Yunus Superstar?
"You know what, Muhammad Yunus got the Nobel Peace Prize". Diese Neuigkeit erreichte mich mitten im täglichen Verkehrschaos in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Meine Reaktion fiel ganz ähnlich aus wie des ganzen Landes: Großer Jubel! Endlich einmal eine gute Nachricht für dieses medientechnisch vernachlässigte, ewig nur gescholtene oder bemitleidete Fleckchen Erde.
Die frohe Botschaft liegt nun schon über eine Woche zurück und die Freude ist ungebrochen. Die Zeitungen sind voll mit Glückwunschanzeigen für Yunus ("Heartiest congratulations!", "We cannot help but be proud!", "Warmest felicitations!", "Pride of the Nation"). Fernsehsender und Printmedien berichten seit Tagen von nichts anderem. Die Mauern entlang der Hauptverkehrsstraßen sind mit Yunus-Plakaten voll gekleistert. Und die Bangladeschis feiern Yunus enthusiastisch: Menschenmassen drängen zu seinen Ansprachen und überhäufen ihn mit dicken Blumenketten. Seine Meinung - ob zur ausstehenden Parlamentswahl in Bangladesch oder den Atomtests von Nordkorea - sie wird nun überall gehört. Er wurde sogar als Vorsitzender der bangladeschischen Interimsregierung vorgeschlagen, welche die Regierungsgeschäfte nächste Woche übernehmen soll. Der Gründer der Grameen Bank ist schlagartig zum Helden der Nation avanciert. Yunus Superstar.
Und es stimmt. Der Nobelpreis - der erste überhaupt für Bangladesch - ist für dieses Land von großer Bedeutung. Die Menschen in Bangladesch haben nicht oft Grund, auf ihr Land stolz zu sein. Die restliche Welt kennt ihre Heimat nur als von Überschwemmungen und Wirbelstürmen gebeuteltes Armenhaus. Die Korruption, die in Bangladesch verschiedenste Lebensbereiche - Politik und Verwaltung, Gesundheitswesen, Bildungssystem, Telekommunikation und viele mehr - durchzieht, ist berüchtigt. Die zunehmende Islamisierung der Politik wirbt ebenso wenig für ein positives Image des Landes. Der Nobelpreis ist seit der blutig erkämpften Unabhängigkeit von Pakistan 1971 und dem Ende der Militärdiktatur 1991 eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der jungen Nation. Er ist ein Symbol: Jetzt werden wir international gewürdigt, jetzt geht es vorwärts.
Doch so sehr Yunus öffentlich gefeiert wird: Es gibt auch kritische Stimmen. Auf institutioneller Ebene kann und soll Kritik jetzt vielleicht nicht geäußert werden, aber einzelne Vertreter der Zivilgesellschaft, die selbst am Entwicklungsprozess mitwirken und die Gegebenheiten in ihrem Land besonders gut kennen, kritisieren die Umsetzung von Mikrokreditprogrammen durch große Kreditinstitute wie die Grameen Bank.
Zunächst zur Theorie. Als Yunus Anfang der 1970er Jahre als Professor der Universität Chittagong ein Dorf besuchte, stellte er fest, dass sich die Armen dort in großer finanzieller Abhängigkeit befanden. Die Handwerker und Landarbeiter mussten sich erst beim Rohstoffhändler verschulden, bevor sie ihre Arbeit beginnen konnten. Sie besaßen das wenige Geld für den Einkauf nicht. Daraus entstand ein ewiger Kreis der Abhängigkeit, der die Menschen in einem sklavenartigen Zustand hielt. Yunus Idee war einfach und doch eine kleine Revolution in einem Land wie Bangladesch. Arme Menschen erhalten einen Kleinkredit, mit Hilfe dessen sie ein eigenes, unabhängiges Einkommen erwirtschaften sollen.
Nach wie vor lebt die Hälfte der Bevölkerung Bangladeschs - das sind immerhin rund 70 Millionen Menschen - in großer Armut. Diese Menschen besitzen meist nichts. Sie verdingen sich mit Taglöhnerarbeit auf den Feldern oder als Steine-Klopfer. Sie haben nicht genug zu essen, ihre Kinder gehen nicht oder viel zu kurz zu Schule, sie haben kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung und die Mädchen werden oft viel zu jung verheiratet. Jede Naturkatastrophe droht ihre Lebensgrundlage zu zerstören. Die Verlockung, das Glück in der Stadt zu suchen, ist groß. Hier wachsen die Slums. Das Elend auf den Straßen ist unübersehbar. Der Mikrokredit sollte hier einen Weg aus der Armut und der Hoffnungslosigkeit zeigen. Er sollte die Menschen zu selbstständiger und selbst bestimmter Entwicklung anregen. Die Idee hatte Vorläufer, doch Yunus war der erste, der eine Bank ausschließlich zur Vergabe von Kleinkrediten eröffnet hat. Zudem vergibt seine Grameen Bank einen Großteil ihrer Mikrokredite an Frauen. In Bangladesch gehören Frauen auf Grund wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Strukturen zu den Ärmsten der Armen. Besonders ihre Situation soll verbessert und ihre Unabhängigkeit gefördert werden. Zudem bedeutet die Aufnahme eines Kredites, dass die Frauen ihre Häuser verlassen, alleine zur Bank gehen, Geld verwalten, Produkte erzeugen und auf dem Markt verkaufen. In einer streng muslimischen Gesellschaft, in der Frauen oft aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen sind, kann das System der Kleinkredite eine tief greifende gesellschaftliche Veränderung erwirken.
Die Grameen Bank und andere Kreditinstitute wie BRAC oder ASHA preisen ihr Angebot als den effektiven Weg aus der Armut. Alles scheint ganz einfach: Die Armen erhalten Geld, investieren in etwas Vieh, Werkzeuge und Rohmaterialen, stellen eigenständig Lebensmittel oder Handwerk her, verdienen eigenes Geld und zahlen ihren Kredit zurück. Doch die Realität ist weniger ideal, dafür um einiges komplexer. Ein erster Kritikpunkt liegt in der Konzeption der Grameen Bank als kommerzielles Kreditinstitut. Auch wenn der erwünschte Effekt die Bekämpfung von Armut ist, liegt das primäre Interesse einer Bank daran, nachhaltig zu wirtschaften - und das tut sie über das Einholen von Zinsen. Zwar ermöglichen Mikrokreditbanken den Armen, was andere Banken ihnen versagen, jedoch zu Zinsraten von 20, 30 oder in machen Fällen sogar 40%. Von dem Wenigen, was mit Hilfe eines Kleinkredits erwirtschaftet werden kann, fließt ein Großteil zurück an die Bank. Dieser Profit wird nicht, oder nur teilweise, in die Verminderung der Armutssituation, beispielsweise durch Schulbau, rückinvestiert. Der Mikrokredit gehört, wenn er profitorientiert betrieben wird, zu den rentablen Geschäften in einem Land voller Armut. Abgesehen von dieser Kritik am Kommerzcharakter der Grameen Bank, ist auch die praktische Umsetzung des Mikrokreditprogramms problematisch. Die Grameen Bank rühmt sich zwar, dass fast alle Kreditnehmer ihren Kredit zurückbezahlen, erwähnt dabei aber nicht, dass sie dies vielleicht nur mit einem neuen, höheren Kredit der Grameen Bank oder auch einer anderen Mikrokreditbank tun. Der Effekt: Einige der Armen gelangen, statt ihre Unfreiheit zu überwinden, in eine neue Abhängigkeit. Grameen-Mitglieder sind oft seit vielen Jahren oder seit Jahrzehnten Kreditnehmer. Ihre Lage hat sich dabei nicht zwangsläufig verbessert, zumindest nicht grundlegend. Gelingt es einer Frau, mit Hilfe eines Kredits eine Kuh zu erstehen und deren Milch zu verkaufen, so ist dies ein kleiner Erfolg, der durch Behandlungskosten für ein krankes Kind in einem Tag wieder zunichte gemacht werden kann. Viele Arme sind verwundbar wie zuvor: Oft bleiben die Armen arm.
Ebenso erschweren die Rahmenbedingungen ein Ende der Armut: Korruption und schlechte Regierungsführung, Landraub, soziale und rechtliche Unsicherheit, hohe Analphabetenraten und mangelnde Gesundheitsversorgung verhindern wirkliche Veränderungen. Außer gesellschaftlichen, politischen und administrativen Veränderungen müssen auch makroökonomische Fortschritte herbeigeführt werden. Es reicht also nicht, wenn eine Bank Kredite an Arme vergibt.
Die Idee des Mikrokredits ist unbestritten revolutionär. Die Vergabe von Krediten an Frauen hat Veränderungen in den starren Strukturen der bangladeschischen Gesellschaft herbeigeführt und kann zu mehr Selbstständigkeit führen. Wichtig ist aber, dass andere Aspekte wie gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung, soziale und rechtliche Sicherheit sowie makroökonomische Veränderungen mit dem Mikrokreditprogramm einhergehen müssen. Zahlreiche NGOs, die nicht rein kommerziell arbeiten, bieten Mikrokredite zu weniger Zinsen an. Gewinne werden in das Dorf investiert und das Mikrokreditprogramm mit anderen Projekten, beispielsweise mit Berufsfortbildungen, kombiniert.
Die Bedeutung des Nobelpreises für Bangladesch und die Leistung von Muhammad Yunus ist unbestritten, eine Glorifizierung des Grameen-Systems jedoch nicht angebracht. Eine Bank allein kann weder die Armut besiegen, noch dauerhaft für Frieden sorgen. Mikrokredite sind eine Möglichkeit, für den Einzelnen etwas zu verändern, doch letztlich können sie nur in Verbindung mit umfassenderen Veränderungen die Armut besiegen. Hier ist ein verantwortungsvolles Verhalten der bangladeschischen Regierung einerseits und der reichen Länder des Westens andererseits gefragt.