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Vom Grasrauchen und seinen Folgen...

Es ist wie jeden Tag schrecklich heiß draußen. Ich schwitze aus allen Poren und will endlich heim. Ich habe dem Treffen einer Frauengruppe mit zwei Mitarbeitern von Bastob zugeschaut und fühle mich einfach nur schlapp. Noch dazu demotiviert, denn verstanden habe ich wenig. Die Frauen hatten einen zu starken Akzent. Das ist, als würde man einen Chinesen in Hannover Deutsch lernen lassen und ihn dann nach Altötting in Oberbayern schicken. Nun ja, wieder ein verlorener Tag denke ich mir. Was soll's. Ich bin eben in Bangladesch.

Mit den zwei Kollegen, Titu und Priti, laufe ich zurück, denn eine Rikscha lässt sich nirgends blicken. Wir kommen an einem Teeladen vorbei. Plötzlich erhebt sich die laute Stimme einer Frau. Es herrscht Aufruhr. Ich verstehe nur so viel: "Ohne Reis für eine Woche." Ich bin ja ein neugieriger Mensch. Und will natürlich wissen, um was es geht.

Titu und Priti können mir nicht weiterhelfen, aber unter dem nächsten Baum bleiben wir stehen und schauen, was passiert. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm stürmt aus dem Laden. Sie trägt eine schwarze Burka, hat einen Schleier vor dem Gesicht. Ihr muss noch heißer sein, denke ich mir. Die Frau schreit weiter ins Innere des Ladens. Ich weiß zwar nicht um was es geht, aber wenigstens mal was los hier, finde ich. Außerdem habe ich noch nie eine Frau schreien sehen in diesem Land, das ist wirklich sehr ungewöhnlich.

Kurz darauf wird ein Mann von den restlichen Insassen der Teebude nach draußen geschoben. Er ist recht jung, ganz normal mit Lunghi und Hemd gekleidet, sieht sympathisch aus. Die Frau geht weg, der Mann hinterher. Glücklich scheinen die Beiden nicht zu sein. Nachdem sie uns ein bisschen näher gekommen sind, fangen sie wieder an zu streiten.

Ich verstehe zwar Nichts, Titu erklärt mir aber: der Mann hat seine Frau allein gelassen und ist hierher gekommen, hat sich vor ihr versteckt.

Titu nimmt das Ganze in die Hand. Ein paar hundert Meter liegt das Lokokendra, ein Haus verwaltet von BASTOB als Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft. Hierhin bringt Titu die Zwei. Wir setzten uns hin und hören uns die tragische Geschichte an. Beziehungsweise Titu und Priti hören sie, ich verstehe zunächst Nichts. Die Frau ist aufgelöst. Sie redet sehr schnell und greift den Mann an. Das Baby auf ihrem Arm fängt an zu weinen und sie bittet erst einmal um Wasser. Der Mann scheint der Vater zu sein, denn er nimmt den Kleinen auf den Arm und kümmert sich liebevoll um ihn. Die Beiden sind also verheiratet. Die Frau ist wirklich aufgelöst, ein paar Tränen laufen über ihre Wangen, sie versucht sie mit ihrem Schleier unbemerkt wegzuwischen. Auch der Mann ist gekränkt. Jedes Mal, wenn er etwas zu seiner Verteidigung sagen will, wird er unterbrochen. Ich verstehe, dass sie aus Cox's Bazar, der nächstgrößeren Stadt kommen. Titu stellt immer wieder Fragen und ermöglicht dann dem Mann das Wort. Er beginnt und gerät ins Stocken. Er ist mit den Nerven am Ende. Er scheint entschuldigende Worte zu sagen, auch bei ihm blitzen Tränen auf. So etwas habe ich noch nie gesehen. Irgendwie ist er mir sympathisch, genauso wie die Frau, denn sie hat wirklich Kraft. Aber die kleine Familie scheint in einer verzweifelten Lage zu sein.

Zwischendrin verscheucht Priti neugierigen Kinder, die vor den Fenstern zuhören wollen. Sisyphusarbeit.

Irgendwann sind sie fertig mit reden. Titu gibt ein paar Ratschläge und wieder bricht der Streit aus. Die verzweifelte Frau greift erneut ihren Mann an, der nur noch verzagt dasitzt. Er ist wirklich ein Häufchen Elend und tut mir leid. Aber irgend etwas muss er verdammt falsch gemacht haben. Ich verstehe nur, dass er seine Familie ohne Essen gelassen zu haben scheint.

Nach einer guten halben Stunde haben sie sich ausgesprochen und das war, glaube ich, bitter nötig.

Endlich hat Titu Zeit mir das Ganze zu erklären: Der Mann arbeitet als Rikscha -Fahrer in Cox's Bazar. Jeden Tag fuhr er frühmorgens los und arbeitete den ganzen Tag, bis Sonnenuntergang. Dafür bekommt er einhundert bis einhundertundfünfzig Taka, ungefähr ein bis eineinhalb Euro. Die Arbeit ist sehr anstrengend für ihn und besonders bei der Hitze eine Qual. Trotzdem konnte die Familie einigermaßen überleben.

Vor zwei Wochen traf er zufällig einen anderen Mann aus dem Dorf, in dem wir jetzt sind. Dieser Mann bot ihm Gras an, und er probierte. Und er merkte, dass das Leben so viel angenehmer ist. Von da an hörte er auf zu arbeiten. Hatte einfach keine Lust mehr andere Leute in der Hitze für ein paar Cent durch die Gegend zu fahren. Als seine Frau ihn wieder und wieder aufforderte, besserte er sich zunächst. Dann "floh" er zu seinem "Freund" hierher. Doch seiner Frau ließ er kaum etwas Essen für sie und das Kind zurück. Sie war verständlicherweise außer sich und verzweifelt. Als sie hörte, wohin ihr Mann gegangen sei, lieh sie sich Geld und nahm den nächsten Bus. Bis sie ihn hier in einer Teebude sitzend fand, und Rechtfertigung für sein Tun verlangte. Der Mann will nun wieder arbeiten. Und jeden Tag, ohne Urlaub, seiner Familie einen mageren Lebensunterhalt verdienen.

Was für eine traurige Geschichte. Aber was für eine starke Frau...

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