Wir kämpften uns zu den Inseln durch
Letzten Sonntag bin ich zu meinem ersten "field visit" aufgebrochen. Mein Projekt ist in Gaibandha, dieser Distrikt liegt im Nordwesten Bangladeshs. Er zählt zu den ärmsten des Landes. Bei der Ankunft fiel mir sofort die frische Luft, die Ruhe - keine Autos und Busse - und das satte Grün der Landschaft auf. Das Land ist flach und wird dominiert von Reisfeldern, die zwei Wochen vor Erntebeginn entsprechend üppig wirken. Schlechte Strassen, die teilweise noch Flutschäden aufweisen und holprige Sandwege durchziehen die Felder. Überall gibt es Teiche. Um die Kleinstadt Gaibandha siedeln viele kleine Dörfer. Die Armut ist nicht zu übersehen. Die Hütten bestehen aus Lehm, manche auch aus Wellblech.. Es gibt auf dem Land viele alte Leute. Mir sind vor allem die alten Frauen aufgefallen. Sie sind bis auf die Knochen abgemagert. Gana Unnayan Kendro, die Partner-NGO von NETZ, in der ich arbeiten werde, liegt mit der Rikscha etwa 20 bis 30 Minuten von der Stadt entfernt. Als ich durch das Eingangstor den Hof betrat, dachte ich nur "ist das schön hier". Ein zweistöckiges Haus mit grün gestrichenen Geländern bildet in L-Form das Hauptgebäude. Gegenüber stehen niedrige Baracken und ein Unterstand für Fahr- und Motorräder. Zentral befindet sich eine runde Hütte mit Strohdach, die als Konferenzraum genutzt wird. Alles ist durch Bambus und Nadelbäume begrünt.
Am Montag begleiteten wir eine Bootsfahrt zu einer Char. Chars sind bewohnte Schwemmland-Inseln im Fluss, die dieses Jahr von der Flut sehr stark betroffen sind. Viele Bewohner verlieren ihre Hütten. GUK verteilt dort Lebensmittel: Reis, Salz und Öl. Die Bootsfahrt war trotz des Anlasses unglaublich schön. An einigen Stellen war das Wasser sehr niedrig und wir liefen mehrmals auf Sandbänke auf. Nach körperlichem Einsatz der Männer gelangte das Boot wieder in tieferes Fahrwasser. Wir kämpften uns bis zur nächsten Insel vor. Dort stiegen wir aus, um das Boot zu entlasten und unternahmen einen einstündigen Spaziergang zu unserem Zielort. Die Landschaft war irgendwie bizarr: feiner weißer Sand, dazwischen knöcheltief angenehm kühlender Schlamm, am Horizont von der Hitze verzogen die schillernde Kulisse einiger Hütten und Menschen, die in dieser Mondlandschaft leben. Am Zielort warteten die Bedürftigen bereits in drei langen und geordneten Reihen auf das verspätete Boot. Während die Lebensmittel verteilt wurden, bekamen wir Essen in der Hütte des Dorfoberhauptes. Auf der Heimfahrt haben wir noch den schönen Sonnenuntergang genossen. Den Rest der Woche war ich hauptsächlich im Behindertenprojekt, in welchem ich vorerst arbeiten werde. Ich habe schon Kinder kennen gelernt, viele haben Folgeschäden durch Polio, viele haben CB (Cerebral Palsy).
Mein von NETZ gestellter Auftrag ist die Entwicklung eines Konzeptes, durch das die Eltern selbstständig mit ihren behinderten Kindern physiotherapeutische Übungen machen. Im Geiste habe ich schon die Ärmel hochgekrempelt. Ja, wie Ihr seht, ist mein erster Eindruck ein positiver und ich freue mich auf die kommenden Monate. Auch bin ich angewiesen, schnell Bengalisch zu lernen, denn auf dem Land und auch in der NGO sprechen viele Leute kein Wort Englisch. Um Kontakt zu Leuten im Dorf zu knüpfen, sind Sprachkenntnisse mit die wichtigste Voraussetzung.