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Kommentar von Taslima Akhter Der Kampf um Gerechtigkeit nach Rana Plaza

Es sind fast 12 Jahre vergangen, doch die Erinnerungen an den Tag des Rana Plaza Einsturzes un der Schmerz sind noch immer präsent.

Der Ort war damals mit Blechwänden und Stacheldraht abgesperrt. Dahinter verbarg sich das, was man nur als Friedhof bezeichnen kann – menschliche Überreste vermischt mit Staub, Ziegeln und Betonbrocken. Bei einer näheren Betrachtung konnte man Zähne, Knochen oder sogar Schädel finden. Der Gedanke daran lässt mich heute noch erschauern. Der Boden war uneben, mit Hügeln und Vertiefungen. Überall lagen zerrissene Stofffetzen in Rot, Blau und Violett, stumme Zeugen der Körper, die sie einst bedeckt hatten. Es sah aus wie ein Land, das von einem brutalen Sturm heimgesucht worden war. Allein der Gedanke daran lässt mich heute noch erschauern. Aber diese Zerstörung war nicht von der Natur verursacht, sondern von Menschenhand – durch Nachlässigkeit, Gier und das Versagen jener, die Leben hätten schützen sollen. Es war ein Massaker, still und kalt.

Am 24. April 2013, als das neunstöckige Gebäude von Rana Plaza einstürzte, wurden über tausend Arbeiter*innen von Zement, Maschinen und Metall begraben. Es war keine Naturkatastrophe, kein Unfall und auch keine Strafe Gottes – es war eine Katastrophe, die durch
strukturelle Missstände und das Ignorieren von Sicherheitsvorkehrungen ausgelöst wurde.

Auch fast 12 Jahre später wird dieser Tag nicht vergessen. An jenem Morgen in Savar, nur 21 Kilometer von Dhaka entfernt, verloren mehr als 1.100 Arbeiter*innen ihr Leben. Doch auch jetzt, nach so vielen Jahren, sind noch immer 162 Menschen vermisst. Dies ist nicht nur eine Zahl. Es waren Menschen mit Träumen, mit Familien, die täglich zur Arbeit gingen, um für ein besseres Leben zu kämpfen.

Die Arbeiter*innen kamen wie gewohnt zur Arbeit. In den oberen Etagen des Gebäudes befanden sich fünf Textilfabriken. Im Erdgeschoss waren Geschäfte und Banken untergebracht. Das Gebäude war unsicher. Gerüchte über Risse verbreiteten sich, doch die Arbeiter*innen wurden von der Fabrikleitung unter Druck gesetzt, das Gebäude zu betreten. Die Sicherheit war den Fabrikbesitzern weniger wichtig als die
Erfüllung von Aufträgen und pünktliche Lieferungen.

Dann, mit einem ohrenbetäubenden Krachen, stürzte das Gebäude ein. Überlebende berichteten von dem Gefühl, lebendig begraben zu werden. In der Dunkelheit, umgeben von Trümmern, versuchten sie verzweifelt, sich gegenseitig zu helfen. Einige schrien nach Hilfe, andere flüsterten Gebete. Doch viele der Überlebenden kämpften um ihr Leben und erlebten die grausamen Szenen eines tödlichen Massakers: Zerschmetterte Körper, abgetrennte Gliedmaßen, und zerbrochene Träume.

Jasmine, eine der Überlebenden, erzählte mir von ihrer herzzerreißenden Erfahrung. „Ich war eingeklemmt und hatte alle Hoffnung verloren“, sagte sie. „Ein unbekannter Mann drückte mich fest an seine Brust. Als Frau wäre es normalerweise undenkbar gewesen, sich so an einen Fremden zu lehnen. Aber in diesem Moment zählte nur der Wunsch, zu leben und meine Tochter wiederzusehen.“ Dank diesem unbekannten Mann überlebte sie.

Offiziellen Angaben zufolge starben 1.136 Menschen, doch unter Berücksichtigung der Vermissten und DNA-Spuren steigt die Zahl auf mehr als 1.175. Diese Arbeiter*innen waren nicht nur Zahlen in einer Statistik. Sie waren Mütter, Väter, Töchter und Söhne – Menschen mit Hoffnungen und Träumen, die eine wichtige Rolle in der Wirtschaft des Landes spielten. Wir können und dürfen sie nicht einfach vergessen. Doch die Verantwortung für diese Todesfälle wurde nie übernommen. Die Gerechtigkeit blieb aus. Sohel Rana, der Eigentümer von Rana Plaza, und viele andere Verantwortliche haben keine Konsequenzen zu befürchten.

Zwar hat sich der Bekleidungssektor seitdem verändert - grüne Fabriken, neue Märkte und eine boomende Industrien - aber der Fortschritt für die Arbeiter*innen bleibt fraglich. Die Entschädigungsregulierungen wurden nicht geändert, und die Überlebenden kämpfen weiterhin mit einem Mindestlohn von 12.500 Taka um ein Leben in Würde. Der Ort des Einsturz bleibt ungesichert, und es gibt keine Gedenkstätte für die Opfer von Rana Plaza oder anderen Industriekatastrophen wie Tazreen Fashion und Hashem Foods.

Ihr Kampf darf nicht vergessen werden. In einem neuen Bangladesch, das von der Bevölkerung selbst gestaltet wird, muss Gerechtigkeit herrschen. Es ist an der Zeit, dass wir den 24. April nicht nur als Tag der Trauer, sondern auch als Tag der Erneuerung begehen. Der Kampf für Gerechtigkeit muss weitergehen – für die Verstorbenen und für die Lebenden. Dieses Versprechen müssen wir einhalten.

Taslima Akhter setzt sich als Vorsitzende der Gewerkschaft Bangladesh Garment Sramik Samhati (Bangladesh Garment Workers Solidarity, BGWS) für die Rechte von Textilarbeiter*innen ein. Als freiberufliche Fotografin dokumentiert sie seit über 15 Jahren das Leben und die Kämpfe der Arbeiter*innen.


Die geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung der Autorin wider.

Dieser Artikel erschien im Englischen Original am 24.04.2025 in der Zeitung "The Daily Star".

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