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Massenproteste und Welle der Gewalt

Aus Protest gegen ein Urteil des nationalen Kriegsverbrechertribunals versammelten sich am 5. Februar 2013 viele tausend Menschen auf der zentralen Shahbag-Kreuzung in Dhaka. Kurz zuvor war Abdul Quader Mollah vom nationalen Kriegsverbrecher-Tribunal in Bangladesch zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bis zu seiner Inhaftierung im Jahr 2010 war er stellvertretender Generalsekretär der islamistischen Partei Jaamat-e-Islami. Das Tribunal hat die Aufgabe, bisher unaufgeklärte Verbrechen aus dem Unabhängigkeitskrieg im Jahr 1971 zwischen Pakistan und dem heutigen Bangladesch, dem ehemaligen Ostpakistan, aufzuklären. Die Richter hatten es als erwiesen angesehen, dass Mollah mit dem pakistanischen Militär kollaboriert hatte und für den Mord an mindestens 350 Zivilisten und die Vergewaltigung einer Frau verantwortlich ist. Bereits am 21. Januar 2013 hatte das Tribunal ein erstes Urteil gefällt: Abul Kamal Azad, ehemaliger Parteifunktionär der Jamaat-e-Islami, wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Initiiert wurden die Proteste vom Blogger-Netzwerk „Blogger and Online Activist Network“. Zunächst organisierten Mitglieder des Netzwerks aus Enttäuschung über das aus ihrer Sicht zu milde Urteil Sitzstreiks in den Straßen Dhakas. In den darauf folgenden Tagen nahmen in der Hauptstadt aber auch in anderen Landesteilen immer mehr Menschen an den Protestaktionen teil. Allein in Dhaka versammelten sich wochenlang zehntausende Menschen. Die Protestierenden halten eine Haftstrafe für unverhältnismäßig, weil sie befürchten, dass diese von einer Nachfolgeregierung aufgehoben werden könnte. Neben Aktivisten und Veteranen des Unabhängigkeitskriegs nehmen an den Versammlungen vor allem auch Studenten, Schüler und Familien teil. Symbole wie die Nationalflagge und das Singen der Nationalhymne sollen an den Unabhängigkeitskrieg erinnern und daran, dass der Protest, wie die Organisatoren betonen, eine nationale und parteiungebundene Bewegung ist.

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Das Blogger-Netzwerk hat dem Parlamentspräsidenten einen Forderungskatalog übergeben. Hierin verlangen sie unter anderem die Todesstrafe für alle Kriegsverbrecher und Änderungen des Kriegsverbrechergesetzes, sodass gegen Urteile des Tribunals Berufung eingelegt werden kann. Zudem fordern sie ein Verbot der Jamaat-e-Islami, deren Studentenorganisation und allen der Parteinahestehenden Finanzinstitutionen sowie Gerichtsprozesse gegen alle Parteien und Organisationen, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Ihr Protest würde so lange weiter gehen, bis die Forderungen erfüllt seien. Die Regierung reagierte bereits: Das Kriegsverbrechergesetz wurde am 16. Februar geändert. Regierung wie Opfer von Kriegsverbrechen können künftig gegen Urteile des Tribunals Berufung einlegen. Die Gesetzesänderung tritt rückwirkend in Kraft.

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Auch die Jamaat-e-Islami protestiert gegen das Urteil des Kriegsverbrechertribunals. Die Anhänger der Partei fordern die Freilassung Mollahs und anderer inhaftierter Parteifunktionäre. Im Februar 2013 wurden Medienberichten zufolge bei Straßenschlachten zwischen Anhängern der Islamisten und der Polizei mindestens zehn Personen getötet und Hunderte verletzt. 

Infolge des vom Kriegsverbrechertribunal am 28. Februar 2013 verhängten Todesurteils gegen Delwar Hossain Sayedee, dem stellvertretenden Jamaat-Vorsitzenden, eskalierte die Gewalt erneut. Bei Auseinandersetzungen zwischen Jamaat-Anhängern und der Polizei starben Medienangaben zufolge über 70 Personen, darunter mindestens sieben Polizisten, und hunderte Menschen wurden verletzt. Tausende Anhänger der Jamaat-e-Islami und anderer Oppositionsparteien wurden inhaftiert.

Mindestens 45 Tempel und über 1.500 Häuser von Hindus wurden zerstört. Medienberichten zufolge wurden die allermeisten Angriffe von gewaltbereiten Islamisten verübt. Mindestens acht weitere Personen sind noch vom Kriegsverbrechertribunal angeklagt. Mit den Urteilen wird ab April 2013 gerechnet. Politische Experten befürchten erneute Gewaltausbrüche nach den Urteilsverkündigungen und wenn Todesurteile vollstreckt werden sollten. 

Lesen Sie weiter: Bangladesch im Aufbruch ein Kommentar von Peter Dietzel.

Autoren: Michelle Peña Nelz, Kai Fritze und Niko Richter

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