu sprechen.
Auch die Schulen dürfen zwar schon aufmachen, aber im Moment ist noch Vorsicht geboten. Denn an zwei Anandalok Schulen wurden die standmäßig aufgehängten Bilder der jetzt ehemaligen Premierministerin von Außenstehenden entfernt und zerschlagen. Die Partnerorganisationen beobachten und dokumentieren die Geschehnisse, geben Informationen weiter und mobilisieren Schutz von bedrohten Menschen. Sie hoffen, dass die schwierigsten Momente vorbei sind und sehen Anzeichen, dass das Chaos weniger wird.