1.133 Tote bei Gebäudeeinsturz
In Savar, einem Vorort von Dhaka, ist Ende April 2013 ein neunstöckiges Fabrikgebäude eingestürzt. Zum Zeitpunkt des Unglücks arbeiteten dort über 3.500 Menschen. Offiziellen Angaben zufolge wurden 1.133 Leichen und 2.437 Verletzte aus den Trümmern geborgen. Damit ist die Katastrophe vom 24. April 2013 das schwerste Industrieunglück des Landes. Im eingestürzten Gebäude befanden sich unter anderem fünf Textilfabriken. Deren Besitzer hatten Medienberichten zufolge die Mitarbeiter zur Arbeit gezwungen, obwohl am Vortag des Einsturzes Risse an dem Gebäude aufgetaucht waren und die Polizei die Schließung angeordnet hatte.
Zehntausende Menschen demonstrierten nach dem Einsturz zunächst friedlich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Als jedoch zunehmend die Handy-Verbindungen von Angehörigen zu verschütteten Opfern abbrachen, wurde der Protest gewalttätig. Über 200 Fahrzeuge wurden beschädigt und zwei Textilfabriken im nahgelegenen Gazipur in Brand gesetzt.
Die Demonstranten fordern, die Verantwortlichen der Tragödie zur Rechenschaft zu ziehen. Das Gebäude ist halb illegal errichtet worden. Nur fünf der neun Stockwerke waren genehmigt gewesen. Zudem soll minderwertiges Baumaterial verwendet worden sein, um Kosten zu sparen. Sohel Rana, der Besitzer des Gebäudes der sich nach Indien absetzen wollte, wurde am 28. April verhaftet. Neben ihm wurden auch zwei Textilunternehmer inhaftiert.
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Bangladesch ist nach China zweitwichtigster Textilproduzent weltweit. Auch die Fabriken in dem eingestürzten Gebäude arbeiteten für internationale Modemarken. Der deutsche Textil-Discounter KiK, die irische Billigkette Primark, das spanische Unternehmen Mango und der italienische Benetton-Konzern haben eingeräumt, dass sie Zulieferer in dem eingestürzten Gebäude beauftragt haben.
Die Konzerne geraten zunehmend unter Druck, da sie sich weiterhin weigern, das Brandschutz- und Gebäudesicherheitsabkommen in Bangladesch zu unterzeichnen. Das Abkommen verpflichtet die Regierung und Unternehmen, Fabrikgebäude sicherheitstechnisch zu verbessern und fordert eine nachhaltige und effiziente Umsetzung von Schutzmaßnahmen. Dieses war von Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen, wie der Kampagne für Saubere Kleidung, nach mehreren Bränden in Textilfabriken gemeinsam mit bangladeschischen Gewerkschaften erarbeitet worden. Es beinhaltet Sicherheitskontrollen von Gebäuden durch unabhängige Fachleute, die Bildung von betrieblichen Arbeitsschutzkomitees und eine öffentliche Berichterstattung über alle Kontrollen. Bisher wurde dieses erst vom deutschen Einzelhandelsunternehmen Tchibo und dem US-amerikanischen Bekleidungsunternehmen PVH Corp., unter anderem Eigentümer der Marken Calvin Klein, Tommy Hilfiger, unterzeichnet.
Der Fabrikeinsturz zeigt erneut, dass die Selbstverpflichtungen der Unternehmen darin versagt haben, das Leben der Arbeiterinnen zu schützen. Die Kampagne für Saubere Kleidung warnt davor, dass das Sterben in den Textilfabriken Bangladeschs so lange weitergehen wird, bis Unternehmen endlich einem verbindlichen und unabhängigen Abkommen für Brandschutz und Gebäudesicherheit zustimmen. Die Kampagne fordert schon seit langem, dass einkaufende Textilunternehmen transparent Informationen veröffentlichen sollen, wie sie in ihrem Wirken die Menschenrechte sowie die sozialen und ökologischen Normen entlang der Wertschöpfungskette respektieren.
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Nach der Katastrophe von Savar ist die Bereitschaft der Politik zu Veränderungen gewachsen: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht sich für schärfere europäische Transparenzregeln für Textilprodukte aus. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, forderte die Bekleidungsindustrie auf, verbindliche Standards zu setzen. Hier darf es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Die Europäische Union hat mit Strafmaßnahmen gedroht, sollte Bangladesch nicht für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilbranche sorgen.
Am 9. Mai ließ die Regierung in Dhaka als Reaktion auf das verheerende Unglück nach eigenen Angaben 18 Textilfabriken aus Sicherheitsgründen schließen. Gleichzeitig ereignete sich am selben Tag ein weiteres Unglück. Bei einem Feuer in einer Textilfabrik in Dhaka starben nach Angaben der Feuerwehr mindestens acht Menschen, sechs weitere wurden verletzt. Die Brandursache war Medienberichten zufolge ein Kurzschluss.
Ein wichtiger Faktor für wirkliche Verbesserungen ist die Bereitschaft der Einkäufer, sich ernsthaft dafür einzusetzen. In Bangladesch einkaufende Textilunternehmen müssen als ersten Schritt das Brandschutz- und Gebäudesicherheitsabkommen unterzeichnen und die Zusammenarbeit mit lokalen Gewerkschaften vorantreiben. Nur so können weitere Unglücke verhindert werden. Um dies zu erreichen ist es notwendig, weiterhin den öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten. Die Kampagne für Saubere Kleidung ruft daher auf, eine Petition zur Unterzeichnung des Abkommens zum Gebäude- und Brandschutz in Bangladeschs Textilfabriken zu unterschreiben. NETZ unterstützt diese Initiative und ruft dazu auf, die Petition zu unterzeichnen.
Autor: Niko Richter