Frauen - und ihre Rechte in Bangladesch
"Und was gibt es sonst noch für Themen über die ihr sprechen wollt?"
Die Gruppensprecherin blickt auffordernd in die Runde. Die Mädchen
überlegen was den bisher gesammelten Themen - Hygiene, vitaminreiche
Ernährung, Schule, Schwangerschaft, Kinderhochzeiten,
Einkommensmöglichkeiten - noch hinzu gefügt werden soll. Nach kurzem
Nachdenken berichtet eines der Mädchen mit leiser Stimme von den Jungen,
die sie auf dem Schulweg belästigen.
Einmal ausgesprochen,
zeigt sich schnell, dass sie nicht alleine ist. Tatsächlich sind fast
alle anderen Mädchen mit genau diesem Problem konfrontiert. Das so
genannte "Eve-Teasing" ist eine im ganzen Land sehr verbreitete Form der
(sexuellen) Belästigung bis hin zu Nötigung durch Jungen und Männer
aller Altersgruppen. Die Mädchen berichten von Pfiffen, anzüglichen
Bemerkungen, Anrempeln oder direktem Anfassen und von direkten
Aufforderungen zu Geschlechtsverkehr. Ein Mädchen erzählt, dass ihr
Vater kürzlich erwähnt habe, sie könne nun nicht mehr zur Schule gehen.
Man könne nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren und sie solle ja
keine Schande über die Familie bringen. Die Mutter dürfe ja auch nur im
Schutz des kleinen Bruders nach draußen gehen.
Die Diskussion
der Mädchengruppe zeigt, wie stark schon Mädchen und Jungen in bestimmte
gesellschaftliche Rollen gepresst werden. Die jeweilige soziale
Gemeinschaft konstruiert diese Rollen und lehrt ihre Kinder was die
Pflichten von Frauen und Männern sind und was die Rechte. Mädchen werden
zu Passivität und Aufopferung erzogen, Jungen müssen stark sein, sie
gelten als Beschützer der Frauen und der Familie. Ein neutraler Umgang
zwischen den Geschlechtern wird nicht entwickelt. Am stärksten spiegeln
sich die erlernten Rollen auf der Ebene politischer Entscheidungen, der
Übernahme von Macht und Kontrolle und in der Gewalt gegen Frauen wieder.
In dieser NETZ-Ausgabe wird die rechtliche Situation von Frauen in
Bangladesch dargestellt. Die Autorinnen und Autoren lassen dabei ein
Bild einer sozialen Gemeinschaft entstehen, das sehr nachdenklich
stimmt. Nicht nur in Bangladesch oder in den Ländern der so genannten
Dritten Welt gehören verschiedenste Formen von Gewalt zum
Alltagsgeschehen.
Die Welt sieht sich mit völlig neuen Fragen
nach öffentlicher Sicherheit und des Schutzes gegen Gewalt und
Terrorismus konfrontiert. War es aber nicht schon lange Zeit, Missstände
der Unterdrückung, Rechtsverletzungen und Verletzungen der persönlichen
Sicherheit von benachteiligten Menschen und Bevölkerungsgruppen zu
hinterfragen? Das "Erwachen" der Weltgesellschaft muß als Chance genutzt
werden an diesen Fragen der gewaltfreien Konfliktlösung und der
Verständigung zu arbeiten. Auch die Entwicklungszusammenarbeit wird Sinn
und Aufgaben neu definieren müssen, um sich unter tatsächlicher
Mitwirkung und Mitsprache aller Beteiligten neue Ziele setzen zu können.
Marion R. Müller