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Die Flut reißt ganze Dörfer fort

Auswärtiges Amt und NETZ leisten Katastrophenhilfe in Bangladesch

Weite Teile der östlichen Bundesstaaten von Indien sind überflutet. Jetzt steht Bangladesch vor der Katastrophe, denn die Wassermassen fließen größtenteils durch das 130 Millionen Einwohner zählende Bangladesch ab, das vier Fünftel seiner Landesgrenze mit Indien teilt. Die Wetzlarer Organisation NETZ hat ein Soforthilfeprogramm für die notleidende Bevölkerung gestartet. Der NETZ-Mitarbeiter Peter Dietzel berichtet aus dem Katastrophengebiet.

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Schajadpur/Dhaka. Wo Abdur Rahim vor zwei Monaten Reis angepflanzt hatte, breitet sich jetzt eine riesige Wasserfläche aus. Von seinem Dorf - den Häusern, dem Markt, der Schule - ist nichts mehr zu sehen: Die Uferbefestigung ist auf einer Länge von 15 Kilometern gebrochen und der Jamuna, der größte Fluß Bangladeschs, hat einen ganzen Landstrich unter Wasser gesetzt. Die Menschen konnten sich in nahe gelegene Dörfer retten. Als das Wasser immer höher stieg, haben sie rasch ein paar Wellblechdächer und Schilfwände abmontiert und mit Booten in die etwas höher liegenden Ortschaften transportiert. Was die Dorfbewohner nicht in Sicherheit bringen konnten, haben die Wassermassen unter sich begraben und fortgerissen. Doch die in Eile aufgeschlagenen Unterkünfte bieten im Monsunregen nur notdürftig Schutz. Die Lebensmittelvorräte reichen noch für drei, vier Tage. Und dann? Abdur Rahim zuckt nur langsam mit den Schultern. Das Wort "Hunger" spricht er nicht aus. Noch spielen seine drei Kinder unbekümmert auf dem schlammigen Pfad, der sich durch die Notquartiere schlängelt, wo hunderte Menschen auf engstem Raum leben.

Genaue Angaben über das Ausmaß der Katastrophe in Bangladesch sind im Land nur schwer erhältlich. Nach Berichten aus den einzelnen Landesteilen sind 3 Millionen Menschen von der Flut betroffen, über 90.000 Häuser sind ganz zerstört und zehntausende Hektar Reispflanzungen verwüstet. Über 60 Menschen sind seit Juli ertrunken.

Die staatliche Hilfe läuft nur schleppend an. Anders als bei früheren Katastrophen ist die Premierministerin von Bangladesch dieses Jahr noch nicht mit einem Tross Reporter in den Überschwemmungsgebieten aufgetaucht. So fühlen sich ihre Minister auch nicht gemüßigt, besonders aktiv zu werden. Nur 235 Tonnen Lebensmittel hat die bangladeschische Regierung nach Presseangaben bisher an die notleidende Bevölkerung verteilt. Und der Reis wird vorwiegend in die Landesteile geliefert, die durch Straßenverbindungen erreichbar sind. In der von der Außenwelt abgeschnittenen Notunterkunft von Abdur Rahim ist bisher kein einziger Sack Getreide eingetroffen. Dietrich Andreas, der deutsche Botschafter in Bangladesch, setzt mehr auf die Arbeit der nichtstaatlichen Organisationen, die über die Infrastruktur verfügen, Hilfsgüter in entlegene Regionen zu transportieren. Voraussetzung ist jedoch, dass eine Verteilung an die bedürftigsten Familien gewährleistet ist. Hierfür hat er der Organisation NETZ die Zusammenarbeit angeboten.

NETZ, das auf die Entwicklungszusammenarbeit mit Bangladesch spezialisiert ist, hat zusammen mit seinen lokalen Partnern ein Soforthilfeprogramm gestartet. 1.125 besonders schwer betroffene Familien werden mit Reis, Linsen und Kunststoffplanen versorgt. Die Lebensmittelration, die einer fünfköpfigen Familie eine Woche lang das Überleben sichert, kostet 6,20 Euro. Die Finanzierung erfolgt durch das Außenministerium in Berlin und durch Spenden.

Der Wasserpegel des Jamuna geht zwar langsam zurück, doch das Ende der Überschwemmungs-katastrophe ist nicht abzusehen. Im Norden und Westen des Landes dringen weitere Wassermassen aus Indien ins Land. 150 Flüsse aus dem Nachbarstaat fließen durch Bangladesch, bevor sie in der Bucht von Bengalen ins Meer münden.

Abdur Rahim und die anderen Familien aus Schajadpur sind bereits wieder dabei, die Wellbleche und ihre anderen Habseligkeiten auf Boote zu laden, um sie an einem sichereren Platz aufzuschlagen. Denn die Strömung des Flusses spült jetzt auch das Fleckchen Erde weg, auf dem Abdur Rahim mit seiner Familie vor zehn Tagen Zuflucht gefunden hatte.

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