Zivilgesellschaft in Bangladesch
Mit beharrlicher Zuversicht wirken in Bangladesch viele Akteure an
der Formung einer menschlicheren und gerechteren Gesellschaft mit - im
gesellschaftlichen Raum neben den staatlichen, wirtschaftlichen und
parteipolitischen Kräften. Journalisten berichten über Korruption.
Millionen Kinder besuchen die Schulen nicht-staatlicher
Entwicklungsorganisationen. Intellektuelle treten für Toleranz und das
friedliche Zusammenleben der Religionen ein. Das Land hat eine starke
Zivilgesellschaft.
Doch manche soziale Bewegung wird
unmissverständlich von Lokalpolitikern aufgefordert, "nicht zu weit zu
gehen". Arbeiterinnen, die sich gewerkschaftlich organisieren, werden
entlassen. Journalisten sind Zielscheibe von Überfällen bewaffneter
Gruppierungen. Das war in Bangladesch immer so, unter jeder Regierung.
In den vergangenen Jahren allerdings sind die Handlungsspielräume enger
geworden. Diese NETZ-Ausgabe berichtet über zwei bedeutsame Pfeiler der
Zivilgesellschaft des Landes: die Medien und die nicht-staatlichen
Organisationen (NGOs). Ihre Dynamik finden Sie in diesem Heft
dargestellt. Ihre Wirkung. Ihre Bedrohung. Auch ihre Mängel haben wir
nicht verschwiegen. Bangladesch verfügt weltweit über die höchste Dichte
an NGOs, die sich für Armutsbekämpfung und Menschenrechte einsetzen.
Und die unabhängige Presse war und ist unbestritten ein zentraler Faktor
für den Schutz der Demokratie.
Doch die Zivilgesellschaft
Bangladeschs hat weit mehr Facetten: Imame haben außerordentliche
Predigten abgehalten, als im vergangenen Jahr die Bomben-Attentate
militanter Fundamentalisten das ganze Land erschütterten. Sie forderten
dazu auf, die Gewalt zu beenden. Der Weg des Terrors sei mit dem Islam
nicht vereinbar. Nach den Predigten kam es zu Demonstrationen gegen die
Gewalt.
Zu diesen Anschlägen, bei denen einundzwanzig Menschen
starben, hatte sich die fundamentalistische Jama'at-ul-Mujahideen
Bangladesh (JMB) bekannt. Anfangs bestritt die Regierung, dass es
islamisch-fundamentalistische Gruppierungen gäbe. Doch dann verbot sie
die JMB und eine weitere militante Gruppe. Die Polizei hob Waffenlager
aus. Anfang März 2006 wurde Shaikh Abdur Rahman inhaftiert, der führende
Kopf der JMB, ebenso Siddiqul Islam alias Bangla Bhai, der für
militante Aktionen im Norden des Landes verantwortlich zeichnete. Viele
Menschen reagierten erleichtert auf die Festnahmen.
Um keinen
Fehlschluss entstehen zu lassen: der volkstümliche Islam Bangladeschs
ist undogmatisch. Von islamischen Mystikern - den Sufis - geprägt, ist
er weit gehend friedliebend und tolerant gegenüber anderen Religionen.
Fundamentalisten, die sich gegen das politische System stellen, sind
eher selten. Und jene, die das "göttliche Recht", die Scharia, mit
radikaler Gewalt durchsetzen wollen, haben keinen Rückhalt in der
breiten Bevölkerung. Islamistische Parteien nutzen allerdings den
legalen Weg der Politik, um ihre Gedanken zu verbreiten und ihre Macht
auszubauen. Im großen Stil wurden in den vergangen Jahren Koranschulen
und islamische Universitäten errichtet. Zunehmend werden die Inhalte der
Medien beeinflusst.
Um diesen Kräften zu widerstehen, braucht
es eine starke Zivilgesellschaft: Frauen-Organisationen, die
Gleichberechtigung erreichen wollen. Menschenrechtler, die sich an die
Seite indigener Minderheiten stellen. Journalisten, die über
Hintergründe der politischen Gewalt berichten. Juristen, die für die
Unabhängigkeit des Obersten Gerichts und des Verfassungsgerichts
eintreten. NGOs, die die Partizipation der Bevölkerung stärken. Eine
Schlagzeile mit Symbolwert lautete am 8. Februar diesen Jahres in der
Tageszeitung The Daily Star: "Menschenrechtsorganisationen formen ein
menschliches Schutzschild im Widerstand gegen Bigotterie."
Wie
stärkt man die Zivilgesellschaft in mehrheitlich islamischen Ländern?
Die aktuelle Diskussion in Deutschland schenkt dieser Frage zu wenig
Beachtung. Speziell für Bangladesch kommen in dieser NETZ-Ausgabe
maßgebliche Stimmen zu Wort.
Für die NETZ-Redaktion grüßen Sie herzlich
Kathrin Böhme
Peter Dietzel