Einsatz gegen Säure-Attentate
Monira Rahman erhält Menschenrechtspreis von „amnesty international“
Von Ines Burckhardt
Monira Rahman aus Bangladesch erhält am 19. März den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von „amnesty international“. Im Jahre 1999 bereits gründete sie die Organisation „Acid Survivors Fundation“ (ASF), die sich in dem südasiatischen Land für die Überlebenden von Säure-Attentaten einsetzt. „Blieb den Frauen und Mädchen früher oft nur ein Dahinvegetieren oder der Selbstmord, macht die ASF aus den Opfern von Säure-Attentaten heute Menschenrechtsverteidigerinnen, die ihr Gesicht bewusst der Öffentlichkeit zeigen, um weitere Verbrechen zu verhindern“, heißt es in der Begründung von „amnesty international“.
Safina wird sich nie verzeihen, dass sie in jener Nacht im Juli 2004 auf die Toilette ging, ohne sich von jemandem aus ihrer Familie begleiten zu lassen. Sie verließ das Haus ihrer Eltern im Süden Bangladeschs, wo sich die Aborte außerhalb des Hauses befinden, alleine. Darauf hatten die drei jungen Männer gewartet, sie rissen sie zu Boden, hielten sie fest. Safina wehrte sich verzweifelt. Sie erkannte einen der Angreifer, es war Amin, er hatte ihr Nachhilfeunterricht gegeben. Monatelang hatte er ihr nachgestellt, ihr Briefe geschrieben, nachts vor ihrem Haus gestanden und sogar bei ihrem Vater vorgesprochen. Aber eine Heirat war ausgeschlossen, Amin ist Hindu und Shafina Muslimin. Amin überschüttete Shafina in dieser Nacht mit Säure, um ihre Schönheit zu zerstören, damit sie niemals ein anderer Mann heiraten wird.
Safinas Schicksal teilen fast 2000 andere Frauen, Männer und Kinder in Bangladesch. Sie alle sind Überlebende eines Säure-Attentats. Ihre Gesichter und Körper sind oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt. In ihrem Dorf begegnet man ihnen mit Misstrauen und Ächtung. Monira Rahman hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Menschen zu helfen: Die Leiterin der Organisation ASF engagierte sich bereits während ihres Philosophie-Studiums in der Hauptstadt Dhaka für die Rechte von Prostituierten. Bei einer internationalen Tagung lernte sie erstmals das Opfer eines Attentats kennen. Daraufhin gründete sie zusammen mit dem irischen Chirurgen John Morrison die ASF, welche die Überlebenden medizinisch und psychologisch in einem eigenen Krankenhaus betreut. Außerdem hilft Monira Rahmans Organisation bei der Reintegration in die Gesellschaft und leistet juristischen Beistand.
Nach einem Attentat mit einer derart stark ätzenden Substanz wie Säure, die das Hautgewebe und sogar harte Knochen angreift, sind Blindheit oder Taubheit nicht seltene Folgen. Die Flüssigkeit wird unter anderem von Goldschmieden und in der Autoindustrie verwandt. Auf dem Land wird Säure in Bangladesch auch in kleinen Mengen zum Schutz gegen Schlangen in Schalen vor die Tür gestellt. Den meist männlichen Täter kostet das Werkzeug nur wenig: eine kleine Flasche ist schon für 10 Taka, etwa 12 Cent, erhältlich. Die Verkäufer brauchen laut Gesetz eine Lizenz, in der Praxis jedoch interessiert das niemanden. „Dass der Säureverkauf endlich kontrolliert wird, ist eines unserer wichtigsten Ziele“, sagt Monira Rahman.
Säure-Attentate sind in vielen Ländern Süd- und Südostasiens verbreitet, auch aus Nigeria und Uganda, Jamaika und der Türkei werden Fälle berichtet. Nirgendwo jedoch ist die Zahl der Opfer so hoch wie in Bangladesch, der Heimat Monira Rahmans. Der Fall eines derartigen Attentates wird erstmals in den 1960er-Jahren öffentlich. Seit den 90er Jahren stieg die Zahl der Opfer dramatisch an und erreichte ihren Höhepunkt im Jahre 2002 mit fast 500 bekannten Überlebenden. Die ASF geht von einer Dunkelziffer aus, die weitaus höher liegt. Viele Opfer schämen sich oder sehen die Notwendigkeit einer Anzeige nicht. Auch die Bedrohung durch den Täter oder seine Familienangehörige stellt eine hohe Hemmschwelle dar.
In rund der Hälfte aller Fälle ist der Grund für das Attentat ein Streit um Besitzrechte an Landeigentum. Weitere Gründe sind Familienkonflikte, Ablehnung von Heiratsangeboten wie in Safinas Fall oder Mitgiftforderungen. Erst im Juli 2005, ein ganzes Jahr nach dem Attentat, wurde Safina von Ärzten an ein Krankenhaus der ASF überwiesen. Die Art von Säure, die der Täter bei ihr anwendete, ist nicht üblich. Man weiß nicht, wie man Safinas Haut, die immer wieder schwarz wird, behandeln soll. Dreimal täglich trägt sie eine Creme auf, die ihr Gesicht normal aussehen lässt. „Sobald ich die Creme aber weglasse, wird die Haut sofort wieder schwarz und ich habe so starke Schmerzen wie in der ersten Nacht“, sagt Shafina. Die Familie kann sich diese Creme auf Dauer nicht leisten. Ihr Gesicht lässt einen nicht ahnen, was in ihrem Inneren vorgeht. Shafina hat starke psychische Probleme und weint oft. Eine Laserbehandlung musste abgebrochen werden, weil sie sich nicht mit ihren Medikamenten gegen die Depressionen vertrug.
Die Ächtung und das Misstrauen, das den Überlebenden entgegen gebracht wird, wiegt schwer. Shafinas Onkel und ihre Cousins, die mit in ihrem Haus lebten, befinden sie für mitschuldig, weil sie nachts alleine aus dem Haus gegangen ist. Sie verachten Shafina für das, was ihr passiert ist. „Das tut mir mehr weh als die Schmerzen gleich nach dem Attentat“, sagt Shafina. In dem mehrheitlich muslimischen Land Bangladesch, in dem der soziale Status des Mannes und die Geburt von Kindern, vor allem Söhnen, die soziale Integration der Frau bestimmen, sind entstellte Mädchen doppelt bestraft: Kein Mann möchte sie mehr heiraten.
Safinas Täter wurde verhaftet, der Prozess geht jedoch nur schleppend voran. Durch ASF wurde Safinas Familie ein Rechtsanwalt zur Seite gestellt. Gegen die allgegenwärtige Korruption aber ist auch er machtlos. Die Familie des Täters hat Zeugen Schweigegeld zukommen lassen und auch dem Richter Geld angeboten, berichtet Shafina. Ihr Vater und der Bruder erhielten Morddrohungen. Shafinas Schwestern dürfen das Haus jetzt nicht mehr verlassen.
Hinter jedem Säure-Attentat steht eine andere, jeweils ganz persönliche Geschichte einer Überlebenden. Bezeichnend ist jedoch die Tatsache, dass nur höchstens zehn Prozent der Täter vor Gericht verurteilt werden, so die Schätzungen der ASF. Die meisten Opfer sind Analphabeten und haben keine Chance, sich gegen die Machenschaften der oft korrupten Polizei und undurchsichtigen Strukturen der Justiz zur Wehr zu setzen.
Im Jahr 2002 wurden unter Beteiligung der ASF neue Gesetze in Bangladesch verabschiedet. Eines davon dient der Kontrolle von Säure, das andere den gerichtlichen Verfahren. Die Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen sollen nun in einem Zeitrahmen 90 Tagen abgeschlossen sein und die Täter können nicht auf Kaution freigekauft werden. Die neuen Gesetze und die Aufklärungskampagnen der ASF haben zur Abnahme von Attentaten beigetragen. Im Jahr 2005 gab es noch 267 Opfer, über die Hälfte davon waren Frauen. Frauen sind leichter angreifbar und werden als Besitz des Mannes angesehen. Auch bei Landstreitigkeiten wird oft die Frau angegriffen, um dem Mann und der ganzen Familie zu schaden.
Shafina möchte nicht nach Hause zurück. Ihr wurde durch die ASF ein Praktikum ermöglicht, durch das sie vorerst in Dhaka bleiben kann. Im März soll sie endlich, fast zwei Jahre nach der Tat, vor Gericht aussagen. Bis die Säure-Angriffe ein Ende nehmen und die Attentäter konsequent zur Rechenschaft gezogen werden können, ist es noch ein weiter Weg. Monira Rahman hat entscheidende Schritte zur Erreichung dieses Ziels bereits getan. „amnesty international“ erkennt diese Arbeit mit dem Menschenrechtspreis an. In Berlin wird Monira Rahman am 19. März 2006 den Preis, der mit 7.500 Euro dotiert ist, in Begleitung einer Überlebenden eines Säure-Attentats entgegennehmen.
Am 24. März 2006 kommen Monira Rahman und Asma, eine Überlebende eines Säure-Attentats, nach Wetzlar. Um 19.30 Uhr werden sie im Gertrudishaus (hinter dem Dom) von ihrer Arbeit berichten. Veranstalter sind die „amnesty international“-Gruppen Gießen und Wetzlar sowie die Bangladesch-Organisation NETZ. Der Eintritt ist frei.
Die Autorin: Ines Burkhardt leistet derzeit mit der Organisation NETZ einen Freiwilligendienst in Bangladesch.
Fotos:
Monira Rahman; Foto: Peter Dietzel
Monira Rahman (2. von links) mit Säure-Opfern; Foto: ASF Überlebende von Säure-Attentaten auf einer Demonstration in Dhaka am Weltfrauentag 2005; Foto: ASF