Zu Besuch bei Masura
Von Masura Begum haben Sie vermutlich noch nie etwas gehört. Doch es lohnt sich, diese Frau kennen zu lernen. Von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka nehmen Sie den Bus in die Distriktstadt Chuadanga. Dann das Motorrad - Sie können gerne auf dem Rücksitz Platz nehmen, die jungen Männer, die hier arbeiten, fahren vorsichtig. Nach 22 Kilometern endet die einspurige Landstraße durch die Reis- und Jutefelder. Jetzt geht es zu Fuß weiter, oder besser Sie nehmen auf dem Ochsenkarren Platz. Denn die Straße ins Dorf ist in der Monsunzeit völlig aufgeweicht. Das Wagenrad versinkt mehr als einen halben Meter im Schlamm, bis zur Nabe. Alle paar hundert Meter müssen die Wasserbüffel anhalten und verschnaufen, ihr Herz rast vor Anstrengung. Yunnus, dem die Büffel gehören, wird es Ihnen genau erklären. Und die Bauern und Landarbeiter, die Ihnen auf dem Weg nach Sadabari begegnen und stehen bleiben, werden es kopfnickend bestätigen.
Zu Ihrer Begrüßung gibt es keinen Tee. Denn den trinkt Masura sonst auch nicht. Doch Reis hat Masura schon gekocht. Nach Ihrer Ankunft wird das Feuer der Kochstelle nochmals kurz mit Jute-Stengeln angefacht. Die Blätter im Topf hat Masura am Wegrand gepflückt, rasch zerfallen sie zu einem kleinen Häufchen spinatartigen Gemüses. Aus einem braunen Fläschchen fügt Masura drei Tropfen Öl dazu, und auch ein wenig Gelbwurzel.
Bevor Masura mit einem abgebrochenen Löffel den Reis auf einen Blechteller schöpft, zieht sie das Ende des Saris über ihren Kopf. Auch mit einer guten Prise Salz bleibt das Blattgemüse geschmacklos. Wenn Sie fertig gegessen haben, bekommt der dreijährige Monir seinen Teller. Und er greift kräftig zu. Denn für Masuras Verhältnisse sind die Portionen heute üppig, und es gibt ausnahmsweise am Abend sogar noch eine zweite Mahlzeit. Milch, Eier, Linsen oder gar Fleisch und Fisch stehen nie auf ihrem Speiseplan. Nie. Dafür legt sie den Jüngsten an ihre Brust, Idris, bevor sie selbst einen Teller Reis isst. Und den Rest der gekochten Blätter vom Wegrand.
Als Idris zur Welt kam vor sechs Monaten, war Masuras Mann bereits tot. Sie sagt, er hatte Krebs. Vielleicht werden alle Krankheiten, die die Menschen im Dorf nicht kennen, so bezeichnet. Bei einem Arzt war er jedenfalls nicht gewesen. Wie auch. Er hatte im Tagelohn auf den Feldern gearbeitet.
Hilal, ihren Größten, hat Masura zu einem Bauern im Dorf gegeben. Er sagt, er sei zehn. Sieht aus wie acht. Und arbeitet wie ein Vierzehnjähriger, füttert die Ziegen, schleppt Säcke, muss sich sein Essen selbst verdienen, von morgens bis abends, schläft bei dem Bauern. Schule? Nie von innen gesehen. Jeden Tag rennt Hilal einmal zu seiner Mama, wenigstens 'Hallo' sagen. Wenigstens einmal sich an sie drücken. Und ehe Sie ein Foto von ihm machen können, ist er wieder weg, arbeiten.
Einmal im Monat nimmt Masura Idris auf den Arm und geht zur Gemeindeverwaltung. Dort erhält sie 25 Kilogramm Weizen aus dem Welternährungsprogramm. Zum Teil tauscht sie ihn ein gegen Reis und Salz und Gelbwurzel. Oder sie backt Brotfladen. Das reicht für zwei Wochen, wenn sie wenig essen auch für drei. Selten kann sie etwas dazu verdienen, zum Beispiel Jutefasern sortieren und kämmen. Ansonsten klappert sie die Bauern in den umliegenden Dörfern ab und fragt nach einer Schale Reis. Es ist weniger als von der Hand in den Mund. Und wenn eines der Kinder krank ist? Masura zuckt nur mit den Schultern. Den Sack Weizen trägt sie auf dem Kopf nach Hause, Idris auf dem Arm, fünf Kilometer, auch bei sengender Hitze, in der Monsunzeit auch durch den Schlamm.
Der Boden ihrer drei mal vier Meter großen Hütte ist sauber gefegt. Geflochtene, zum Teil löchrige Bambusmatten bilden zwei Wänden; die beiden anderen: halbhohe Mäuerchen aus brüchigem Lehm. Das Fleckchen Erde gehört ihrem Bruder, der auf den Feldern der Bauern arbeitet, für 70 Cent am Tag, während der Ernte auch für 90. Das Loch im Dach von Masuras Hütte hat er mit Stroh notdürftig geflickt, in der Regenzeit ist so wenigstens nur ein Teil der Behausung nass. Kein Schrank, keine Truhe: über eine Bambuswand hat Masura ihren Sari gehängt, den einzigen, den sie zum Wechseln hat. Zum Baden geht sie mit ihren Kindern zum Teich. Und einmal am Tag darf sie zur Toilette, bevor es hell wird morgens: in das Gebüsch hinter der Hütte. Zum Glück kann sie von einer nahe gelegenen Pumpe Wasser holen. Doch darüber gibt es heftigen Streit mit den Nachbarn, denen die Pumpe gehört.
In Sadabari gibt es sogar eine Spar- und Kreditgruppe der Grameen-Bank. Niemand würde jedoch auf die Idee kommen, Masura zu fragen, ob sie teilnehmen möchte. Die Mitarbeiter der "Dorfbank" nicht und auch nicht die anderen Frauen im Dorf. Niemand würde ihr zutrauen, dass sie einen Kredit für eine Ziege oder Kuh zurückbezahlt. Nicht nur ihre Hütte steht am Rand des Dorfes. Und ab Januar werden andere Frauen Weizen aus dem Welternährungsprogramm erhalten.
Wenn Sie fragen, was sich in dem Vorratsgefäß in der Ecke befindet, sagt Masura: "Es ist leer." Ohne Scham, ohne Selbstmitleid, ohne Resignation sagt sie das. Sie ist Realistin. Nie sagt sie: "Es wird schon werden." Oder: "Allah wird schon helfen." Weil sie weiß: Er wird es nicht. Ihre Kinder und sie werden überleben. Oder nicht. Mehr gibt es nicht zu sagen.
Nur ihre Bewegungen sagen mehr. Wenn es dunkel ist, breitet sie eine Bastmatte auf dem Lehmboden aus und eine Decke über Monir und Idris. Vielleicht regnet es nicht in der Nacht, die Sie dort verbringen und Sie schlafen im Trockenen. Schlafen? Masura sitzt neben den Kindern und verscheucht die Moskitos mit einem Fächer. Idris wacht jede Stunde auf und schreit. Vor Hunger. Wie dünn muss die Milch sein, die Masura ihm geben kann. Älter werden als ein Jahr wird er nicht. Wenn Sie ihn auf den Arm nehmen, werden Sie erschrecken. So leicht ist er.
Er versucht zur Bambuswand zu krabbeln, tapsig noch, er schafft es. Seine Hand greift ein vorstehendes Teil, er zieht sich hoch, mit aller Kraft, langsam, mit allem Willen, noch ein Stückchen: bis er auf seinen dünnen Beinchen zum Stehen kommt.
Die Organisation NETZ ist auf die Entwicklungszusammenarbeit mit Bangladesch spezialisiert. NETZ startet jetzt ein neues Projekt speziell für die ärmsten Familien. Masura und weitere 3.799 Frauen erhalten Schulungen und Startkapital: Ziegen für eine Ziegenzucht, Hühner, eine Milchkuh oder Werkzeug zur Bambusverarbeitung. Das Projekt wird aus Spenden gefördert sowie durch das "Aktionsprogramm zur Halbierung der Armut bis 2015" der Bundesregierung. Das Entwicklungsministerium finanziert 75% des Projekts. Eine Spende von 65,- Euro kann deshalb eine kleine Welt bewegen: Eine Familie erhält daraus die erforderliche Starthilfe, die den Weg aus dem Teufelskreis der Armut ebnet.Kontakt:
NETZ
Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V.
Moritz-Hensoldt-Str. 20
35576 Wetzlar
Tel. 06441 - 97463-0
eMail: dietzel@bangladesch.org