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Über die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft „Doch, Ihr könnt etwas verändern!“

Bangladesch entwickelt sich: Autobahnen, Kraftwerke und riesige Wohnsiedlungen in Städten werden gebaut. Braucht es da überhaupt noch das Engagement von NGOs?

Es tut sich viel, besonders was die Infrastruktur und Versorgung angeht. Bei Entwicklung denken wir meist an etwas Fortschrittliches. Aber es gib auch negative Entwicklungen. Und wie sollen die thematisiert werden? Es braucht jemanden, der Probleme benennt und die Politik aufmerksam macht. Ein Beispiel ist der zunehmende Fundamentalismus. Es gibt Aktivisten, die mit einem sehr konservativen, rückwärtsgewandten Glaubensverständnis die Gesellschaft beeinflussen. So werden Konflikte, gar ein feindschaftliches Religionsverhältnis geschürt. Wirtschaftliche Entwicklung ist das eine, aber zu Entwicklung zählen auch soziale Werte, die es zu stärken gilt.

Und das soll die Aufgabe von NGOs sein?

In Schulen, an denen unsere Friedensinitiative aktiv ist, sitzen Schüler*innen aller gesellschaftlichen Gruppen zusammen und befassen sich mit der Frage, wie ein gerechtes Miteinander gelingen kann. Darunter sind viele Kinder indigener Gemeinschaften, die zumeist unterhalb der Armutsgrenze leben und gesellschaftlich ausgegrenzt sind: Die Familien haben kein eigenes Land, vergleichsweise wenige Einkommensquellen, kaum Bildungschancen und vor allem keine Fürsprecher*innen innerhalb der Gesellschaft.

Wie lässt sich das ändern? Wir versuchen, die Leute gezielt zu unterstützen, ihre Selbstsicherheit zu stärken und sagen: Doch, ihr könnt etwas verändern! Die Menschen sind Bürger*innen dieses Staates, sie haben Rechte. Dass wir sie unterstützen, ist eine prinzipielle Frage von Menschenrechten und Gerechtigkeit. Und entsprechend gilt es beispielsweise zu hinterfragen, warum eine Frau für die gleiche Arbeit auf einem Reisfeld nur 300, ein Mann aber 500 Taka am Tag verdient. Warum gibt es diesen Unterschied? Mancher sagt, das ist doch das System, das war schon immer so. Wir sagen: Nein, es ist Unrecht, das überwunden werden muss. Und wenn die Leute das schaffen, indem sie gemeinsam auftreten, ihre Rechte durchsetzen und von der Gesellschaft wahrgenommen werden, inspiriert das immer auch andere.

Oft wird behauptet, Menschenrechte seien nur eine konstruierte, westliche Idee.

Ein Lokalpolitiker hat mir stets davon erzählt, wie alle Menschen in seiner Region gleichbehandelt würden, und dass es keine Diskriminierung gebe. Später berichtete er stolz, dass er ein Projekt gestartet habe, um die indigenen Gemeinschaften mit Trinkwasser zu versorgen. Da habe ich ihn gefragt: Warum eigentlich? Wenn erst jetzt Brunnen für diese Leute gebaut werden, heißt das doch, dass sie vorher nicht zu ihrem Recht auf Wasser gekommen sind, so wie die anderen Bewohner*innen. Obwohl das Recht auf Wasser in unseren Gesetzen festgeschrieben ist. Und: Ist das also eine westliche Idee? Wenn wir über Menschenrechte sprechen, geht es auch um Wasser, Ernährung, Bildung. Menschen in Armut mangelt es daran. Sie können ihr Recht darauf nicht wahrnehmen. Was soll daran konstruiert sein?

Die Menschenrechtsarbeit stärkt den Zusammenhalt. Warum ist das wichtig – und wie wichtig ist die Zivilgesellschaft selbst?

Jede Gesellschaft hat bestimmte formelle wie informelle Strukturen, nach denen sie funktioniert. Eine Regierung kann zwar Regeln aufstellen und Gesetze erlassen, aber damit nicht unbedingt automatisch althergebrachte gesellschaftliche Muster ändern. Das kann nur die Gesellschaft selbst, Wandel zum Positiven muss aus ihr heraus erfolgen. Viele Strukturen sind problematisch: Tagelöhner*innen haben ihren gesellschaftlichen Stand derart verinnerlicht, dass sie es für unmöglich halten, einmal unter besseren Umständen zu leben. Währenddessen sieht sich die lokale Politik mitunter als Wohltäterin, wenn sie Ärmeren etwas abgibt. Dass die Vergabe von Sozialleistungen als Gefallen verstanden wird, ist sehr problematisch. Solche Leistungen sind ein Recht, das ist vielen gar nicht klar. Diese Geisteshaltung muss sich ändern, darüber braucht es eine gesamtgesellschaftliche Diskussion – und dafür braucht es die Zivilgesellschaft. Sie gibt wichtige Anstöße, sie kann alle gesellschaftlichen Gruppen einbeziehen – damit niemand außen vor bleibt.

Ein wesentlicher Teil der Friedensinitiative ist der Demokratische Dialog. Warum?

Es ist immer wieder die Rede von der sogenannten guten Regierungsführung, die von der Politik eingefordert wird. Im Grunde geht es dabei schlicht um den Austausch zwischen Politik und Bürger*innen – und genau den macht der Demokratische Dialog in einem strukturierten Rahmen möglich. Zu diesen Treffen werden Vertreter*innen von Politik, Polizei, verschiedenen Religionsgruppen und Behörden eingeladen. Dort treffen sie auf Mitglieder der Friedensinitiative, Vertreter*innen indigener Gruppen und arme Menschen. Alle werden an einen Tisch geholt, um Probleme zu lösen. Dort sprechen die Bürger*innen drängende Themen und Herausforderungen an: Die Vielzahl von Kinderehen, Fälle häuslicher Gewalt, Land- und Ressourcenkonflikte. Dadurch kommen nach und nach viele weitere Themen auf. Jemand sagte mal bei einem Treffen nach längerer Diskussion: Wir verlaufen uns gerade in Details. Doch genau darum geht es: Austausch zu allem, was die Menschen betrifft. So kamen in der Runde Rentenzahlungen über das Sozialsicherungsnetz zur Sprache, die mehrere Witwen der Region nicht rechtmäßig erhalten hatten. Ihre Stimmen wurden gehört, das Problem wurde gelöst.

Gibt es auch Hindernisse dabei?

Manchmal geben sich Politiker*innen sehr engagiert, weil es ihnen vor allem darum geht, bei den nächsten Wahlen viele Stimmen einzusammeln. Davon abgesehen können wir durch Gespräche auch nicht alle Probleme lösen: Wenn ein Gemeinderatsvorsitzender 50.000 Menschen zu versorgen hat, aber von der Regierung nur Geld für deutlich weniger Leute zur Verfügung gestellt bekommt, dann ist das ein Problem. Man kann es dem Amtsträger in dem Fall nicht vorwerfen, dass er nicht jeden berücksichtigt. Seine Ressourcen sind einfach begrenzt. In dem Fall kann der Demokratische Dialog aber gegenseitiges Verständnis schaffen – indem die Betroffenen erkennen, woran es liegt, dass sie vielleicht keine Leistungen bekommen haben.

Gibt es Beispiele, die Sie bereits erlebt haben?

Bei einigen Sozialsicherungsleistungen gibt es Richtlinien, die man kennen muss: Unterstützung für Schwangere wird erst ab dem Alter von 20 Jahren gezahlt. Denn es soll kein Anreiz geschaffen werden, Frauen und Mädchen vor dem gesetzlichen Mindestalter zu verheiraten. Eine 17-Jährige kam zu uns, wütend, weil sie keine Leistungen erhielt. Sie wusste allerdings nichts von den Rahmenbedingungen. Auch eine ältere Frau, 70 Jahre, beschwerte sich über den Gemeinderatsvorsitzenden, weil sie keine Witwenrente bekam. Wie sich herausstellte, war in ihrem Ausweis ein Alter von 50 Jahren angegeben – weswegen sie offiziell nicht infrage kam. Sie selbst konnte ihren Ausweis nicht lesen. Und als er damals ausgestellt wurde, hatten Beamt*innen einfach ein Alter geschätzt, das ihr gar nicht entsprach. So entstehen Missverständnisse, die es aufzuklären gilt. Durch Austausch lassen sich solche Probleme lösen, und es kommt nicht zu Konflikten.

Die Friedensinitiative spricht auch Jüngere an, es werden Foren an Schulen gegründet und Selbstverteidigungskurse für Mädchen angeboten. Warum steht diese Gruppe im Fokus?

Wir wollen langfristige positive Veränderungen in der Gesellschaft erreichen. Und die Heranwachsenden sind die Macher*innen von morgen, die sogenannten Change-Maker. Wenn es gelingt, eine verantwortungsbewusste Generation auszubilden, die mit einem besseren Verständnis für die sozialen Probleme aufwächst, ist Veränderung möglich. Bildung ist ein Schlüssel: Durch die Armutsbekämpfung hat sich die Lebenssituation vieler Menschen verbessert, deren Kinder gehen jetzt – anders als einst die Elterngeneration – zur Schule. Sie eignen sich dort Wissen an und können das an ihre Eltern, Großeltern und das Umfeld weitergeben. Der Effekt ist groß, auch wenn es dauert. Denn gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich nicht von heute auf morgen. Dabei gab es auch durchaus Bedenken: Wir haben die Selbstverteidigungskurse zunächst an vier Schulen angeboten und wussten nicht, wie das Echo ausfallen wird. Werden sich Eltern oder Religionsvorsteher aus der Nachbarschaft beschweren, wenn Mädchen, die eigentlich eine sehr passive und untergeordnete Rolle in der Familie haben, plötzlich draußen im Karatemantel Übungen machen? Es zeigte sich aber, dass Menschen im Umfeld, andere Lehrer und Eltern die Idee sehr begrüßten.

Auch Theatergruppen werden an Schulen gegründet. Warum?

Nur auf der Schulbank sitzen und lernen ist ja auch langweilig. Durch diese Form der Kulturarbeit können sich Kinder ausleben und noch viel mehr Spaß im schulischen Umfeld haben. Sie verinnerlichen dadurch auch die Inhalte der Friedensinitiative, geben das an Mitschüler*innen und das Umfeld weiter – etwa, indem sie öffentlich bei Gemeindeveranstaltungen auftreten oder bei Schulfesten. Das Ganze hat einen weiteren Effekt: Diese Form des Theaterspielens war früher im ganzen Land bekannt. Jugendliche haben sich in ihrer Freizeit getroffen und aufgeführt. Heute gibt es dieses sogenannte Yatra-Theater, bei dem Laienschauspieler*innen durch die Dörfer ziehen, nur noch sehr selten und zu ausgewählten Festen. Wir beleben mit den Theatergruppen also auch diese Kultur wieder.

Sie sprechen großen Veränderungen, die Zeit brauchen. Aber Projekte sind immer zeitlich und finanziell begrenzt.

Wir versuchen, die Ideen an möglichst viele Leute weiterzugeben. Oft fragen Schuldirektor*innen, ob sie nicht auch beim Projekt mitmachen können. Dann sage ich: Übernehmt selbst die Initiative, diskutiert im Unterricht darüber. Leider haben wir nur begrenzte Budgets, mit denen wir arbeiten. Aber die Idee dahinter – Frieden fördern, Konflikttransformation, Gewaltfreiheit – ist viel weitreichender.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Die Barind-Region, in der wir leben, sollte mehr wahrgenommen werden. Beim Thema Indigene denkt jeder zuerst an die Chittagong Hill Tracts im Südosten des Landes. Dort lebt gut eine Million Menschen indigener Gruppen. Hier bei uns sind es zwei Millionen. Und es wird kaum über deren Rechte und Bedürfnisse gesprochen. In Bangladesch gibt es alle zehn Jahre einen Zensus, bei dem Zahlen zur Bevölkerung erhoben werden: Informationen zum Geschlechterverhältnis, Religionszugehörigkeiten oder Wohnformen. Es kommt vor, dass etwa Menschen der indigenen Gemeinschaft der Santal als Christen gezählt werden. Wodurch sich ihre offizielle Zahl deutlich schmälert. In einem Dorf sind es dann vielleicht nur 120 statt 2000. In der Folge werden sie immer weniger wahrgenommen – wie sollen sie also ihre Rechte durchsetzen?

Spielt auch der Klimawandel eine Rolle?

Konflikte nehmen aufgrund des Klimawandels zu, denn es gibt immer weniger fruchtbares Land und Trinkwasser. Hier ist eine Dürreregion. Für viele Kleinbauernfamilien war Reis lange das wichtigste Gut. Er bringt Arbeit auf den Feldern, man isst ihn täglich. Nun ändern sich durch den Klimawandel Anbaumuster, Großgrundbesitzerfamilien nutzen Land vermehrt für Mangoplantagen. Da aber wird nur einmal im Jahr geerntet. Es werden weniger Arbeitskräfte gebraucht, Menschen verlieren ihre Jobs. Und: Wir sprechen immer über die Stärkung und Selbstbestimmung von Frauen. Doch die Situation jetzt zwingt sie, wieder zu Hause zu bleiben. Sie werden wieder wirtschaftlich abhängig vom Ehemann. Wie soll das in zehn Jahren aussehen? Der Klimawandel ist ein großes Risiko und hat jetzt schon solche Effekte. Wenn das so weitergeht, dann könnte die Barind-Region noch viel stärker getroffen werden als die ebenfalls sehr gefährdete Küstenregion im Süden Bangladeschs.

Interview: Sven Wagner

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