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Singen, Tanzen, Springen

Ich bin bei den "Olympischen Spielen" in Bangladesch. Natürlich nur als Zuschauerin. Ein Junge in Jeans und schwarzem ärmellosem Shirt bekommt eine Fackel in die Hand gedrückt und läuft erst unsicher, dann immer stolzer, im Kreis herum, die Fackel hoch erhoben.

Was eigentlich als Sportfest einer Schule den Teilnehmern Ehrgeiz und Spaß bringen soll, wird hier in der Nähe Netrakonas schlichtweg umfunktioniert: Zur Plattform für wichtige Redner aus der Gegend, als Sing- und Tanzveranstaltung, zur Theateraufführung und zum Treffpunkt für Jung und Alt, die sich gemütlich plaudernd in die Sitze im Schatten drücken.

Es ist heiß, wer hat da schon Lust auf Sport? Schließlich gibt es wirklich Wichtigeres. Zum Beispiel die Kultur. Und die ist in Bangladesch wirklich beeindruckend. Wieviele deutsche Lieder kann ein Deutscher wohl im Schnitt auswendig? Ich schätze, es sind höchstens vier. Hier hingegen singen die Männer lauthals auf der Straße, der Rikschafahrer brummt vor sich hin, im Büro läuft pausenlos ein "Schlager" nach dem anderen und die Mitarbeiter von Sabalamby sehen es als selbstverständlich an, zu jedem Festtag ihre Künste zum Besten zu geben. Ohne jegliche Scheu. Niemand lacht, wenn es schief klingt oder daneben geht.

Zu diesem Anlass macht frau sich fein: Ein Sari muss schon sein. Sabalamby und andere lokale Organisationen präsentieren Lieder und Theaterstücke. Redner gehören zu jeder Veranstaltung dazu. Aber was für welche! Es scheint, als ob ihr Wert weniger vom Inhalt als von der Länge ihrer Reden abhängt. Erstaunlich ist dabei aber, dass sie alle vollkommen frei sprechen. Die Zuschauer sind geduldig. Man wartet, fächelt, gähnt und schaut den Kindern beim Spielen zu. So ist das eben.

Am Abend nehme ich an einem kleineren Programm der Kulturorganisation "Udichi" teil. Hier soll zu Beginn jeder am Mikrofon seine Eindrücke des Tages beschreiben und Gedanken zur Rolle der Frau mitteilen. Das ist gar nicht so schwer, wenn die eigenen Worte nicht so ernst genommen werden. Schließlich haben fünf Leute vor mir wahrscheinlich schon ähnliches gesagt. Etwas kenne ich aus Deutschland nicht: Ein Mann trägt, ganz gerührt von seinem eigenen Werk, mit Tränen in den Augen ein Gedicht vor - gegen die Unterdrückung der Frau. Am Ende sind sich alle einig, dass noch viel verbessert werden muss und alle zusammen arbeiten müssen. Sind das mehr als Worte? Ich weiß es nicht.

Während Deutsche ihre Vereine lieben, gibt es hier eine Vielzahl kultureller Organisationen. In Netrakona mit seinen gerade einmal 50.000 Einwohnern spielen sie bei Festtagen und auch im alltäglichen Leben eine wichtige Rolle. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn ein Mann nach seiner Arbeit noch zum Theaterspielen geht und eine Frau mehrmals die Woche bei "Udichi" singt.

Ich finde es nachahmenswert, wie viel Menschen in Bangladesch singen. Man fühlt sich leichter und als Gemeinschaft, wenn man singt. Die Texte und alten Lieder gehen nicht verloren. Auch Theater und Tanz sind befreiende Formen, sich auszudrücken, sich Luft zu machen. Eine gewagte These: Vielleicht gibt es hier so wenig sichtbare Aggressionen, weil die Menschen bessere Wege gefunden haben, sich auszudrücken.

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