Shahbag-Bewegung: Geschichtliche und politische Einordnung

Das Ziel, mit der juristischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen von 1971 eine Basis für Konflikttransformation, Entwicklung und Versöhnung zu schaffen, scheint gegenwärtig schwer erreichbar. Die seit Februar 2013 vermehrt auftretenden schweren Ausschreitungen zwischen Islamisten und der Polizei, Gewalt gegen Minderheiten, die Forderung nach der Todesstrafe durch säkulare Kräfte und religiöse Fundamentalisten unterminieren Bestrebungen nach Wahrheitsfindung, der Anerkennung und Ahndung von Unrecht, der Wiedergutmachung und der Nichtwiederholung von Gewalt.
Berücksichtigt man die Erfahrungen der Bevölkerung mit dem religiösen Fundamentalismus in Bangladesch, dann geht es den säkularen Kräften im Land um die Frage, in welcher Gesellschaft und politischen Kultur die Menschen in Bangladesch zukünftig leben wollen. Ziel der Jamaat-e-Islami und anderer islamistischer Gruppen ist es, aus Bangladesch einen islamistischen Staat zu machen. Einen Ort, an dem Andersdenkende sowie religiöse und indigene Minderheiten benachteiligt wären. So würden Gesetze umgesetzt, die sich auf religiöse Vorstellungen beziehen und individuelle Rechte stark einschränken, unter anderem mit einschneidenden Auswirkungen auf die Rechte von Frauen.
Die Forderung der Shahbag-Bewegung nach der Todesstrafe für alle verurteilten Kriegsverbrecher ist auch ein Zeichen der Angst, später Zielscheibe von Gewalt zu werden, wenn diese unter einer anderen Regierung aus dem Gefängnis entlassen und als Funktionsträger zurückkehren würden. Der Ruf nach der Todesstrafe, dem höchstmöglichen Strafmaß in Bangladesch, ist demnach eine Mischung aus dem Wunsch nach Gerechtigkeit und für den Schutz der eigenen Sicherheit und der Zukunft der Gesellschaft. Die schrecklichen Bilder der Gewalt aus dem Unabhängigkeitskrieg von 1971, den gewalttätigen Angriffen auf Hindus als Vergeltung der Zerstörung der Babri-Moschee im indischen Ayodhya 1992, die Attacken auf Hindus und indigene Gruppen im Anschluss an die Parlamentswahlen 2001 sowie die Bombenattentate auf NGOs, Kultureinrichtungen und Anwälte 2005 sind noch sehr präsent.
Diese geschichtliche und politische Einordnung erklärt die Forderung der Shahbag-Bewegung nach der Todesstrafe, legitimiert diese aber nicht. Vielmehr muss sich die Frage gestellt werden, wie eine anti-fundamentalistische, für Demokratie und Pluralismus und Aufarbeitung von Kriegsverbrechen werbende Gesellschaft ihre Ziele erreichen kann, ohne die Todesstrafe zu fordern.
Für Bangladesch geht es derzeit um sehr viel. Die Auseinandersetzung über die Rolle der Religion und damit der Entwicklung der Gesellschaft, zum Beispiel im Bezug auf Frauenrechte, wird intensiv und von Seiten der Islamisten und staatlicher Organe gewalttätig geführt. Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Islamisten ist, schaffen es diese immer wieder, großen Einfluss auszuüben. Zusammen mit der politischen Lage vor den Wahlen führt dies zu Gewalt und einer Vielzahl von Generalstreiks, die der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Schaden zufügen.