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Weitere Morde an Vertretern der Zivilgesellschaft

In Bangladesch hat es in den vergangenen Wochen weitere Morde an zivilgesellschaftlichen Akteuren gegeben: Am 7. April 2016 wurde der religionskritische Blogger Nazimuddin Samad in Dhaka erschossen. Am 23. April töteten Angreifer den Englischprofessor an der Universität von Rajshahi, Prof. Rezaul Karim Siddique. Zwei Tage später wurden der Herausgeber des ersten LGBT-Magazins für alternative sexuelle Identitäten in Bangladesch, Xulhaz Mannan und dessen Freund Tonoy Mahbub in Mannans Wohnung in Dhaka ermordet. Am 14. Mai überlebte der buddhistische Mönch Yu Gaindya einen Angriff in südöstlichen Bandarban nicht. Laut Polizei wurden mittlerweile die mutmaßlichen Mörder von Xulhaz Mannan, Tonoy Mahbub und Prof. Rezaul Karim Siddique festgenommen. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht.

Die Bilanz der Gewalttaten in den vergangenen 14 Monaten ist sehr besorgniserregend: Insgesamt wurden bei Angriffen militanter Gruppen mindestens 35 Menschen getötet und 129 verletzt. Unter den Opfern waren Angehörige religiöser Minderheiten, Online-Aktivisten, Blogger und bekennende Atheisten. Viele dieser Morde fanden in der Öffentlichkeit statt. Der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) hat für 15 dieser Morde die Verantwortung übernommen, der bengalische Al-Qaida-Ableger „Al-Qaida auf dem Indischen Subkontinent“ (AQIS) bekennt sich zu acht Taten. Mittlerweile sind viele Blogger außer Landes geflohen. Viele von denen, die geblieben sind, betreiben aus Angst Selbstzensur. Der Politikwissenschaftler Dr. Ali Riaz kritisiert, dass trotz dieser Häufung von Taten, der Bekenntnisse länderübergreifender militanter Gruppen und dem klar erkennbaren Motiv, Befürworter pluralistischer Ansichten zu attackieren, die Regierung nach wie vor die Existenz von AQIS und IS in Bangladesch leugne. Im Gegenteil, so Riaz, habe die eigentlich säkulare Regierung in jüngerer Zeit ihre Haltung gegenüber Bloggern und Andersdenkenden insgesamt verändert. So hätten die Regierungspartei und Exekutivorgane quasi alle Schuld den Bloggern selbst zugeschoben. Noch nach dem Mord am „Social Media“-Aktivisten Nazimuddin Samad im April 2016 kündigte Bangladeschs Innenminister an, die Regierung werde seine Beiträge genau überprüfen, um herauszufinden, ob er etwas Islamkritisches verfasst habe. Er fragte wörtlich: „Warum benutzen die Blogger so eine Sprache gegen das religiöse Establishment? In unserem Land ist eine solche Sprache nicht erlaubt. Das ist gesetzlich festgeschrieben.“ Die Premierministerin, stellte klar, dass die „Regierung es niemandem erlaube, religiöse Gefühle zu verletzen“. Wenn die Premierministerin sage, dass die Regierung keinerlei Verantwortung für diese „bedauerlichen Vorfälle“ übernehme, sei dies eine deutliche und furchteinflößende Botschaft, so der Politikwissenschaftler.

Der Politikwissenschaftler Ali Riaz sieht den Hauptgrund für die Vielzahl der Tötungen in der in Bangladesch grassierenden Straflosigkeit. Nicht nur im Falle der ermordeten Intellektuellen und Blogger, sondern auch im Falle außergerichtlicher Tötungen durch Exekutivorgane und politisch motivierte Gewalt, verursacht durch das Gerangel unter den verschiedenen Fraktionen der Regierungspartei. Zudem, so Riaz, sei das Recht auf freie Meinungsäußerung in den vergangenen Jahren immer mehr eingeschränkt worden, vor allem seit den umstrittenen Parlamentswahlen im Jahr 2014. Berechtigte Kritik werte die Regierung als Bedrohung. Kritiker würden per Gesetz zum Schweigen gebracht. All dies, so Riaz, habe zu einer Atmosphäre von Angst und Straflosigkeit beigetragen. Das jüngste Wachstum und die Radikalisierung gewalttätiger Gruppen des politischen Islam seien auf die tiefe Spaltung innerhalb der Gesellschaft zurückzuführen. Seit Jahrzehnten existierten laut Riaz unterschiedliche Ansichten über Religion, Politik und Öffentlichkeit in Bangladesch. Aber der Streit darüber werde immer schärfer geführt. Neue Gruppen des politischen Islam seien entstanden - zu einer Zeit, wo der Raum für öffentliche Debatten über die Trennung von Religion und Staat immer kleiner werde. Und die Jamaat-e-Islami (JI) setze auf Gewalt, um ihre Führungskräfte vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal zu retten. All diese Faktoren, so schlussfolgert Riaz, hätten ein günstiges Umfeld für militante Gruppen geschaffen. Die Regierung, der seit der umstrittenen Parlamentswahl aus dem Jahr 2014 die moralische Legitimität fehle, agiere nicht, weil sie glaube, dass sie islamistische Gruppen besänftigen müsse. Die Regierung wolle, so Riaz weiter, weder als anti-islamisch noch als Unterstützer von Atheisten angesehen werden und habe sich daher vielen Forderungen islamistischer Gruppen angeschlossen, um ihren eigenen islamischen Charakter unter Beweis zu stellen.

Quelle: Deutsche Welle

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