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Herausfordernde Förderung

Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie treffen sozial Benachteiligte und Menschen mit geringem Einkommen besonders hart, sowohl im Globalen Norden als auch im Globalen Süden. Wie die Pandemie die strukturellen Ursachen für Armut und Exklusion, die seit Jahrzehnten bestehen, verstärkt, zeigt sich in Bangladesch besonders drastisch. Doch Maßnahmen, die die fatalen Folgen von Lockdowns und anderen Einschränkungen für vulnerable Gruppen abmildern sollen, greifen häufig viel zu kurz.

Von Dirk Saam

Die Regierung Bangladeschs hat – zum Teil in Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft – zahlreiche begrüßenswerte Maßnahmen ergriffen, um den gesundheitlichen Folgen der Corona- Pandemie im Land zu begegnen und die wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns einzudämmen. Dazu gehören die Ausweitung von Behandlungskapazitäten in Krankenhäusern und -stationen sowie die Kooperation zwischen NGOs und Lokalverwaltungen zur Verteilung von Hilfsmaßnahmen für Bedürftige. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Pandemie hier – und auch weltweit – bereits bestehende soziale Probleme drastisch offengelegt und sogar verstärkt hat: In Bangladesch haben wechselnde Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten eine politische Kultur begünstigt, die Korruption und Oligarchie kaum eingedämmt, soziale Ungleichheiten verstärkt sowie den Bildungs- und Gesundheitssektor zunehmend privatisiert hat. Vor allem für extrem arme und gesellschaftlich ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen wirkt die Verknüpfung dieser politischen Kultur mit der Pandemie in wachsendem Ausmaß existenzbedrohend.

Aber auch die internationale staatliche Entwicklungszusammenarbeit steht in der Kritik: Der ehemalige UNSonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, Philip Alston, verwies bereits im Juli 2020 im Rahmen seines Berichtes an den UN-Menschenrechtrat auf Defizite bei der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit weltweit und prangerte an, dass Maßnahmen in der Vergangenheit zu kurz gegriffen hätten. Alston attestierte der internationalen Gemeinschaft eine miserable Bilanz, die dieser Pandemie weit vorausgegangen sei. Die Vereinten Nationen, führende Politiker*innen der Welt und Expert*innen hätten eine „selbstgefällige Botschaft“ vom bevorstehenden Sieg über die Armut verbreitet, sich dabei aber zumeist rein auf die monetäre Armutsgrenze der Weltbank gestützt, die für die Messung solcher Fortschritte aber völlig ungeeignet sei. Durch das Festhalten an diesem Indikator, der soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Teilhabe nicht berücksichtige, habe man „ein Jahrzehnt im Kampf gegen die Armut vergeudet und Reformen blockiert, die die schlimmsten Auswirkungen der Pandemie hätten verhindern können“. Covid-19, so Alston, habe nun aufgezeigt, wie verwundbar arme und marginalisierte Menschen trotz jahrzehntelanger Entwicklungszusammenarbeit noch immer sind.

In Bangladesch erklärte der renommierte Think Tank Centre for Policy Dialogue schon im Juni 2020 einen Pandemie-bedingten Anstieg der Armut im Land: rund 35 Prozent der Gesamtbevölkerung, also fast 50 Millionen Menschen, leben demnach nun unter der Armutsgrenze. Zu den akut Betroffenen gehören vor allem Menschen, die im informellen Sektor tätig sind und deren Einkommensausfälle nicht durch Gespartes oder das soziale Sicherungssystem abgefedert werden können. Außerdem Angehörige indigener Gruppen und religiöser Minderheiten, die schon vor der Pandemie vom Zugang zu sozialen Dienstleistungen weitgehend ausgeschlossen waren und kaum bürgerlichpolitische Rechte wahrnehmen konnten.

Frauen gehören zu der am stärksten von der Pandemie betroffenen Gruppe – in Bangladesch und weltweit. 91 Prozent der Arbeiterinnen in Bangladesch sind im informellen Sektor tätig. Und jene Arbeitsverhältnisse haben mit Beginn der Pandemie und den Lockdowns am schnellsten geendet – ohne Kompensationen oder anderweitige Absicherungen. Zudem verstärkt die Pandemie die Auswirkungen patriarchaler Machtstrukturen und somit auch die Gewalt gegen Frauen: UN Women, verantwortlich für die Förderung von Frauen und Geschlechtergleichheit bei den Vereinten Nationen, berichtet, dass in den zwölf Monaten vor Beginn der Pandemie weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen von ihren Partnern geschlagen, verbal oder sexuell misshandelt wurden. Und der Ausbruch der Corona- Krise 2020 habe, so UN Women, zu einer Schatten- Pandemie geführt, da die geschlechterspezifische Gewalt im Schatten der Pandemiebekämpfung massiv zugenommen hat. Umfragen der bangladeschischen Menschenrechtsorganisationen Manusher Jonno Foundation und Ain-o-Shalish Kendra im Juni und Oktober 2020 zeigen einen deutlichen Anstieg von Fällen mentaler, physischer und sexualisierter Gewalt in Bangladesch, vornehmlich wurden diese jeweils im häuslichen Kontext durch den Ehepartner verübt.

Die bangladeschischen Behörden haben im April 2020 ein Soforthilfeprogramm im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar aufgelegt: zur Unterstützung für den Gesundheitssektor, für vulnerable Bevölkerungsgruppen, für Subventionen von landwirtschaftlicher Arbeit und für Lohnzuschüsse für Arbeitnehmer*innen in der Exportindustrie. Die internationale Gemeinschaft hat das Land dabei unterstützt. So bewilligte beispielsweise die Weltbank bereits im April 2020 eine Schnellfinanzierung in Höhe von 100 Millionen US-Dollar, um Bangladeschs Gesundheitswesen zu stärken. Die EU, Deutschland und weitere EUMitgliedstaaten haben im Mai 2020 angekündigt, 334 Millionen Euro an staatlichen Corona-Soforthilfemaßnah- men für Bangladesch bereitzustellen, um etwa die Präventions-, Diagnostik- und Behandlungskapazitäten in den Camps der geflüchteten Rohinyga auszuweiten und die Folgen des Lockdowns für die in der exportorientierten Textilindustrie angestellten Arbeiter*innen abzufedern. Aber: Nur 714.000 Euro wurden für die extrem armen und vulnerablen Bevölkerungsteile in der Hauptstadt Dhaka und den ländlichen Regionen zugesagt. Eine Aktualsierung der Zahlen liegt bis heute nicht vor. Das ist ein vergleichsweise äußerst geringer Betrag, wenn man die wachsende Armut im Blick hat. Dass das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen weitere 50.000 extrem arme Menschen in Dhaka mit Nothilfemaßnahmen unterstützt, ändert daran auch nichts. Marginalisierte Bevölkerungsgruppen auf dem Land und Menschen, die im informellen Sektor tätig sind, werden also bei der Unterstützung extrem vernachlässigt.

Bangladeschs Regierung hat das Problem nun offenbar allmählich erkannt: Ein erster Schritt im April dieses Jahres war die Ankündigung eines Konjunkturpaketes für Arbeitende im informellen Sektor in Höhe von 85 Millionen Euro. 3,4 Millionen Menschen, etwa Rikscha-Fahrer*innen, Kleinbäuer*innen und Kleinstgewerbetreibende, sollen die insgesamt rund 25 Euro pro Anspruchsberechtigten erhalten.

Die jetzigen internationalen Corona-Soforthilfemaßnahmen müssen im Kontext der mittel- und langfristig ausgerichteten staatlichen Entwicklungszusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft verstanden werden: Extreme Armut im ländlichen Raum wird künftig nicht mehr im Fokus der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit in Bangladesch stehen. Die laufenden Konsultationen zur Erstellung der EU-Länderstrategie für Bangladesch für die Jahre 2021 bis 2027 beispielsweise lassen erahnen, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union kein Schwerpunkt auf Armutsbekämpfung gesetzt werden wird.

Auch wenn also weitere bi- und multilaterale staatliche Unterstützung für Bangladesch fließt und bestehende Projekte zur Armutsbekämpfung coronabedingt finanziell aufgestockt wurden: Die Gefahr besteht, dass die von der Pandemie besonders betroffenen und in die Armut abgerutschten Menschen gesellschaftlich ausgeschlossen bleiben und ihre wirtschaftliche Situation dauerhaft nicht wieder zum Besseren änderkönnen.

Die Unterstützung ausgewählter extrem vulnerabler Familien mit Bargeld hat bisher nicht angemessen funktioniert: Bangladeschische Medien berichteten Mitte 2020 über Fortschritte bei der kostenlosen Verteilung von Nahrungsmitteln an Menschen, die durch den pandemiebedingten Lockdown arbeitslos geworden waren. Mehr als 2,5 Millionen erhielten zwischen April und Juni Reis und Bargeld, 6,7 Millionen Familien bekamen zudem subventionierten günstigeren Reis. Doch die Unterstützung ausgewählter extrem vulnerabler Familien mit Bargeld ist bis heute fragwürdig: Im Rahmen des Pakets sollten fünf Millionen Familien je 25 Euro erhalten – die Verteilung wurde jedoch nach Korruptionsvorwürfen gestoppt.

Transparency International Bangladesh (TIB) hat im November 2020 einen Bericht zu Korruption bei der Vergabe von staatlichen Direktzahlungen an die extrem arme Bevölkerung im Zuge von Covid- 19 veröffentlicht. Das Ergebnis: 69 Prozent der als Begünstigte registrierten Befragten hatten noch keine Zahlung erhalten. Von den Befragten musste ein Fünftel Bestechungsgelder zahlen, um überhaupt in die Liste aufgenommen zu werden. Darüber hinaus gaben 103 Personen an, dass sie ihre „politische Identität“ nachweisen mussten, um in die Liste der Begünstigten aufgenommen zu werden. Im Gegenzug zu Leistungen sollten sie sich also – womöglich zur kommenden Wahl – loyal zu politischen Parteien verhalten. Von denjenigen, die das Geld erhielten, gaben knapp 30 Prozent an, dass ihr Bankvertreter eine Provision von dem Betrag abgezogen habe. Den Ergebnissen von TIB zufolge waren Lokalparlamentarier* innen, Gemeinderatsmitglieder oder Bürgermeister*innen bei einer überwältigenden Mehrheit solcher Korruptionsfälle beteiligt. TIB bemängelt eine fehlende Rechenschaftspflicht und die Nichteinbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die als Kontrollinstanz hätten fungieren können. Es ist unklar, inwieweit internationale Gelder Bestandteil dieser Corona- Soforthilfemaßnahmen waren. Die Studienergebnisse von TIB können aber exemplarisch für das Grundproblem verstanden werden.

Probleme gab und gibt es auch bei der Umsetzung internationaler Corona-Soforthilfemaßnahmen im Textilsektor. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hatte EU-Gelder sogar noch um 20 Millionen Euro aufgestockt, um Textilarbeiter*innen zu unterstützen, die ihre Arbeit infolge der pandemiebedingten Fabrikschließungen zeitweilig verloren hatten. 

Doch um die Auszahlung gab es am Ende Streit: Bangladeschs Arbeitsministerium hatte Richtlinien entworfen, nach denen das Geld verteilt werden sollte. Zunächst allerdings, ohne Gewerkschafter*innen und andere Arbeitnehmervertreter* innen einzubeziehen und nur mit Unterstützung von Fabrikbesitzer*innen und Handelsvertreter*innen. Dagegen hatten Arbeitnehmer* innenrechtsgruppen wiederholt protestiert. IndustriALL Bangladesh (IBC), der bangladeschische Verband der globalen Gewerkschaftsföderation Industri- ALL, der 20 Gewerkschaften aus dem Textilsektor Bangladeschs repräsentiert, äußerte ernsthafte Bedenken, ob die tatsächlich arbeitslosen Arbeitnehmer*innen überhaupt Unterstützung bekommen würden.

Und in der Tat räumte das Arbeitsministerium Fehler bei der Listung der Anspruchsberechtigten ein. Ende Januar 2021 wurde daraufhin zwar beschlossen, Gewerkschaften einzubeziehen. Der Gewerkschaftsverband IBC konnte das bis zuletzt jedoch noch nicht bestätigen und äußerte zudem Bedenken, dass arbeitgeberfreundliche Gewerkschaften installiert werden könnten. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig unabhängige NGOs und zivilgesellschaftliche Stimmen bei der Planung, Umsetzung und Bewertung von staatlichen und internationalen Corona-Soforthilfemaßnahmen sind. Sie müssen in der Lage sein, Auswahlprozesse kritisch zu verfolgen, den fairen Geldfluss sicherzustellen und auf die Rechenschaftspflichten der Behörden zu drängen. Und sie müssen ihre Arbeit machen dürfen. Denn die vergangenen anderthalb Jahre haben vielmehr gezeigt, dass Repressionen gegen Kritiker*innen der Corona-Strategie Bangladeschs zugenommen haben und der Handlungsspielraum der kritischen Zivilgesellschaft weiter eingeengt wird.

Der Autor ist Leiter des Politischen Dialogs bei NETZ

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