Wer tanzt mit zur Vertreibung der bunten Dämonen?
Die Hindus sind mit ca. 10% der Bevölkerung die zweitgrößte Religionsgemeinschaft Bangladeschs. Noch 1941 waren allerdings 28% der Bewohner des heutigen Staatsgebiets von Bangladesch Hindus. Doch seitdem fand eine stetige Abwanderung, zum Teil sogar Massenflucht, statt. Besonders nach der Unabhängigkeit Pakistans, dessen östlicher Teil Bangladesch von 1947 bis 1971 war, retteten sich viele Hindus vor den Repressionen der pakistanischen Regierung nach Indien. Während des Unabhängigkeitskrieges wurden Hindus von westpakistanischen Soldaten verfolgt, was zu einer erneuten Abwanderungswelle führte. Seitdem hat sich die Lage zwar beruhigt, jedoch waren und sind Hindus auch im 1971 gegründeten Bangladesch benachteiligt. Ich möchte hier nicht das Bild eines von Konflikten geprägten Bangladeschs vermitteln. Vielmehr leben in diesem Land die Religionen in gegenseitiger Akzeptanz. Denn bei der gestrigen Feier, der Durga Puja, feierten die Angehörigen der verschiedenen Religionen ausgelassen miteinander. Die Durga Puja ist eines der höchsten religiösen hinduistischen Feste. Es erinnert an die Vertreibung des Dämonen Ravana durch Lord Rama. Das Fest ist der Muttergöttin Durga gewidmet, der unbegrenzte Macht innewohnt. Sie ist dem Hindu-Kalender zufolge dieses Jahr mit einem Boot angekommen und wird auf einem Pferd davon reiten. Schon seit Tagen dauert das Fest, bei dem ausgelassen getanzt, gegessen und getrunken wird. Jeden Vormittag werden ganze Mahlzeiten und Früchte als Opfer dargebracht. Dies führt dieses Jahr zu einer besonders spannungsreichen Situation in Bangladesch, da auch der Ramadan sich nach dem Mondkalender richtet und ebenso in den Herbst fällt. Seit einer Woche dürfen also Muslime von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang weder essen noch trinken!
Nach dem Mittagessen machen wir Freiwilligen uns auf den Weg in die Altstadt, zum Hindu-Markt und dem Buriganga-River. Im Laufe der Taxifahrt nimmt der Verkehr eine selbst für Dhaka ungewöhnliche Dichte an. Vor dem Hindu-Markt sind orangefarbene Tücher zwischen den Häusern gespannt. Als der Verkehr gänzlich lahm liegt, steigen wir schließlich noch vor unserem eigentlichen Ziel aus, um den Rest der Strecke zu Fuß zurückzulegen. Sofort werden wir umringt von Händlern und Feiernden. Um ein paar Fotos von dem Gewimmel zu machen, gehen wir auf eine Fußgangerüberführung, die trotz absoluter Überfüllung der Straßenkreuzung niemand benutzt. Wir haben Glück: kaum sind wir oben, kommt der Festumzug um die Ecke. Bestimmt zehn Minuten lang zieht ein Lastwagen nach dem anderen unter uns entlang. Auf den Lastwagen und drum herum ballen sich Trauben feiernder Hindus. Am wichtigsten sind die Statuen, Abbildungen und Figuren von Göttern und Dämonen, die auf den Lastwagen zum Fluss transportiert werden. Alle unglaublich bunt. Zum Teil sind sie aus Holz, aber auch aus Plastik oder Keramik. Nicht weniger farbenfroh sind die Teilnehmer der "Prozession": Geschminkt in den verrücktesten Farbkombinationen, bieten die Tanzenden ein kunterbuntes Bild. Die Rhythmen werden immer schneller, die Tänzer ekstatischer. Ich wurde in den Kreis der Tanzenden gezogen.
Schließlich kommen wir zum Hafen, an dem die vielfältigen Figuren von den Lastwagen gehoben werden. Unter großer Anstrengung werden sie auf Boote verladen. Vielarmige, goldverzierte Abbilder der starr lächelnden Durga und andere mythologische Figuren, darunter Tierkreuzungen und Jungfrauen, schweben durch die Menge. Die untergehende Sonne hüllt alles in ein rötliches Licht, das von den polierten Figuren reflektiert wird. Schließlich finden die Gottheiten auf den Booten Platz. Begleitet von vielen kleinen Dschunken voller Schaulustiger, fahren die großen Gondeln neben dem Sonnenpfad auf den Fluss. Unter lautem Beifall werden Durga und ihre vier Kinder symbolisch in den Fluss geworfen, um aufs offene Meer zu treiben. Erst im nächsten Jahr werden sie wieder zu den Menschen kommen.