Film ab
nur noch online verfügbar | Am 1. Januar 1992, auf meiner ersten Reise nach Deutschland, saß ich neben zwei Herren aus München auf dem Frankfurter Flughafen. Sie waren zwei Geschäftsleute, die in die USA auswandern wollten. Während der langen Wartezeit auf den Transit-Flug kamen wir ins Gespräch. Ich war überrascht zu erfahren, dass sie in die Vereinigten Staaten emigrierten. Neugierig fragte ich sie: „Was kann überhaupt einen Deutschen zur Einwanderung in die USA motivieren?“ Ihre Antwort war kurz, aber einleuchtend: „Na, US-amerikanische Dollars!“ Prompt kam die Gegenfrage: „Was motiviert denn Sie, aus Bangladesch nach Deutschland zu kommen?“ Ich antwortete darauf: „Deutsches Kino.“ Beide lachten laut. Mit dieser Antwort hatten sie nicht gerechnet.
Damals habe ich nicht verstanden, warum sie gelacht haben. Aber nach
meinem fünfjährigen Studium an der Filmhochschule in Potsdam ist es mir
klar. Das „Neue Deutsche Kino“, das in den 60er und 70er Jahren die
internationale Filmlandschaft veränderte und bei mir und einigen meiner
Kollegen viele Jahre später in Bangladesch, trotz der geografischen
Entfernung, die Liebe zum Kino weckte, war im eigenen Land längst nicht
so bekannt, wie ich erwartet hatte. Der Grund war, und ist heute noch,
das US-amerikanische Kino. Ähnlich ist es auch in Bangladesch. Das
indische Kino hat es geschafft, unsere Wohnzimmer zu erobern. Die
goldene bangladeschische Kinoära der 60er ist heute nur noch Legende. Ab
den 80er Jahren haben sich scheinbar die meisten Zuschauer damit
abgefunden, dass in ihren Wohnstuben hauptsächlich indische Filme
gezeigt werden. Und die bangladeschische Film-Industrie versucht
seither, mit wenigen Mitteln die übrigen Zuschauer, die kein Wohnzimmer
haben, zu bedienen.
Aber gleichzeitig haben die jungen,
innovativen Filmemacher in Bangladesch nie aufgegeben. Mit der so
genannten „Filmgesellschaft-Bewegung“ in den 70er Jahren, der
„Kurzfilm-Bewegung“ in den 80er Jahren und unabhängigen
Kino-Produktionen wie „Matir Moina“ („Das Vögelchen aus Lehm“) in den
90er Jahren und im neuen Jahrtausend haben sie immer wieder Versuche
unternommen, ihre Zuschauer zurückzugewinnen. In den letzten zehn Jahren
wurden so viele Spielfilme außerhalb der rein kommerziellen
Filmindustrie des Landes produziert wie nie zuvor. Viele dieser Filme
fanden auf internationalen Filmfestivals große Anerkennung. Doch sie
haben es schwer, in Europa Zuschauer zu begeistern, die nicht zum
Fachpublikum der Festivals gehören. Die Filmemacher sind auf die
Verleiher angewiesen, die die europäische Kinolandschaft gestalten. „Die
Zuschauer haben wenig Interesse an einem Land wie Bangladesch“, lautet
das Argument vieler Verleiher. Doch die Zuschauerreaktionen in
Deutschland nach der Fernsehausstrahlung meiner eigenen Filme, die sich
ausschließlich mit Bangladesch beschäftigen, beweisen genau das
Gegenteil.
Zeitgenössische unabhängige Produktionen aus
Bangladesch behandeln meist die beiden Themen Geschichte und
gesellschaftlicher Wandel. Sie verschaffen einen Einblick in die
soziopolitische Entwicklung des Subkontinents. Wer heute behauptet, dass
diese Themen die europäischen Zuschauer nicht betrifft, irrt gewaltig.
Vor 20 Jahren haben auch viele Menschen in Europa und den USA gedacht:
Was in Afghanistan geschieht, geht uns nichts an.
Manche
argumentieren gar, das europäische Publikum würde das komplexe Bild
unserer Gesellschaft nicht verstehen. Dem kann ich nur folgendes
entgegnen: Wir verstehen sehr wohl, warum der kleine Oskar in der
„Blechtrommel“ schreit. Und ich denke, dass auch viele Europäer
begreifen, warum der kleine Rokon in „Matir Moina“ schreit. Auch wenn
die Gründe in beiden Fällen sehr unterschiedlich sind.
Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung beim Lesen dieser NETZ-Ausgabe!
Ihr
Shaheen Dill-Riaz
Shaheen Dill-Riaz ist Regisseur. Informationen zu seinen Filmen gibt es in NETZ aktiv.