Von Tomaten und anderen Missverständnissen
Hafiz ist Hausmeister und Koch von BASTOB. Das erste Mal sah ich ihn am Morgen nach meiner Ankunft in Malumghat, mit einem leckeren Spiegelei auf einem Teller. Mein letztes Spiegelei habe ich fünf Wochen vorher in Deutschland gegessen. Es war "American style", also beidseitig angebraten. Aber das Innere war genau richtig, flüssig und gleichzeitig noch etwas fest. Mmmh. So macht man sich Freunde!
Hafiz ist ein sehr offener Mensch, geht auf andere zu und versucht mit mir zu kommunizieren. Das ist nicht einfach, denn sein mangelhaftes Englisch und mein mangelhaftes Bengalisch machen jeden Wortwechsel zu einem kleinen Rätsel, mit mehr Fragezeichen als vollständigen Sätzen. Aber zum Glück haben wir beide ja Hände und Füße. Irgendwie klappt es also jedes Mal sich auszutauschen und über alles Mögliche zu quatschen. Meist über die Familie, Bangladesch, Deutschland, bengalische Vokabeln oder die Freiwilligen, die vor mir hier waren. Missverständnisse sind natürlich vorprogrammiert. Wie eines schönen Morgens, beim Frühstück, als er beginnt von Tomatoe zu reden.
"Ji ji, ami tomato bhalolage." Ich mag Tomaten, meine ich, vertieft in mein Spiegelei mit einer Art Pfannkuchenbrot. Hab' gar nicht gewusst, dass es hier Tomaten gibt, denke ich mir. Hafiz meint dagegen: "Tomatoe, I very proud".
"Oh, Bangladeschi Tomato khub bhalo?" Oh, sind bangladeschische Tomaten so gut, wundere ich mich. "Nonono, my tomatoe".
"Oh, you grow tomatos", stelle ich fest, froh endlich begriffen zu haben.
"Yaya, grow eleven months".
Aha, seit elf Monaten baut Hafiz Tomaten an... das ist doch toll...
Völlig falsch gedacht!
Wie sich ein paar Sätze später heraus stellt, reden wir gerade über seine Familie. Tomatoe ist sein Sohn. Und der ist elf Monate alt. Zum Glück bemerkt Hafiz meine falsche Schlussfolgerung nicht...
Ich erfahre noch, dass seine Familie nördlich von Dhaka wohnt, "one thousand kilometers away!!" - das wäre in der Nähe von Nepal, denke ich mir, bin aber still. Er will seine Familie zu Eid-ul-Fitr besuchen. Eid-ul-Fitr ist das bevorstehende, größte islamische Fest des Jahres. Anlass ist das Ende des Ramadans, der Fastenzeit. Während der essen, trinken und rauchen gläubige Muslime nicht, zumindest nicht zwischen Sonnenauf- und untergang. Fast alle anderen, auch wir Deutschen, nehmen Mahlzeiten und Zigaretten nur in geschlossenen Räumen oder auf der Straße hinter Vorhängen und Verschlägen zu uns. Kurioser Weise weiß niemand so genau, wann dieses Fest denn ist. Da der Tag sich nach dem Mond richtet, muss das dafür eingesetzte "Mondkomitee" ebendiesen auch sehen. Und zwar in Dhaka, denn nur dort sitzt das Komitee und fällt die Entscheidung für das ganze Land.
Zwei Tage später:
Hafiz will am nächsten Tag nach Hause fahren, da fallen mir die Buntstifte ein, die ich dabei habe, um sie Kindern zu schenken. Sein Sohn ist zwar erst elf Monate, aber warum nicht. Aber Hafiz lacht und will die Stifte nicht, sein Sohn sei zu klein, meint er. Unvermittelt packt er dann meine Hand und zieht mich mit. Wohin frage ich, ohne die Antwort zu verstehen.
Es geht ins Haus neben an, das aussieht, als wäre es nicht fertig gebaut worden. In einen dreckigen und dunklen Hinterhof, über eine noch dunklere Treppe in den ersten Stock. Dort ist ein Zimmer. Und darin ist ein Bett, worauf ein kleiner Junge, mit einem T-Shirt bekleidet, und eine hübsche junge Frau liegen. Sie ist mindestens genauso überrascht wie ich. Ich bin zusätzlich etwas geschockt.. Ich finde, es sieht sehr ärmlich aus...
"Tomatoe, Tomatoe", meint Hafiz und deutet auf seinen kleinen Sohn. Ich dachte eigentlich er wäre weit weg. Mit "Familie" meinte Hafiz also seine Eltern, nicht Frau und Kind. Also das ist seine Wohnung.
Ich fühle mich geehrt, dass ich hierher kommen darf, in diesen kleinen Raum. Ein Bad scheint anzugrenzen. Ob noch weitere Räume auf der Etage ihnen gehören, weiß ich nicht, glaube es aber nicht. Die Wände sind grauer Beton. Der Fußboden auch. Ein Kalender hängt als einziger Schmuck an der Wand. Auf dem Boden, neben der Tür, stehen ein paar Töpfe, ein Krug mit Milch. Den größten Teil des Raumes füllt ein Bett mit Moskitonetz. Darauf liegt der schlafende Kleine, ein Fläschchen mit Milch auf seiner Brust.
Hafiz beugt sich über sein Kind, streichelt und küsst es. Nimmt es in den Arm und zeigt ihn mir. Er ist der stolzeste Vater, den ich je gesehen habe. Ich bewundere natürlich seinen Sohn, dass er sehr hübsch ist. Wir schauen eine Weile einfach zu, was er macht. Er schläft.
Dann soll ich mich setzen und Hafiz bietet mir Milch an. Ich lehne dankend ab, aber das nützt nichts. Er schenkt mir Milch in einen Becher, schöpft die Haut ab. Ich will die Milch aber nicht nehmen und meine, das sei doch Tomatoes Milch, die kann ich nicht trinken. Er akzeptiert auch das nicht. Jetzt kann ich mich nicht mehr weigern, ohne sehr unhöflich zu sein. Und trinke die Milch, die wohl für seinen Sohn bestimmt war und komme mir nicht gut dabei vor. Dann schaue ich auch noch in zwei erwartungsvolle Gesichter und versuche ein wenig zu lächeln, während ich einen Rest der Haut mittrinke, die ich seit meiner Kindheit niemals gemocht habe.
Irgendwie bin ich betroffen von den Umständen, in denen die Drei leben. Natürlich hat Hafiz einen guten Job, ein regelmäßiges Einkommen. Verglichen mit den Millionen anderen Bangladeschis, die von praktisch Nichts leben müssen, geht es ihm wahrscheinlich sehr gut. Tagtäglich sehe ich arme und extrem arme Menschen, die von dem leben müssen, was sie im Abfall finden. Hafizs Familie hat mit Sicherheit genug zu essen, er kann seinem Sohn vielleicht sogar eine anständige Bildung ermöglichen. Trotzdem ist es bedrückend dieses Zuhause zu sehen, das ich so nicht erwartet hätte. Und für mich macht es einen großen Unterschied, dass ich ihn ein klein wenig kenne.
Irgendetwas Gutes würde ich den Dreien gern tun. Tags darauf mache ich ein paar Fotos von Tomatoe, ich glaube er wurde extra in seine schönsten Klamotten gesteckt. Hafiz und seine Frau wollten sich partout nicht fotografieren lassen, sie waren sich wohl nicht fein genug hergerichtet. Aber ich habe es geschafft Hafiz zu einem Foto zu überreden. Wenn die Bilder etwas geworden sind, schenke ich sie ihnen, laminiert natürlich. Hoffentlich freut sie das...