Wie eine außerirdische Prinzessin
Eid-ul-Azha, oder auch Korbanir Id, ist das zweitwichtigste Fest der Muslime in Bangladesch. Das Schlachtfest nach dem Ende des Ramadan erinnert an Ibrahim (Abraham), der bereit war, Gott seinen Sohn Ismail zu opfern. Doch Allah erkannte den Großmut Ibrahims und forderte ihn auf, an Stelle des Sohnes ein Tier zu schlachten. In Bangladesch schlachten die Familien, die es sich leisten können, eine Ziege oder eine Kuh an Korbanir Id.
Traditionellerweise fährt ein Großteil der Bewohner Dhakas in dieser Zeit hinaus auf das Land zur Familie, wo man einige Tage zusammen verbringt, sich unterhält und feiert. Auch ich will Eid-ul-Azha auf dem Land erleben und gleichzeitig dem jährlichen Silvester-Stress in der Ruhe des Dorfes entkommen. So sitze ich also am frühen Morgen des 29. Dezember zusammen mit meinem bangladeschischen Freund Khotib im Bus Richtung Faridpur. Er hat mich eingeladen, Eid im Hause seiner Großmutter gemeinsam mit zahlreichen Onkel, Tanten, Neffen, Nichten und sonstiger Verwandtschaft zu verbringen. Schon die Anreise ist ein erstes kleines Abenteuer. Um dem jährlichen Verkehrschaos zu Eid zumindest etwas voraus zu sein, haben wir uns für den frühen Bus entschieden. Doch am Ufer des gewaltigen Padma-Flusses ist erst mal Schluss. Der Nebel über dem Wasser ist so dicht, dass die kleinen Passagierboote nicht übersetzen können. Tausende müder Menschen, Alte und Junge, beladen mit Geschenken für die Familien im Dorf, drängen sich an der Anlegestelle. Es ist in den Morgenstunden und die Leute hüllen sich tief in ihre dicken Tücher. Wir klettern auf eine der großen Busfähren und können den Fluss so doch noch ohne allzu langes Warten überqueren. Auf der anderen Seite bietet sich uns ein ähnliches Bild. Die Busse warten in ungefähr zwei Kilometer Entfernung auf die Reisenden, so dass sich eine endlose Karawane über die staubige Straße zieht. Anstrengend - aber das ist Eid.
Irgendwo auf der Landstraße zwischen Faridpur und Khulna verlassen wir den Bus. Nun geht es per Van weiter, einer Rikscha mit einer Ladefläche für Mensch und Gepäck. Khotibs Dorf, Damodordi, ist nur per Sandstraße zu erreichen. Wir fahren vorbei an abgeernteten Reisfeldern, Bananenstauden und den gelben Senffeldern. Damodordi ist eine Ansammlung zahlreicher kleiner Siedlungen entlang einer erhöhten Straße. So können die Fluten des Padma die Häuser in der Regenzeit nicht erreichen. An der sauber gefegten Dorfstraße liegen außerdem eine Grundschule, eine Moschee und die Dorfmadrasa, oder Koranschule. Die Siedlung von Khotibs Familie ähnelt den anderen Familienwohnstätten im Dorf. Hinter einem kleinen Zaun aus geflochtenem Blättern liegen mehrere Häuser um eine Art Innenhof. Die Häuser sind sehr einfach, für unsere Verhältnisse ärmlich, doch solide: Die Wände sind teilweise gemauert, aber zum Großteils aus Wellblech, ebenso das Dach. Innen sind die Räume mit Bambusgeflecht ausgekleidet. Jedes Haus hat zwei, drei Räume. Es gibt für jede Familie ein großes Bett, einige Schränkchen. Die Kochstelle liegt an der Seite eines Hauses, unter einem Vordach aus Bambus. Die Frauen kochen an zwei Lehmöfen im Boden, die sie mit Holz feuern. Außerdem gibt es eine Wasserpumpe und eine einfache Toilette. Gebadet, gewaschen und abgespült wird allerdings im familieneigenen Teich nebenan. Damodordi ist an den Strom angeschlossen, aber am Abend, wenn es dunkel, wird sitzen wir doch meist um eine Öllampe, da der Strom fehlt.
Die Familie nimmt mich freundlich auf. Ich bin die erste Bideshi, also Ausländerin, in ihrem Haus - doch das Eis ist schnell gebrochen. Ein paar Sätze Bengalisch und mein Interesse für ihr Leben freuen die Leute - und wenn man mal gar nicht versteht, was sie einem sagen wollen, hilft ein strahlendes Lachen immer weiter. Sie zeigen mir ihre Bäume - die Kokospalme, die Bananenstauden, die Dattelpalme, den Mango- und den Guavenbaum, ihre Tiere und ihre Felder. Ich spiele mit den Kindern, die es gewohnt sind, von verschiedensten Leuten herumgetragen zu werden. Beim ersten Anblick stößt eines der kleinen Mädchen zwar noch ein erschrockenes "Haré-Baba!" aus, was so viel heißt wie "Um Gottes Willen!", doch schon am zweiten Tag habe ich auch den schüchternsten Bub auf dem Arm. Jetzt bin ich für alle "Apu", die große Schwester.
Am Abend sitze ich mit den Frauen um die Lehmöfen und schaue beim Kochen zu. Außerdem ist es schön warm an der Glut, denn die Nächte sind im bengalischen Winter empfindlich kalt, zumal es weder Heizung noch wirklich warme Kleidung gibt. Wir gehen früh ins Bett, weil es unter der warmen Decke am schönsten ist. Doch vor dem Einschlafen halten alle noch das tägliche Schwätzchen über Familienangelegenheiten, die politische Lage und das Leben im Dorf. Dabei sitzen alle im Bett unter den Decken, dazwischen kuscheln sich die Kinder und mampfen Muri, den hausgemachten Puffreis, mit Senföl und grünem Chili.
Dann ist der große Tag endlich gekommen. Ich darf die Männer der Familie morgens zum Teich hinter der Moschee begleiten. Dort nehmen sie ein ausführliches Bad. Erst von oben bis unten mit Seife eingerieben springen sie samt Lungi - dem bengalischen Wickelrock - in den kühlen Teich und schrubben sich minutenlang. Ein ordentliches Bad gehört zu Eid. Dann gehen die Männern, von den ganz kleinen bis zu den ganz alten, auf den Eidgah, den extra für das Fest geschmückten Gebetsplatz vor der kleinen Moschee und beten ihr Namaz. Alle tragen dabei festlich einen weißen Panjabi, ein langes Oberhemd bis zu den Waden und eine enge Hose darunter, und das weiße Käppchen der Muslime. Währenddessen kümmern sich die Frauen um das Essen, versorgen den Nachwuchs und kleiden auch die Kinder in ihrem Festtagsstaat: Die kleinen Jungs tragen ihren Mini-Panjabi, die Mädchen bunt bestickte Kleider, Glitzerketten und Lippenstift, die Frauen Sari oder zumindest einen schillernden Salwar Kameez. Dann gehen auch wir Frauen zum Bad in den Teich. Dazu ziehen mir die Frauen einen alten Sari an. Wir setzen uns auf Holzstämme am Teich und seifen uns von oben bis unten ein. Ich stelle mich dabei nicht so geschickt an und natürlich flutscht mir die Seife auch gleich in den Teich. Die Dorffrauen lachen sich schlapp, meine Erklärung, dass ich das zum ersten Mal mache, sorgt für noch mehr Stimmung. Also ich dann samt Schaum und Sari untergetaucht bin, habe ich die Prüfung bestanden und darf bibbernd zurück in den Hof. Jetzt bin ich ein "Bengali Meye", ein bengalisches Mädchen.
Inzwischen weiß das ganze Dorf Bescheid, dass ich da bin. Die Informationen über die Äusländerfrau verbreiten sich wie ein Lauffeuer: Ich komme aus Deutschland. Ich bin ein "Bondhu", also ein Freund, von Khotib - eine Erklärung, die eine Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau für die Dorfleute nur unbefriedigend erklärt. Bin ich vielleicht seine Frau? Der ein oder andere grinst mich verschmitzt an. Außerdem wissen auch schon alle, dass ich komisch bin und weder Fleisch noch Fisch esse, aber meine Eltern ganz normal sind und alles essen. Jetzt hat sich also auch noch herumgesprochen, dass ich Sari tragen werde. Als ich in Sari-Unterrock und knapper Bluse im Haus stehe und mich anziehen will, drängen sich dutzende Frauen und Kinder um mich herum, um meinen weißen Bauch zu kommentieren, mein Schmuckkästchen zu inspizieren und zu überprüfen, ob ich mir auch die Haare kämme. Das wird mir zuviel und ich werfe alle raus. Als ich schließlich fertig hergerichtet bin, spaziere ich durchs Dorf, in jedem Hof werde ich auf einen Stuhl gesetzt und begutachtet. Die Menschen mustern mich genauestens, um dann meine Haare und ihre rötliche Färbung, meinen Nasenring und die Ohrringe, die Hautfarbe, meine blassen Zehen - kurz einfach alles Äußerliche ausführlich zu benennen und zu beurteilen. Und immer wieder die gleichen Fragen: Wie viele Geschwister haben sie? Wo ist ihr Land? Was essen Sie in ihrem Land? Was macht ihr Vater? Sind sie alleine gekommen? Was ist ihre Religion? Kann ich in ihrem Land arbeiten? Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, ich bin eine Außerirdische und das ein oder andere Kind fragt auch seine Mutter ganz verblüfft: Amu, eta ki? Mama, was ist das? Aber die Leute freuen sich und behandeln mich wie eine Prinzessin: Da kann ich nur den ganzen Tag grinsen und Kulturbotschafterin spielen. Der Höhepunkt aller Aufmerksamkeit wird erreicht, als am Morgen ein sehr alter Mann an seinem Stock auf mich zukommt. Er erklärt mir, er sei viele Kilometer aus seinem Dorf gekommen, um mich zu sehen. Und um mich zu bitten, doch kurz vorbeizukommen, damit auch seine Familie mich anschauen kann. Wir werden ihm den Gefallen tun und ich werde wieder auf dem Stuhl in der Mitte Dutzender neugieriger Augen sitzen.
Aber noch waren wir ja nicht beim wichtigsten Teil des Eid-Festes angekommen: dem Opfern des Schlachttieres. Von anderen Freiwilligen hatte ich ja schon bluttriefende Geschichten gehört, die meinem Vegetarierherz schwer zu schaffen machten. Besonders in Dhaka, wo die Menschen so eng beisammen wohnen und sich die Wohlhabenden einen kleinen Wettkampf im Schlachten der meisten und größten Tiere leisten, versinken die Straßen wohl tatsächlich im Blut. Aber in Damodordi ist das Ganze sehr ruhig und feierlich, so dass ich daran keinerlei Störendes finde. Der große weiße Ochse wird festgebunden und von einigen Männern gehalten, sie haben ein Loch für das Blut gegraben, der Imam spricht Gebete und schließlich wird das Tier geschächtet, sprich es wird ihm die Kehle durchgeschnitten. Die Männer sprechen Gebete für Familienmitglieder. Als das Tier tot ist, fangen alle Männer an es, zu zerlegen - der Ochse wird von sieben Familien geteilt. Dies dauert den ganzen Nachmittag. Schließlich wird das Fleisch, wie es im Koran steht, in drei gleiche Teile aufgeteilt: einen für die Familie, einen für die Verwandten und einen dritten für die Armen. Die Frauen kochen das Fleisch für den Abend.
Am nächsten Tag werden dann alle Verwandten besucht, die in der Umgebung wohnen. Khotib, einer seiner jüngeren Onkel und ich fahren mit dem Motorrad kreuz und quer über die Sandstraßen, um alle sieben Tanten mütterlicherseits zu besuchen. Das heißt, man sitzt etwas herum, nimmt irgendetwas zu sich - Kokoswasser, Saft aus der Dattelpalme oder einen Tee, und in der Winterzeit ganz besonders hausgemachte kleine Kuchen aus Reismehl, Kokos und Melasse. Man unterhält sich, spielt mit den Kindern und fährt dann zum nächsten Dorf. So ist es Tradition.
Als ich nach fünf Tagen in Damdordi wieder abreise, bin ich ein bisschen traurig. Ich habe mich in dieses beschauliche Leben eingefunden. Das Land um das Dorf ist wunderschön - kein Haus weit und breit, nur endlose gelbe und grüne Felder, kein Lärm, kein Gestank. Nachts wirft der Mond Schatten unter die Palmen und man kann Glühwürmchen fangen. An der einzigen Teebude drängen sich die Männer auf einer kleinen Bank und hören mich singen. Wie lange hatte ich schon kein Kücken mehr in der Hand oder so viele kleine Kinder auf dem Arm? Das Essen ist einfach, aber lecker und alles kommt von den Feldern der Umgebung. Zumindest innerhalb der Familie haben sich die Leute an mein Gesicht gewöhnt und mich so akzeptiert wie ich bin - alle finden mich nett und haben Dutzend Mal gefragt, ob ich wieder komme.
Das Leben der Menschen hier ist einfach. Für mich Großstädterin waren die Tage mitten auf dem Land wunderbar. Doch die Menschen hier sehnen sich nach mehr. Nach einem besseren Haus, einem Gasherd, nach Elektrizität ohne Stromausfall, nach etwas mehr Geld. Einige Familiemitglieder leben in Dhaka und versuchen, mehr zu verdienen als hier auf dem Land. Die sehnen sich dann wieder nach ihrem zu Hause.
Ihr Leben ist so anders als meines. Und doch war es kein Problem für einige Tage daran teilzuhaben. Du wirst mich bestimmt vergessen, sagt Shilpi, die liebste aller Schwiegertöchter des Hauses. Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht.