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"Wer ist geeignet arm?"

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Einer meiner ersten Projektbesuche in Bangladesch, führt mich in ein Dorf mit circa 40 bis 50 Haushalten im Subdistrikt Nawabgonj, welcher in meinem neuen Heimatdistrikt Dinajpur liegt. Unter anderem hier startet gerade ein von NETZ gefördertes Projekt namens AMADER, ein Teil des NETZ-Programmes "Ein Leben lang genug Reis". AMADER soll extrem armen Familien helfen, sich ein dauerhaftes Einkommen, ausreichend Nahrung, Kleidung und Bildung für ihre Kinder zu erarbeiten.

Als ich mit einem Mitarbeiter meiner Partnerorganisation Polli Sree in dem Dorf ankomme, sitzen gerade einige Dorfbewohner zusammen mit einer AMADER-Mitarbeiterin. Sie sitzen im Schatten unter einem Baum, auf dem Platz vor der Grundschule des Dorfes. In der Mitte ihres Kreises liegt ein großes Papier. Darauf ist die einzige Straße des Dorfes, eigentlich nur ein Sandweg, aufgemalt. Um den Weg herum hat jemand die Häuser des Dorfes aufgezeichnet und mit Nummern beschriftet. Die Mitarbeiterin hält eine Liste in der Hand, auf der die Nummern der Häuser mit den dazu gehörigen Bewohnern stehen. Auf dem Boden im Kreis liegen noch ein paar kleine Karten, eigentlich in diesem Moment das Wichtigste.

Anhand der Karten versuchen die Dorfbewohner und die Mitarbeiterin alle Familien in ein Schema einzuordnen. Dieses Schema soll Aufschluss darüber geben, welche Familie wie viel hat. Es geht dabei um das Einkommen der Familien am Tag, die Anzahl ihrer Mahlzeiten und was sie essen, um ihre Ersparnisse, ihren Landbesitz und ganz praktische Besitztümer, wie Ziegen, Kühe oder Fahrräder. Je nach Besitz wird der Familie ein Buchstabe zugeordnet, dieser zeigt den Mitarbeitern, wie arm und bedürftig eine Familie ist.

Als wir dort ankommen ziehe ich erstaunlicher Weise nur die Aufmerksamkeit der Kinder und Frauen auf mich. Die Männer scheinen sehr vertieft in ihre Überlegungen, welcher Familie was für ein Buchstabe zugeordnet werden soll. Wie immer bekomme ich einen Stuhl und muss nicht auf dem Boden sitzen. So thronend beobachte ich ein wenig die Szene und zehn Kinderaugen beobachten mich. Irgendwann traut sich ein kleines Mädchen zu mir, alle anderen Kinder bleiben skeptisch auf Abstand. Erst als ich ein paar Fotos mache und sie ihnen zeigen will kommen sie näher.

Die Mitarbeiterin hat inzwischen die Befragung der Familien fast abgeschlossen. Erst als sie alle aufgezeichneten Familien noch einmal vorliest, stellt sich heraus, dass eine junge Frau in der Runde sich nicht gemeldet hat. Etwas schüchtern erzählt sie wie viele Menschen in ihrem Haus leben und über welche Besitztümer sie verfügen. Nachträglich wird das Haus ihrer Familie eingezeichnet und die Runde diskutiert, wie bei allen Anderen, ihr Eigentum.

Je nach Besitz sind Buchstaben von A bis E zu vergeben, welcher Buchstabe für wie viel Besitz oder welches Armutslevel steht, erfahre ich nicht. Ich kann nur sehen, dass der Buchstabe E nicht vergeben wird und D sehr selten. Im Nachhinein erzählt man mir, dass sich in diesem Dorf etwa dreizehn Teilnehmerinnen für das Projekt finden lassen sollen. Bewerberinnen gibt es ungefähr 45 in dem Dorf. Man berichtet mir ebenfalls von dem großen Problem, dass viele Familien so genannte Mikrokredite bei unterschiedlichen Instituten aufgenommen haben. Zum Beispiel bei der Grameen Bank von Nobelpreisträger Muhammad Yunus oder bei der BRAC Bank, welche zu BRAC, der größten NGO Bangladeschs, gehört.

Indem die Familien mehre Mikrokredite aufnehmen, versuchen sie andere Kredite von anderen Banken oder NGOs zu decken. Für das AMADER-Projekt kommen Familien mit schon vorhandenen hohen Kreditbelastungen nicht in Frage, erzählt mir der Mitarbeiter von Polli Sree mit dem ich an diesem Tag unterwegs bin und wohl auch an vielen folgenden sein werde.

Inzwischen ist die Dokumentation der Familien so gut wie abgeschlossen, es wird noch ein bisschen über die Einstufungen diskutiert und weitere Fragen gestellt.

Wir machen uns auf den Weg ins Außenbüro von Polli Sree und NETZ in Nawabgonj. Hier treffen wir auf weitere Verantwortliche für das AMADER-Projekt. Die Männer diskutieren über die Anzahl der bisher gefunden Familien und welche Möglichkeiten es gibt, weitere bedürftige Familien zu finden. Da bestimmte Quoten erfüllt sein müssen, wie zum Beispiel ein angemessener Prozentsatz Adivasi und Zugehörige indigener Minderheiten, gestaltet sich die Suche nach Teilnehmern am AMADER-Projekt sehr schwierig in dieser Gegend. Auch aus anderen Arbeitsgebieten berichtet man von Schwierigkeiten.

Da wir einen Kollegen in der Runde sitzen haben, der für die Kontrolle des Projekts und somit auch der Auswahl verantwortlich ist, wird schnell nachgerechnet. Alle sind sehr zuversichtlich genügend Teilnehmende für das Projekt zu finden. Gleich morgen will man weitere Listen anfordern, um gezielter Suchen zu können.

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