Spielen, Lernen, Leben

Die "Human Rights Awareness Unit" von Ain O Salish Kendra arbeitet daran, ein Bewusstsein für Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in der Bevölkerung durch die Methode des sogenannten Aktionstheaters zu schaffen. Zahlreiche regionale Menschenrechtstheatergruppen inszenieren Theaterstücke zu aktuellen Problemen und führen diese an den unterschiedlichsten Orten auf, um auf Menschenrechtsverletzungen und Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, Diskussionen entstehen zu lassen und einen Prozess der Veränderung aufzuzeigen.
Es ist ein warmer Morgen in Kushtia, als ich mich mit meiner Kollegin Jucee auf den Weg zur Schule mache. Gerade erst sind wir aus Pabna angereist. Noch ein wenig müde von der Busfahrt sitzen wir nun auf einer Rikscha und ich bekomme erklärt, was gleich geschehen soll. Wir haben vor, einen dreitägigen Workshop für eine Schultheatergruppe zu geben. 25 Kinder, Mädchen und Jungen, sollen an das Thema Menschenrechte herangeführt werden. Sie werden diskutieren und herausfinden, welche Schwierigkeiten es in ihrem eigenen Umfeld gibt. Dann entwickeln sie gemeinsam mit meiner Kollegin ein Theaterstück, das zeigen soll, mit welchen Problemen die Jugendlichen zu kämpfen haben.
Als wir auf dem Grundstück der Schule ankommen, treffen wir zunächst auf ein ziemliches Durcheinander. Doch sobald wir den Klassenraum betreten, tritt Stille ein und 25 neugierige Augenpaare blicken mich an. Wir setzen uns in einen Kreis auf dem Boden und Jucee beginnt den Kindern zu erzählen, wer wir sind und was wir gemeinsam vorhaben. Jeder stellt sich vor und erzählt, wie lange er bereits in der Schultheatergruppe ist. Die Kinder sind alle im Alter von 12 bis 14 Jahren. Als ich mich langsam und etwas schüchtern auf Bengalisch vorstelle, müssen einige der Kinder laut lachen und schon ist das Eis gebrochen.
Wir beginnen zunächst mit Spielen, die den Kindern helfen sollen, Kontakte miteinander zu knüpfen. Berührungsängste zwischen Mädchen und Jungen sollen bewusst angegangen und überwunden werden. Sehr schnell wird deutlich, wie ungewohnt der Umgang zwischen Mädchen und Jungen zu sein scheint und wie schwer sich die Kinder damit tun. Doch von Jucee erhalten sie gleich zu Beginn eine wichtige Botschaft: "Ihr seid Mädchen und ihr seid Jungen. Das ist klar. Doch wir alle sind vor allem eines: Menschen! Und das ist für uns das Wichtigste!". Der Grundstein für die Arbeit der nächsten Tage ist gelegt. Es wird viel gesprochen und diskutiert - über Menschenrechte, Gleichheit, Geschlechtergrenzen und Diskriminierung. Gemeinsam entscheiden die Kinder, worum es schließlich in unserem Theaterstück gehen soll. Im Klassenzimmer fällt der Begriff "eveteasing".
"Eveteasing" ist ein Begriff, der in ganz Südasien dazu benutzt wird, die sexuelle Belästigung von Frauen in der Öffentlichkeit zu benennen. Die Formen der Belästigung sind vielfältig und reichen von üblen Beschimpfungen auf der Straße bis hin zu Säureattentaten. In den meisten Fällen haben die Opfer weder Zeugen noch Unterstützung. Jedes Jahr gibt es Fälle, in denen Selbstmorde junger Frauen oder Mädchen auf sexuelle Belästigung zurückzuführen sind.
Unser Theaterstück beginnt mit einer idyllischen Dorfszene, in der Jungen und Mädchen friedlich miteinander Spielen. Eine kleine Gruppe von Mädchen befindet sich gerade auf dem Weg zur Schule, als plötzlich einige Jungen auftauchen, die Mädchen beschimpfen und anzügliche Lieder singen. Erschrocken laufen die Mädchen davon. In der Schule angekommen, versuchen sie ihren Lehrer um Hilfe zu bitten. Doch dieser nimmt die Mädchen nicht zur Kenntnis, sondern befielt ihnen lediglich still zu sein.
Eines der Mädchen versucht schließlich, ihre Eltern um Hilfe zu bitten. Als diese sich nach langem Zögern an die Polizei wenden, wird einer der Jungen verwarnt. Mehr geschieht nicht. Und schlimmer noch: seine Verwarnung hat zur Folge, dass er das Mädchen nun noch mehr belästigen wird.
Die nächsten zwei Tage verbringen wir damit, das Stück immer wieder zu proben und zu besprechen. Das Selbstbewusstsein der Kinder soll wachsen und sie sollen sich stark und frei fühlen, wenn wir das Stück vor der gesamten Schule auf die Bühne bringen.
Wir sitzen wieder auf einer Rikscha und fahren zu unserem nächsten Termin: einem Treffen mit der Menschenrechtstheatergruppe von Kushtia. Sie entwickelt Theaterstücke zu Menschenrechtsverletzungen und sozialen Themen und führt diese dann in den umliegenden Dörfern auf. Ich werde sofort sehr freundlich begrüßt. Auf dem Boden sitzend, trinken wir gemeinsam Tee während die organisatorischen Angelegenheiten für den nächsten Monat geklärt werden. Obwohl ich noch nicht einmal die Hälfte verstehen kann, geben mir alle sofort das Gefühl, Teil der Gruppe zu sein. In Bangladesch sind Kollegen nicht nur Kollegen, sondern vielmehr Freunde. Das wird mir schnell bewusst.
Nach unserem Treffen fahren wir noch mit einigen Mitgliedern der Theatergruppe durch die Stadt zum Grab von Lalon Shah. Lalon ist einer der wichtigsten Philosophen und Mystiker Bangladeschs, dessen Lieder und Gedichte im ganzen Land bekannt sind. Wir setzen uns zu den Baul-Musikern, lauschen dem wundervollen Gesang und genießen die friedliche Atmosphäre, die uns umgibt. Ein langer Tag klingt langsam aus und ich freue mich schon jetzt auf einen neuen Tag in Kushtia.