Startseite
Jetzt spenden

Textilarbeiter*innen im Streik Hoffnung auf eine Lösung

Kalpona Akter, Arbeitsrechtsaktivistin und Vorsitzende der Gewerkschaft „Bangladesh Garment and Industrial Workers Federation“, spricht im Interview mit Naimul Alam Alvi über die derzeit anhaltenden Proteste der Textilarbeiter*innen, deren Lebensumstände und ihre Forderungen nach einem existenzsichernden Mindestlohn.


Können Sie erklären, worum es bei den die jüngsten Protesten der Näherinnen und Näher in Bangladesch geht?

Der Mindestlohn für Arbeiter in Konfektionsbetrieben wurde zuletzt 2018 geprüft, als die Arbeiter 16.000 Taka (rund 160 Euro) Monatslohn forderten. Die Regierung und die Fabrikbesitzer einigten sich auf 8.000 Taka. Seitdem haben die Arbeiter*innen eine obligatorische Lohnerhöhung von fünf Prozent erhalten. Trotz der Lohnerhöhung verdienen die Berufsanfänger derzeit nur rund 9.000 Taka pro Monat.

Seit 2020 haben die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine weltweite Kostenkrise ausgelöst, von der alle betroffen sind, auch die Textil-Arbeiter*innen. Unabhängig von ihrem Lohnniveau kämpfen die Arbeitnehmer*innen darum, über die Runden zu kommen, und sind nicht in der Lage, die Grundbedürfnisse für sich und ihre Familien zu decken.

Trotz des fünfjährigen Zyklus der Mindestlohnüberprüfung scheint es auf Seiten der Fabrikbesitzer keine Vorbereitung zu geben. Ihr Vorschlag hätte früher kommen müssen, aber stattdessen haben sie Ende Oktober einen respektlosen Vorschlag gemacht, den Mindestlohn auf 10.400 Taka festzusetzen – nicht einmal die Hälfte der Forderung der Arbeitenden. Dies verärgerte die Arbeiter*innen, deren Forderung nun klar ist: entweder die Preise für wichtige Güter senken oder die Löhne erhöhen.

Aber die Stimmen der Arbeiter werden unterdrückt. Sie werden von Ordnungskräften und Schlägern verprügelt, wahllos angegriffen und vor Gericht gezerrt. Einige wurden verhaftet, was ein Klima der Angst unter den Arbeiter*innen und den Arbeitnehmerrechtsaktivisten gleichermaßen geschaffen hat. Die Eigentümer beschuldigen die Arbeiter der Verschwörung, aber wie kann es eine Verschwörung sein, wenn Eier 15 Taka pro Stück, Zwiebeln 120 Taka pro Kilo und Kartoffeln 70 Taka pro Kilo kosten?

Die Frage ist: Wie lange kann die Polizei die Arbeiter*innen unterdrücken? Die Fabrikbesitzer können sich vielleicht keine 23.000 Taka Lohn "leisten", aber der Lohn kann sicher nicht nur 10.400 oder gar 12.000 Taka betragen. Er muss es den Arbeitern ermöglichen, zu überleben, Lebensmittel zu kaufen, die Miete zu zahlen und ihre Familien zu unterstützen. Wie lange sollen die Arbeiter noch stillschweigend leiden, wenn die Löhne stagnieren, sie nicht in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, und es keinen nennenswerten Zuwachs zwischen Einsteigern und Facharbeitern gibt?

Die Fabrikbesitzer argumentieren, dass sie aufgrund des Wettbewerbsdrucks auf dem Markt und der Notwendigkeit, die Preise niedrig zu halten, nicht in der Lage sind, die Mindestlöhne oder die Löhne insgesamt zu erhöhen. Was sagen Sie dazu?

Die Fabrikbesitzer*innen behaupten, sie müssten aufgrund der niedrigen Preise der Abnehmer kostengünstige Produkte herstellen. Sie schaffen ein wettbewerbsfähiges Umfeld sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene. Bangladesch ist jedoch der zweitgrößte Bekleidungsproduzent der Welt. Wenn wir es nicht schaffen, unsere Position zu stärken und mit unseren Käufer*innen zu verhandeln, um einen Mindestpreis festzulegen, unter den wir nicht fallen, ist das entmutigend. Wir haben mächtige Verbands-Organisationen wie den BGMEA und den BKMEA. Was tun diese? Warum fördern sie vielmehr den internen Wettbewerb in unserem Sektor? Was ist dann der Zweck ihres Verbandes? Solange sie nicht lernen, nein zu sagen, werden sie weiterhin nur billige Kleidung produzieren und keinen Gewinn (im internationalen Wettbewerb) verlangen. Dennoch sehen wir, dass viele Fabrikbesitzer ihre Geschäfte ausweiten und neue Fabriken bauen. Wenn sie das Geld für Lohn nicht haben, ist es mir ein Rätsel, wie sie die Mittel für den Bau dieser Fabriken aufbringen.

Warum glauben Sie, dass Fabrikbesitzer den Druck der Einkäufer auf die Arbeiter umlenken (wenn solche Forderungen auftauchen) und eher Ausreden vorbringen, etwa dass die internationalen Einkäufer abgeschreckt würden – anstatt über bessere Preise und damit bessere Löhne für die Arbeiter zu verhandeln?

Sie sind schlicht damit durchgekommen, Druck auf die Arbeiter*innen auszuüben. Die Fabrikbesitzer *innen haben sich bei der Regierung untergehakt. Wenn die Gesetzgeber*innen die Fabrikbesitzer selbst sind, wohin soll ich mich dann wenden, um Gerechtigkeit zu erlangen? Wo ist die unparteiische Stelle, die den Arbeitnehmer*innen zuhört? Die Regierung ist nicht neutral. Ein hoher Prozentsatz der Abgeordneten sind selbst Besitzer von Bekleidungsfabriken. Sie sind um sich selbst besorgt, nicht um die Arbeiter*innen. Mit ihrer "Macht" versuchen sie, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Arbeitsrechtsaktivisten und die Gewerkschaftsmitglieder zum Schweigen zu bringen. Ihre Strategie sieht keine Verhandlungen mit den Käufern vor.

Sie hätten sich bereits 2022 mit den Vertretern der internationalen Einkäufer treffen sollen. Sie hätten sie darüber informieren müssen, dass die Löhne der Arbeiter*innen in Bangladesch im folgenden Jahr erhöht werden müssten, und eine Mindestpreisgrenze festlegen sollen, an die sich die Käufer halten müssen. Stattdessen wurden die Arbeiter unterdrückt, wann immer es eine Bewegung gab, die eine Erhöhung der Löhne forderte. Gegen die protestierenden Arbeiter wurden Verfahren eingeleitet, sie wurden entlassen und auf eine schwarze Liste gesetzt. Den Fabrikbesitzern ist dies gelungen, weil sie die Macht, das Geld und die Verwaltungsbefugnisse haben, über die die Arbeitnehmer nicht verfügen.

Es gibt jedoch Hoffnung auf eine Lösung. Viele der Einkäuferländer arbeiten an Gesetzen für eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht: Deutschland, Frankreich und die Niederlande haben sie bereits erlassen, und auch die Europäische Union wird ein solches Gesetz verabschieden. Eines der Elemente solcher Gesetze ist die Gewährleistung eines existenzsichernden Lohns für Arbeitnehmer*innen. Wir versuchen sicherzustellen, dass die Frage des existenzsichernden Lohns auch für die beitragenden Länder gilt, so dass sich die Beschaffungsländer nicht mit der Begründung aus der Verantwortung stehlen können, dass die Herstellerländer für den existenzsichernden Lohn der Arbeitnehmer sorgen werden. Wir sagen: Nein, die Unternehmen, die Waren aus den Herstellerländern beziehen, müssen sicherstellen, dass sie genug zahlen und dass das Geld zu den existenzsichernden Löhnen beiträgt.

Eine weitere Möglichkeit würde sich ergeben, wenn die Macht hier neutralisiert wird. Und dazu muss man die Möglichkeit schaffen, in den Fabriken freie Gewerkschaften zu bilden. Nur wenn es die Möglichkeit für freie Gewerkschaften gibt, werden die Arbeiter*innen Macht in Tarifverträgen haben. Sie werden in der Lage sein zu entscheiden, ob sie die obligatorische fünfprozentige Erhöhung akzeptieren oder zehn Prozent fordern, ob die Lohnüberprüfung alle fünf Jahre oder alle drei Jahre stattfinden soll.

Wir sehen, dass Textil-Arbeiter häufig auf die Straße gehen, um Lohnerhöhungen und andere Verbesserungen zu fordern. Warum muss dies so oft geschehen?

Der rechtliche Rahmen ist vorhanden. Das Gesetz besagt eindeutig, dass der Eigentümer, der Arbeitnehmer oder die Regierung die Lohnstruktur nach drei Jahren überprüfen können, wenn die Inflationsrate hoch ist. Obligatorisch ist sie erst nach fünf Jahren. Die Arbeitnehmer sollten nicht auf die Straße gehen müssen. Das Verfahren sollte alle fünf Jahre eine Sitzung des Lohnausschusses vorsehen. Beide Parteien unterbreiten Vorschläge, es wird diskutiert, und der Lohn wird bekannt gegeben.

Ich habe mit Arbeitsrechtsaktivisten in Kerala, in Indien, gesprochen; und sie waren überrascht zu erfahren, dass unser Mindestlohn alle fünf Jahre überprüft wird. Dort wird jährlich eine Prüfung durchgeführt, und die Arbeitnehmer müssen dafür nicht auf die Straße gehen. Die Überprüfung der Löhne liegt in der Verantwortung der Eigentümer. Sie geben einen Lohn bekannt, der sich an der Inflationsrate orientiert. Wenn unser Nachbarland das kann, warum können wir es nicht auch? Warum fünf Jahre warten, warum nicht jedes Jahr die Löhne überprüfen?

Repressionen können die Stimmen der Arbeitnehmer*innen und die Arbeiterbewegungen niemals zum Schweigen bringen. Sie muss systematisch angegangen werden. Wir müssen Diskussionen führen und den Arbeitnehmern eine Plattform für den Dialog bieten, beispielsweise eine Gewerkschaft. Der zweite Schritt besteht darin, das Profitparadigma zu überwinden. Wenn wir die Arbeitnehmer nicht in die Gewinnbeteiligung einbeziehen, wird diese Gegenreaktion weitergehen. Die Arbeitnehmer als Teil der Eigentümerfamilien zu bezeichnen, ist ein bloßes Lippenbekenntnis, wenn wir nicht von ganzem Herzen daran glauben und dies durch unser Handeln unter Beweis stellen.

Quelle: The Daily Star

Mehr BeiträgeAlle Beiträge

Ihre Spende kommt an.

mehr erfahren

Betrag wählen

Sichere
SSL-Verbindung

Mit 41 € ermöglichen Sie...

einem Mädchen die Teilnahme an einem mehrtägigen Selbstverteidigungskurs

Mit 58 € fördern Sie

... den Einsatz einer Menschenrechtsaktivistin für zwölf Monate.

Schülerinnen der Menschenrechts-AG

Mit 500 € fördern Sie ein Jahr lang...

eine Menschenrechts-AG an einer Schule, die sich für Frauenrechte und gegen Kinder-Ehen einsetzt.