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Über das Anderssein

"Hello, Bideshi! Madame, ashen, ashen! Kichu neben na?" Ich soll kommen und kaufen, ich, die Bideshi, die Ausländerin. Die Blonde noch dazu! "Woher kommen Sie?". Mal wieder sehne ich mich nach meiner Kassette zum Abspulen. "IchkommeausDeutschland, ichbinseitOktoberinBangladesh, ichbleibenochbisJuli, icharbeitebeiSabalamby". Ja, genau, Hitler, den gab's auch bei uns, aber der war ein sehr schlechter Mensch. Meist Verwunderung und kaum Zustimmung.

Brüder und Schwester habe ich, aber ich bin unverheiratet. Erstaunen. "Und wie gefällt dir Bangladesch?" Ich drücke den Knopf: "Bangladeschistwunderschön und dieMenschensindsehrnett, mir gefällt es hier sehr gut" Aber das Land ist doch so arm. Nächstes Thema, zwangsläufig Essen oder Landwirtschaft. "Bei uns isst man nicht so viel Reis, aber Brot und Kartoffeln." Aha. Das gibt's hier ja auch. Nicht so spannend.

Bei fortgeschrittenen Gesprächen wird's interessant: "Kennen Sie Baader-Meinhof?", "Erich Honecker ist schon lange tot", "Habt ihr grünes oder rotes Blut?", "In deinem Land gibt es keine Flüsse, oder?", "Ich kenne Michael Ballack", "Wer ist euer Nationaldichter?", "Kennst du Tagore?", "Gibt's bei euch auch Fundamentalismus?", "Wieso lasst ihr eure Eltern im Alter allein?!", "Die meisten Liebesheiraten gehen schlecht aus".

Lachen und Menschenaufläufe, Kichern und "Hello" schreiende Kinder, immer im Mittelpunkt stehen, Freundlichkeit, Gastfreundschaft- das alles erlebt man jeden Tag als Ausländerin in Bangladesch. Völlig geschafft komme ich manchmal nach einer Stunde auf der Straße nach Hause. Es bringt Spaß, ich mag die Neugier und das Sich-Zeit-Nehmen der Bangladeschis. Aber bei aller Liebe: Manchmal nervt es. Manchmal kann ich mir selber nicht mehr einreden, dass sie doch nur neugierig sind und es nicht böse meinen, wenn sie sich direkt vor mich stellen und mich eine halbe Stunde lang anstarren. Ich bin doch kein Zootier! Und als Frau fühle ich mich manchmal belästigt, weil es nun mal vorwiegend Männer auf den Straßen sind- in Deutschland würde ich anders reagieren. Ich bin aber in Bangladesch. Was mache ich denn jetzt? Im Laufe der Zeit entwickelt wohl jeder seine Techniken, damit umzugehen.

Ich habe ausprobiert:

  1. Im Haus bleiben und nicht rausgehen. Macht nach kurzer Zeit depressiv, keinen Spaß und ich sehe nichts von Land und Leuten.
  2. Mit jedem sprechen, dem man begegnet, weil ich dann wieder merke, was ich an den Bangladeschis so gerne mag und sie mich nicht mehr als allzu exotisch betrachten. Klappt für kurze Strecken, aber auf Dauer ganz schön anstrengend. Die oben erwähnte Kassette wird überstrapaziert.
  3. "Ich würde gerne alleine gehen. In Ordnung?" Jaja, in Ordnung. Für zwei Minuten vielleicht, aber die Ausländerin lassen wir so schnell nicht aus den Augen.
  4. In ein Geschäft fliehen, wenn's mir zu bunt wird oder die "Anhänger" zu zahlreich werden. Wende ich immer wieder an und werde oft sogar mit einem Tee belohnt.
  5. Lächeln. Klappt meist gut. Außer bei sehr langen Strecken, das machen die Gesichtsmuskeln nicht mit.
  6. Ignorieren. Ist unfreundlich und macht schlechte Laune, ich fühle mich schlecht. Bei Bettlern finde ich es immer noch besser als mitleidiges "Ach, du tust mir so leid und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil es mir gut geht"-Geschaue, um dann doch nichts zu geben, weil sonst gleich zehn andere kommen.
  7. Zu Boden schauen. Finde ich manchmal angebracht. Zum Beispiel, wenn es schon dunkel wird und ich weit und breit die einzige Frau bin. Da möchte ich lieber keinem zulächeln.
  8. Kindern erklären, dass ich nicht gerne mit "Hello" angeschrien werden möchte. Finden die meist sehr lustig und einige merken es sich auch und sagen das nächste Mal: "Nomoshkar!" oder "Salam Alaikum", was länger als "Hello" ist und deshalb nicht so schnell hintereinander gebrüllt werden kann. Alles Kalkulation.
  9. Meine neueste Taktik: "Wie geht's?" an die Runde im Vorbeigehen zu fragen. Das Eis ist so etwas gebrochen und ich muss trotzdem kein langes Gespräch beginnen und komme noch vorm Mittagessen im Büro an.
  10. Das Beste zum Schluss: In Begleitung gehen. Lenkt ungemein ab, weil man sich unterhalten kann.

Die Hoffnung, dass mich nach mehreren Spaziergängen alle kennen und sich keiner mehr wundert, hat sich nach kurzer Zeit zerschlagen. Erstens gibt es einfach zu viele Menschen und zweitens schaut man auch beim zehnten Mal noch genauso gerne und murmelt dem Nachbarn zu: "Die ist aus Deutschland."

Ich erinnere mich oft selbst daran, wie genervt ich von griesgrämigen Deutschen beim Einkaufen bin und wie stur sie ihren Plan verfolgen, ohne nach links und rechts zu schauen. "Jetzt schnell noch zur Bank, keine Zeit, noch kurz in den Supermarkt, schnell, schnell", steht manchen auf der Stirn geschrieben. Keiner nimmt sich Zeit, zu schauen, zu fragen. Aber bei uns werden Ausländer meiner Erfahrung nach auch nicht so angegafft. Warum nicht?

Es gibt mehr davon und gerade in großen Städten gehören sie dazu- die dicke türkische Mami und das quirlige schwarze Mädchen mit den Rastazöpfen, der weissrussische Junge mit lauter Discman-Musik neben mir in der S-Bahn.

Aber es ist noch etwas anderes, was Bangladesch von Deutschland unterscheidet: Privatssphäre ist so gut wie unbekannt. Ob ich mich denn nicht schrecklich allein fühle, werde ich mitleidig gefragt. In meinem Zimmer wohnt kein anderer mit mir, meine Familie lebt in einem fernen Land und noch nicht mal die Glotze leistet mir Gesellschaft. Dass ich ganz froh bin, abends meine Ruhe zu haben und mit meinen Büchern zufrieden bin, ist unbegreiflich. In bangladeschischen Familien leben in der Regel mehrere in einem Zimmer zusammen, schlafen oft sogar in einem Bett, die Türen, sofern es mehr als einen Raum gibt, sind immer geöffnet, man bleibt bei der Familie, bis man heiratet und die Frau zu ihrem Mann zieht. Bin ich bei einer Familie, die mich schon sehr gut kennt, werde ich auch kaum mehr beachtet und soll mich halt aufs Bett legen und ausruhen, spiele mal wieder Pferd für den Kleinen, tanze mit der Schwester vor dem Fernseher zu Hindi-Musik und trinke meinen Tee, während die anderen herumwuseln und ihren Tätigkeiten nachgehen. Das ist wieder sehr entspannend, weil man einfach so akzeptiert wird und dazu gehört. Als Folge sind es Bangladeschis aber nicht gewöhnt, die Privatssphäre von uns individuellen Deutschen zu respektieren und das kann irritierend sein. Eben, wenn ich auf dem Bazaar etwas kaufe und dabei von zwanzig Menschen bestaunt oder "beraten" werde.

Trotzdem- ich bin froh, dass Bangladesch so ursprünglich und echt geblieben ist. Die Idee, fürs Anschauen Eintritt zu verlangen, schiebe ich schnell beiseite, wenn ich mich an die Freundlichkeit der Bangladeschis erinnere und daran, dass sie vielleicht noch nie Bideshis gesehen haben. Tourismus gibt es in Netrakona nicht und das Ausnutzen von Ausländern als Folge habe ich hier deshalb fast nie erlebt. Den einen Ausländer stört es mehr, dem anderen ist es egal. Den einzigen Tipp, den ich geben kann: Nie gereizt aus dem Haus gehen, denn dann sieht man bekanntlich vieles schwärzer als es ist.

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