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Überfüllte Schulklassen und üppige Streiks

Die größte Glaubensgemeinschaft in Bangladesch sind die Muslime. Anfang Februar - am Ende des Fastenmonats Ramadan - feiern sie ihr größtes Fest: Eid-ul-Azha. Traditionell gedenken sie an diesem Tag an Abraham, der Allah an Stelle seines Sohnes einen Hammel opferte. Jeder, der es sich leisten kann, kauft und schlachtet einen Stier, eine Kuh oder eine Ziege. Ein Drittel des Fleisches wird unter den Armen verteilt. Ein Drittel ist für die Verwandtschaft bestimmt. Das übrige Drittel wird am Abend zu einem Festmahl zubereitet. Früh am Morgen fahre ich mit Dirk und Julius, zwei anderen Freiwilligen, in den alten Stadtkern von Dhaka. Schnell wird uns klar, warum das Fest auch "blutiges Eid" genannt wird. Auf offener Strasse werden unzählige Kühe und Ziegen geschlachtet. Das Schlachten von Tieren gehört in Bangladesch noch viel mehr zum Alltag der Menschen als bei uns, wo es oft nur noch in riesigen Schlachthöfen stattfindet. Den Appetit verdirbt uns das ganze Blut jedoch nicht. Abends sind wir bei einer befreundeten Familie zum Essen eingeladen. Es gibt fast auschliesslich Fleisch.

Einige Tage nach dem Fest fahre ich in den Norden von Bangladesch, nach Kurigram. Ich besuche ein Grundschul-Programm, das die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, kurz GTZ, zusammen mit dem bangladeschischen Staat durchführt. Das Projekt wird vom deutschen Entwicklungsministerium gefördert. Vor Ort möchte ich Informationen über das Bildungssystem in Bangladesch sammeln. Ich besuche mehrere Schulen und ein Ausbildungszentrum für Lehrer. Gleich mein erster Schulbesuch hat es in sich. Ich betrete die erste Klasse einer Grundschule - und plötzlich werde ich von 184 Kinderaugen angestarrt. Eine Lehrerin unterrichtet 92 Kinder! Der Klassenraum ist miserabel beleuchtet und gerade einmal halb so gross wie ein durchschnittliches Klassenzimmer in Deutschland. Die Kleinen sitzen zusammengepfercht zu sechst oder zu siebt auf alten Bänken. Im Raum ist es unglaublich heiß. Ein Ventilator ist nicht vorhanden. Die Lehrerin macht sich erst gar nicht die Mühe, eine Anwesenheitsliste zu führen. So bleiben viele Kinder oft für Tage oder sogar Wochen der Schule fern. Mädchen helfen den Müttern im Haushalt. Jungs arbeiten mit den Vätern auf dem Feld. Die Direktorin einer anderen Schule berichtet, dass schon Neunjährige in den Fabriken von Kurigram arbeiten. An ihrer Schule werden in der ersten Klasse 135 Kinder von einer Lehrerin unterrichtet. Die Mitarbeiter der GTZ sind sehr hilfreich und erzählen mir viel über ihr Projekt, mit dem sie versuchen, die prekäre Situation an den Grundschulen zu verbessern.

Auf der politischen Bühne in Bangladesch findet derzeit ein großes Schauspiel statt. Spät abends erfahre ich in Kurigram, dass für den übernächsten Tag ein landesweiter Generalstreik ausgerufen ist, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Also muss ich einen Tag früher als geplant nach Dhaka zurückfahren. Denn Generalstreik in Bangladesch bedeutet: nichts geht mehr. Geschäfte und Ämter bleiben zu. Busse und Züge fahren nicht mehr. Die meisten Leute gehen nicht zur Arbeit. Das öffentliche Leben liegt lahm. Ausgerufen hat den Generalstreik die "Awami League", die größte Oppositionspartei im Land. Diese zählt zu den liberalen Parteien in Bangladesch. Zweck des Streiks ist es, die von der "Bangladesh Nationalist Party" (BNP) angeführte Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Die "Awami League" fordert Neuwahlen. Politische Kontroversen werden meist nicht im Parlament sondern auf der Straße ausgetragen. Die BNP, die ins konservative Lager eingestuft wird, regiert im Bündnis mit einer konservativ-muslimischen Partei, der "Jamaat-e-Islami". Die möchte Bangladesch in einen islamischen Staat umwandeln. Am Streiktag kommt es in Dhaka zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der "Awami League" und der Polizei. Zweihundert Menschen werden verletzt. Deshalb kündigt die Führung der "Awami League" für den übernächsten Tag erneut einen Generalstreik an. Laut einer Studie der Weltbank kostet ein Streiktag die Wirtschaft Bangladeschs rund sechzig Millionen US-Dollar. Das ist für ein armes Land eine enorme Summe. Alleine in den achtundzwanzig Monaten der Amtszeit der BNP gab es bereits achtundzwanzig Streiks. Mittlerweile gibt es neue Streikankündigungen für Ende Februar. Dann sollen die Generalstreiks noch länger dauern.

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