Religiöse Minderheiten

Im August 1640 durchquerte der katholische Missionar Sebastiao
Manrique auf einem Schiff den Golf von Bengalen. Das Schiff wurde in
einem Monsun-Sturm zerstört, doch konnte sich Manrique an Land retten.
Er reiste, als muslimischer Kaufmann verkleidet, mit einigen Begleitern
weiter. In einem Dorf, in dem Hindus lebten, tötete einer seiner
Begleiter einige Pfauen, also Tiere, die für die Hindus heilig sind. Die
Dorfbewohner waren darüber sehr aufgebracht und griffen die Reisenden
an. Diese konnten flüchten, doch wurden sie in der nächsten größeren
Stadt festgenommen. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung.
Zur
damaligen Zeit regierten in Bengalen islamische Herrscher. Auch die
Gerichte wurden von muslimischen Beamten geleitet. Der zuständige
Richter sagte zu Manrique, dass alle, die in ein Hindu-Gebiet reisten,
die religiösen Gebräuche der Hindus unbedingt respektieren müssten. Als
Kaiser Akbar 65 Jahre zuvor Bengalen eroberte, habe er sein Wort
gegeben, dass die Bengalen entsprechend ihren eigenen Gesetzen und
Gebräuchen leben könnten. Daran würde auch er, der Richter, sich halten.
Derjenige, der die Pfauen getötet habe, müsse deshalb hart bestraft
werden.
Dieses Ereignis kann als ein gutes Beispiel für die
Religionspolitik der muslimischen Herrscher im vorkolonialen Bengalen
angesehen werden. Die Herrscher waren bemüht, sich so wenig wie möglich
in die religiösen Gebräuche ihrer Untertanen einzumischen. Seither hat
sich viel verändert. In Bangladesch ist seit 1988 der Islam
Staatsreligion und viele Angehörige anderer Religionsgemeinschaften
fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Immer wieder kommt es zu
pogromartigen Ausschreitungen gegen Nicht-Muslime. Hindus, Buddhisten,
Christen und andere Minderheiten werden auf vielfältige Weise
diskriminiert. Seit 1947 sind Millionen Hindus nach Indien geflüchtet.
Die Beiträge dieses Heftes zeigen, in welcher Situation sich die
religiösen Minderheiten Bangladeschs heute befinden.
In den
letzten Jahrzehnten hatten religiös motivierte Gewalttaten gegen Muslime
in Indien häufig Gewalttaten gegen Hindus in Bangladesch zur Folge. Bei
den Wahlen im Mai dieses Jahres haben die Parteien, die für religiöse
Toleranz eintreten, in Indien einen großen Wahlsieg errungen. Es bleibt
zu hoffen, dass dieses Ereignis diesmal eine Stärkung der säkularen
Kräfte in Bangladesch bewirkt.
Christian Weiß