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Selbstwirksamkeit

In den 1980er Jahren entwickelte der Psychologe Albert Bandura das Konzept der Selbstwirksamkeit. Der Begriff bezeichnet die subjektive Gewissheit einer Person, neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können.

Diese Gewissheit über die Wirksamkeit eigenen Handelns wird durch Erfahrung verstärkt. Je mehr positive Selbstwirksamkeits-Erfahrungen eine Person, gerade in jungen Jahren, erlebt, desto sicherer wird sie in der Einschätzung ihrer eigenen Kompetenzen. Mit dieser Sicherheit steigt auch die Motivation, neue, schwierige Situationen anzugehen. Es ist von unheimlicher Wichtigkeit, dass gerade Kinder gefördert und unterstützt werden, sich eine solch wichtige psychische Stütze für ihr Leben zu erschaffen.

In der Entwicklungszusammenarbeit wird mit Hilfe von „Empowerment“-Programmen gerade dies umgesetzt. Die Programme zielen darauf ab, den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften zu erhöhen und ihnen zu ermöglichen, ihre eigenen Interessen und Wünsche selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. Soweit die Theorie. Sie habe ich mit nach Bangladesch getragen und kann sie hier an der Realität prüfen.

Um Erfahrungen von Selbstwirksamkeit zu machen, braucht ein Mensch die Möglichkeit, Handlungen selbst auszuführen, ihre (positiven) Ergebnisse alleinig auf sein eigenes Handeln zurückführen zu können – und dazu muss er auch einmal einfach alleine gelassen werden. In Bangladesch aber, einem Land, in dem die Bevölkerungszahl so hoch ist, dass Menschen zwangsläufig dicht beisammen leben, beeinflussen sich die Menschen ständig in ihren Handlungen. In den Schulen tummeln sich so viele Kinder in einem Raum, die so sehr an gemeinschaftliches Handeln gewöhnt sind, dass es unmöglich scheint, ein Kind alleine an der Tafel ein Wort schreiben zu lassen. Die anderen Kinder wollen auch aufgeregt mitteilen, wie sie das Wort schreiben würden oder sie wollen ihrem Mitschüler helfen und sagen es ihm schnell vor. So muss das Kind aber nicht überlegen und kann später nicht wissen, ob es wirklich sein Verdienst war, dass nun das richtige Wort an der Tafel steht.

Wenn in der Schule das Alphabet immer und immer wieder im Chor gemeinsam von den Schülern nachgesprochen wird, dann können sie aufhören zu denken, dann lernen sie auswendig. Aber wehe, plötzlich taucht ein Buchstabe ohne Kontext aus. Dann fällt auf, wie wenig das Auswendiglernen bringt.

Die Grundschulen, die von NETZ und GUK, meiner Partnerorganisation, ins Leben gerufen wurden, arbeiten nach einem neuen Schulkonzept, das sich von dem in den staatlichen Schulen üblichen System unterscheidet. In Lehrer-Fortbildungen bringen Mitarbeiter der beiden Organisationen den Lehrkräften der Grundschulen bei, wie sie die neuen Methoden umsetzen können, was es zu beachten gilt. Speziell ausgebildete Sozialarbeiter, die regelmäßig die Schulen besuchen, stellen sicher, dass Schwierigkeiten überwunden werden und helfen den Lehrerinnen und Lehrern bei der Umsetzung der Methoden – die auch für sie selbst zum Teil Neuland sind. In einer Projektarbeit beispielsweise dürfen Kinder zu einem bestimmten Thema ein Bild malen. Danach schreiben sie eigene Gedanken zu ihrem Bild und dem Thema auf. Etwas Eigenes schaffen. Danach stolz darauf sein. Das ist das Ziel. Empowerment.

Ich helfe während meines Freiwilligendienstes an einigen Schulen aktiv mit. Übe z.B. mit Schulkindern Englisch – und probiere neue Methoden aus. Wir stehen in einem Kreis, sprechen einen Spruch und machen dazu die passenden Bewegungen:

“Put your right hand in. // Put your right hand out. // In – out. // Do the Orky Porky [eine lustige Wellenbewegung mit gefalteten Händen]. // And turn around. // Oooorky [allen nehmen sich an der Hand und laufen in die Mitte des Kreises]. // Pooorky [und wieder auseinander]“.

Nun ist die linke Hand an der Reihe, dann der rechte Fuß, der linke Fuß. Zum Schluss der ganze Körper. Jede Stunde beginne ich mit „Orky Porky“. Beim vierten Mal fange ich an, die Reihenfolge zu ändern. Jetzt erst wird plötzlich angefangen zu denken. Kinderköpfe überlegen angestrengt. Was bedeutet gleich noch mal „in“, und was „out“? Wo ist rechts und wo ist links?

Wir machen Brainstorming. Zu einem bestimmten Thema müssen die Kinder sich in der Gruppe, ohne Hilfe von außen, alle englischen Wörter überlegen, die ihnen einfallen und sie aufschreiben. Wenn einem nicht sofort jemand hilft oder vorsagt, werden auch einmal Fehler gemacht. Aber die gehören dazu. Aus Fehlern lernt man gewöhnlich am Besten. Erst am Ende schauen wir uns die gesammelten Wörter an und versuchen, alle Fehler zu finden und zu verbessern.

Was kann man machen, wenn man ein englisches Wort nicht weiß, aber sich dennoch den anderen mitteilen will? Pantomime oder Zeichnungen. Die Freude in den Augen, wenn die anderen erraten haben, was man sagen wollte. Wenn man sich verständlich machen, Hindernisse überwinden konnte. Die Ideenlosigkeit verfliegt schnell und nach ein paar Runden wird mit großer Freude vor den anderen vorgeturnt oder gemalt. Die englischen Wörter prägen sich dabei leicht ein.

Außerunterrichtlich mache ich Sport mit den Kindern. Viele meiner Spiele gefallen ihnen. Aufgeregt kommen sie mir meist entgegengerannt, wenn sie mich kommen sehen. „Spielen wir heute wieder ‚Lal-Holud’“? Wir haben dem Spiel diesen Namen gegeben, bei dem von einem Spielleiter, bisher immer ich, zwei Farben angezeigt werden müssen – die Farben der zwei Blätter die ich mitbringe sind rot, auf Bengalisch „lal“, und gelb, „holud“. Ich sage ihnen, dass sie nicht immer auf die nächste Woche zu warten brauchen, bis ich wiederkomme. „Warum bestimmt ihr nicht einfach einen Spielleiter aus eurer Gruppe?“ Und schon steht ein stolzer Junge etwas außerhalb der beiden Gruppen und hält mit aufrechtem Körper abwechselnd rotes und gelbes Papier in die Luft. Die anderen Kinder rennen daraufhin in verschiedene Richtungen los und versuchen, sich zu fangen. I

ch sehe, wie hart es ist, das gängige Lehrsystem zu verändern, neue Lehrmethoden einzuführen und zu etablieren. Aber es kann gehen, es geht in langsamen Schritten voran, aber es ist nicht ausweglos. Viele Menschen bei NETZ und bei GUK kämpfen dafür, geben den Projekten und damit den Schulkindern Kraft – dadurch, dass sie von deren Wirksamkeit überzeugt sind. Vielleicht hilft das ein bisschen: Zu wissen, dass es irgendwo jemanden gibt, der an einen glaubt, der daran glaubt, dass man es schaffen kann. Dann kann man es auch leichter selbst glauben: Dass man selbst wirksam ist – wirksam in dem, was man tut.

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