Quelle des Lebens
Als sich das Flugzeug zur Landung bereit macht und ich einen ersten Blick auf meine neue Heimat Bangladesch erhasche, denke ich nur eines: „So viel Wasser.“ Sieben Prozent der Gesamtfläche von Bangladesch sind von Wasser bedeckt. Im Vergleich dazu beträgt die Wasserfläche in Deutschland nur 2,4 Prozent. Das von vielen Wasserläufen durchzogene ebene Land, ist gerade im Sommer stark von Überschwemmungen bedroht, da die großen Flüsse aufgrund der Abholzungen im Himalaya und der starken Gletscherschmelze immer größere Wassermassen führen. Obwohl in Bangladesch unter 0,5% des weltweiten CO2-Ausstoßes verursacht werden, ist es eines der Länder, das von den Folgen des Klimawandels am härtesten betroffen sein wird. Schon bei einem zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels um 30 cm, würde Bangladesch ungefähr ein Zehntel seiner Landfläche verlieren. Millionen Menschen wären hiervon direkt betroffen und müssten ihre Heimat verlassen.
„So viel Wasser“ möchte man meinen – und dennoch ist nutzbares, sauberes Wasser ein extrem knappes Gut in diesem Land. Bedingt durch den Klimawandel führen die großen Flüsse im Winter immer weniger Wasser. Wirbelstürme oder gar Tsunamis vom Meer her können daher weiter ins Landesinnere vordringen und das Meerwasser, das auf wenig Gegenwehr stößt, versalzt fruchtbare Böden im Süden des Landes. Das Problem von Dürren und Versalzung wird durch die Flussnutzung des Nachbarlandes Indien weiter verstärkt. Der 1974 fertig gestellte Farakka-Staudamm im indischen Westbengalen sorgt dafür, dass der Baral, ein Seitenarm des Ganges, in der Trockenzeit bis zu elfmal weniger Wasser führt.
Das Grundwasser ist die wichtigste Quelle für die Wasserversorgung. Die Bevölkerung bezieht einen Großteil des Trinkwassers aus Brunnen, die bis auf Grundwassertiefe gebohrt wurden. Dessen stärkere Nutzung zur Bewässerung und Versorgung einer stetig wachsenden Bevölkerung führte in den letzten Jahren allerdings zu einer Senkung des Grundwasserspiegels und einem Austrocknen der Oberflächenwasser. In einigen Regionen des Landes sind zudem große Teile des Grundwassers mit Arsen kontaminiert. In meiner Projektregion, dem Barind Tract, der von Natur aus zu einer der trockensten Regionen Bangladeschs gehört, führen verstärkte Dürren und der sinkende Grundwasserspiegel zur Austrocknung des Bodens und zu Erosion – und die Wasserknappheit zu sinkenden Ernteerträgen, Hunger und Durst.
Zusammen mit Mitarbeitern der Organisation Research Initiatives, Bangladesh besuche ich ein indigenes Dorf, das an einem der vielen kleinen Seen in meiner Region liegt. Die Fische des Sees dienen als Nahrungsquelle, in ihm wird gebadet und Wäsche gewaschen und sein Wasser dient der Bewässerung der Felder. Das Leben der Dorfbewohner hängt somit stark vom Zugang zu seinem Wasser ab. Jahrelang lagen die Nutzungsrechte an dem See, der im Eigentum der Regierung liegt, jedoch bei der bengalischen Bevölkerung aus den umliegenden Dörfern. Der Zusammenschluss der Dorfbewohner zu Selbsthilfegruppen durch die Initiative von NETZ und der Partnerorganisation Ashrai, hat jedoch das Selbstbewusstsein der indigenen Bewohner des Dorfes gestärkt. Gemeinsam haben sie, unter Einsatz ihrer Ersparnisse, vor einem Gericht ihre traditionellen Nutzungsechte an dem See zurück erstritten.
Bei meinem Besuch erfahre ich, dass es den Dorfbewohnern durch nachhaltige Nutzung des Wassers gelungen ist, dass der See zur Dürrezeit nicht mehr vollständig austrocknet. Zuvor war das oft der Fall gewesen. Allerdings ist der Konflikt bezüglich der Wassernutzung noch lange nicht ausgestanden. Immer wieder werden die Dorfbewohner von den früheren Nutzern bedroht. Erst kürzlich kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, wonach mehrere Dorfbewohner ärztlich versorgt werden mussten und zwei von ihnen 17 Tage in Polizeigewahrsam gehalten wurden. Die Dorfbewohner möchten auch weiterhin für die Nutzung des für sie lebensnotwendigen Sees kämpfen: nicht mit Gewalt, sondern durch Unterstützung der lokalen Behörden und Politik. Inwieweit ihre Nutzungsrechte dauerhaft gesichert werden können, bleibt abzuwarten.
Auf dem langen Weg zu einer gerechten Verteilung der lebenswichtigen Ressource Wasser steht Bangladesch erst am Anfang. „So viel Wasser“ und es ist doch zu wenig.