Tod und Zerstörung nach dem Wirbelsturm
Nach dem bengalischen Kalender begann am 14. April das neue Jahr. Zusammen mit Freunden und Kollegen nehme ich morgens um sechs Uhr an den Feierlichkeiten teil. Tausende Menschen begrüßen zu dieser frühen Morgenstunde auf der Strasse das neue Jahre. Auf den unzähligen Freilichtbühnen wird getanzt, gesungen und gelacht. Ein riesiger bunter Umzug schiebt sich durch die Strassen Dhakas und wir feiern ausgelassen mit.
Abends ändert sich meine Stimmung schlagartig. In den Spätnachrichten erfahre ich, dass kurz vor 20 Uhr ein Wirbelsturm in Netrakona gewütet hat. Netrakona ist der Distrikt im Norden Bangladeschs, in dem ich seit Februar arbeite. Am nächsten Morgen tritt das ganze Ausmaß der Katastrophe zutage. Der Tornado hat eine Schneise der Zerstörung hinterlassen und fünfundzwanzig Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Fünfundsiebzig Menschen sterben. Hunderte sind zum Teil schwer verletzt. Tausende Familien haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren. In Dhaka bin ich jetzt fehl am Platz. Saba, meine Kollegin von Ain-o-Salish-Kendro, und ich brechen nach Netrakona auf. Unsere Kollegen von Ain-o-Salish-Kendro haben sofort gesammelt und geben uns Geld und Kleidung mit für die Opfer.
In Netrakona ist nichts mehr so, wie es bei meinem letzten Besuch vor nur zehn Tagen noch war. Wir gehen über Trümmerfelder. Die Menschen aus Barha erzählen stockend, wie der Wirbelsturm ihr Dorf traf. Zunächst wurde es merkwürdig ruhig. Dann verfinsterte sich schlagartig der Himmel. Das laute Geräusch, das immer näher kam, hielten sie zuerst für einen Zug, da ihr Dorf an den Gleisen liegt. Dann sahen sie den Trichter des Tornados. Sie versuchten noch, ihre Kinder in Erdlöchern in Sicherheit zu bringen. Doch der Wirbelsturm war schon da. Er dauerte weniger als eine Minute. Als der Tornado weiterzieht, ist ihr Dorf total zerstört. Kein Haus steht mehr. Das Elend ist unbeschreiblich. Saba hält die weinende Faridha in ihren Armen, die bei dem Wirbelsturm ihre zehnjährige Tochter verloren hat.
Die Menschen in den einfachen Stroh- und Lehmhütten waren chancenlos. Der Sturm riss sie mit sich fort. Wellblechdächer flogen durch die Luft und wurden zu tödlichen Geschossen. In einem Baum sehe ein Geldstück stecken, das der Tornado mit ungeheurer Gewalt in das Holz getrieben hat. Tausende Bäume hat der Sturme entwurzelt und sie dann verkehrt herum wieder in den Boden gerammt. An der Oberfläche der Teiche treiben massenweise tote Fische. Kühe, Ziegen und Hühner, die wichtigsten Nutztiere der Menschen, wurden hunderte von Metern durch die Luft geschleudert und verendeten dabei. Die Reisernte der Dörfer ist vernichtet.
Unsere Teams hier halfen sofort bei der Bergung der Verletzten aus den Trümmern, leisteten Erste Hilfe und brachten sie mit Knochenbrüchen oder Kopfverletzungen in die Krankenhäuser. Wir verteilen Reis, Wasser und gebrauchte Kleidung als erste Überlebenshilfe.