Rundum Blockade in Bangladesch
Bei gewalttätigen Ausschreitungen sind seit dem 5. Januar 2015 über 60 Menschen in Bangladesch ums Leben gekommen. Über 1000 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der 5. Januar markiert den Jahrestag der Parlamentswahlen, welche die Awami-Liga (AL) Anfang 2014 deutlich gewonnen hatte. Ihr Sieg war jedoch umstritten; die Bangladesh Nationalist Party (BNP) und weitere Oppositionsparteien hatten im Vorfeld der Wahl Manipulationsvorwürfe erhoben und in der Folge diese boykottiert.
Die BNP forderte Neuwahlen unter einer neutralen Interimsregierung. Die AL weist dies stets zurück mit dem Hinweis, die Wahlen seien verfassungskonform durchgeführt worden. So rief die Oppositionsführerin Khaleda Zia am 5. Januar 2015 zu Straßenblockaden auf. Am gleichen Tag kam es trotz eines Versammlungsverbots zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der regierenden AL und ihren Gegnern. Dutzende Menschen wurden verletzt. Die Straßenblockaden dauern bis heute an und rufen täglich neue Gewalt hervor. Busse werden mit Brandbomben beworfen, Fernzüge zum Entgleisen gebracht, Fährschiffe angezündet. Auch eine Schülerin aus einer von NETZ geförderten Vorschule starb, als ein Bus in Gaibandha in Flammen aufging. Mit ihren Eltern war sie auf dem Weg nach Dhaka, die dort Arbeit finden wollten; die Mutter wurde durch das Feuer schwer verletzt.
Die Blockaden haben immense Auswirkungen auf das Transportwesen und die Wirtschaft. Busse und Züge fahren nur eingeschränkt und unregelmäßig. Um ein Minimum an Mobilität sicher zu stellen, werden Fernbusse hin und wieder von Polizeieinheiten eskortiert. Güter für den täglichen Bedarf werden knapper, ihre Preise steigen, die ärmste Bevölkerung ist am stärksten davon betroffen. Viele Eltern sehen davon ab, ihre Kinder in die Schulen zu schicken. Lehrer beklagen leere Klassenzimmer.
Die Regierung beschuldigt die Opposition, für die Gewalt verantwortlich zu sein. Premierministerin Sheikh Hasina bezeichnete Oppositionsführerin Khaleda Zia als "Königin der Gewaltbereitschaft und des Terrors". Die BNP ihrerseits sieht die Schuld bei der die Regierung. So sollen bei Protestkundgebungen mehrere Mitglieder der Oppositionspartei ums Leben gekommen sein - durch Waffen der Polizeikräfte und Anhänger der regierenden Awami-Liga.
Am 6. Januar nahm die Polizei den Generalsekretär der BNP, Fakhrul Islam Alamgir, fest. Ihm würden Brandstiftung, Bombenanschläge und Vandalismus vorgeworfen, sagte ein Polizeisprecher. Mittlerweile ist er auf Bewährung auf freiem Fuß. Die Regierung macht deutlich, dass sie mit Härte gegen alle vorgehen will, "die Instabilität und Chaos verursachen". Der Chef der bangladeschischen Grenzpolizei kündigte an, vermehrt den Einsatz von Waffen anzuordnen, um Gewalt einzudämmen. Die Premierministerin wies die Sicherheitskräfte an, "nichts zu unterlassen, um die Sicherheit der Menschen und die Stabilität des Landes zu gewährleisten". Sie selbst seinfür alle Aktivitäten der Sicherheitskräfte verantwortlich. Unmittelbar danach erklärte ein Minister, dass "wie in Kriegszeiten Brandstifter und Saboteure erschossen werden können". Transparency International Bangladesh äußerte Bedenken, dass durch die Aussagen führender Politiker Sicherheitskräfte einen Persilschein für jegliche Art von Gewalt erhielten, ohne Verantwortung dafür tragen zu müssen. Zudem nehmen die Verhaftungen von Oppositionellen weiter zu. Mehrere tausend Anhänger der Oppositionsparteien sind nach Medienangaben seit Beginn der Ausschreitungen verhaftet worden. Beobachter und Medien äußern sich zudem kritisch zu außergerichtlichen Hinrichtungen von Oppositionellen. Seit dem 6. Januar wurden mehr als zwanzig Oppositionelle - vornehmlich Angehörige der islamistischen Jamaat-e-Islami - im so genannten Kreuzfeuer von Sicherheitskräften erschossen.
Vom 18. bis 22. Januar wurde die Nutzung der Internet-Kommunikationsdienste Viber, Tango und WhatsApp blockiert, um die Opposition daran zu hindern, ihre Straßenblockaden über diese Plattformen zu koordinieren. Die Regierung erhöhte zudem den Druck auf Khaleda Zia; wiederholt wurde angekündigt, sie als Verantwortliche für Terror und Gewalt zu verhaften. Die Anti-Korruptionskommission kündigte an, einen Korruptionsfall von 2007 gegen sie neu aufzurollen. In der Nacht zum 1. Februar warender Strom sowie Telefon- und Internetverbindungen in Zias Büro in Gulshanfür 19 Stundenabgestellt. Die Oppositionsführerin hält sich seit dem 3. Januar dort auf. Vom 3. bis 18. Januar stand sie unter Hausarrest.
Die Regierung lässt verlauten, sie sei zum Dialog mit der BNP bereit, wenn diese von weiterer Gewalt absehen, die Straßenblockaden beenden und sich von der Jamaat-e-Islami distanzieren würde. Die Opposition, die weiterhin die Regierung für die Gewalt verantwortlich macht, drängt auf schnellstmögliche Neuwahlen unter einer neutralen Interimsinstitution. Nur dann sei der Boden bereitet, um zu Gesprächen zusammen zu kommen. Zugeständnisse sind auf keiner Seite in Sicht.
Zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmerverbände rufen die verfeindeten Parteien dazu auf, die Gewalt durch Dialog zu beenden. Menschenrechtsverteidiger beklagten, dass durch das Vorgehen der Regierung die Meinungsäußerungsfreiheit weiter eingeschränkt werde. Medienverbände kritisiertendie Abschaltung des Fernsehsenders ETV, des ältesten Privatsenders des südasiatischen Landes, nachdem dieser eine Rede des seit 2008 im Londoner Exil lebenden Sohns der Oppositionsführerin ausgestrahlt hatte. Der ETV-Chef Abdus Salam wurde festgenommen. Begründet wurden die Maßnahmen mit der Beschwerde einer Frau, derzufolge der Sender "pornografische Bilder" von ihr veröffentlicht habe. ETV wies dies als fadenscheiniges Argument zurück. Zugleich ist Zurückhaltung unter Menschenrechtsorganisationen zu spüren. Befürchtungen, mit Kritik an der Regierung den Parteien des politischen Islam zu einem Comeback zu verhelfen oder gar als deren Unterstützer gebrandmarkt zu werden, sind verbreitet.
Die internationale Gemeinschaft zeigt sich in öffentlichen Statements "tief schockiert" ob der Todesopfer und verurteilt die Gewalt scharf. UN, EU und die USA rufen die Parteien auf, von weiteren Gewalttaten abzusehen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und zu einem Dialog zusammen zu kommen. Zudem sei es nicht akzeptabel, dass im Rahmen einer Sicherheitsnarrative die Freiheit der Meinungsäußerung eingeschränkt würde.
Autoren: Dirk Saam und Peter Dietzel