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... natürlich von der Liebe

Egal wo man sich in Bangladesch befindet, man ist immer von Musik umgeben. In den Gassen hämmert indische Popmusik, der Muezzin singt Koranverse und dann sind da noch die Bengalen. Generell singen Bengalen bei jeder nur möglichen Gelegenheit.

Und immer drehen sich die Lieder um das Gleiche, genauso wie bengalische Filme. Aber die Bengalen lieben ihre Filme, wie ihre Musik. Denn sie handeln immer von dem Thema, das alle Bengalen gleichermaßen berührt, wovon sie träumen und wonach sie in ihrem ganzen Sein streben...

... natürlich von der Liebe.

Liebe hat in Bangladesch, wie eigentlich in der ganzen Welt, einen besonderen Stellenwert im Herzen der Menschen. Doch umso unverständlicher ist für uns Europäer die Realität, denn für Liebe scheint in der bengalischen Gesellschaft wenig Platz.

Bangladesch ist ein Land, in dem es traurige Liebesgeschichten gibt wie Sand am Meer.

Ich habe gehört, dass In der bengalischen Gesellschaft das Mädchen nur als Gast in der Familie ihres Vaters gesehen wird - bis sie ihre Bestimmung erfüllt und in die Familie des Ehemannes einheiratet. Erst ab dem Zeitpunkt gehört sie wirklich zu einer Familie. Die gesetzlich vorgeschriebene Altersgrenze zum Heiraten liegt bei achtzehn Jahren. Doch das gesellschaftlich "ideale" Heiratsalter der Mädchen ist zwischen vierzehn und sechzehn Jahren. Der Junge als Stammhalter sollte erst heiraten, wenn er zwischen dreiundzwanzig und fünfundzwanzig Jahren ist, erst dann ist er ein richtiger Mann.

Die Ehe wird zwischen den Familien arrangiert, genauer zwischen den männlichen Familienmitgliedern, in manchen Fällen sogar nur von einem Freund der Familie. Das zukünftige Brautpaar hat selten Mitspracherecht. Wichtiger ist, dass die Verbindung mit einer ebenbürtigen Familie aus der gleichen Gesellschaftsschicht geschieht oder die Heirat Vorteile bringt. Liebesheiraten sind doch eher selten.

Interessant ist auch der Unterschied in der Sprache - einen Mann fragt man: "Wann hast du Heirat gemacht?", eine Frau: "Wann ist deine Heirat gewesen?"

In der Regel muss die Familie des Mädchens Mitgift an die Familie des Jungen zahlen. Nach dem Gesetz ist das zwar illegal, wird aber weiterhin in der Gesellschaft praktiziert. Oft fordert die Familie des Jungen lange nach der Hochzeit nochmals eine Mitgift, weil beispielsweise "die Haut des Mädchens zu dunkel ist". Will oder kann die Familie die Mitgift nicht zahlen, wird Druck auf das Mädchen und dessen Familie ausgeübt, in Form von schlechter Behandlung bis hin zu systematischer Vergewaltigung oder Säureattentaten.

Wenn das Mädchen schwanger wird und einen gesunden Jungen bekommt, steigt ihre Position innerhalb der Familie und der Gesellschaft - sie wird jetzt als "richtige" Frau betrachtet. Sollte sie aber keine Kinder bekommen können, was in vielen Fällen nicht ihre Schuld ist, gilt das als Schande.

Eine Hochzeit ist meistens auch das Ende der Schulbildung. Wozu Schule ? Frauen sollen nach Ansicht der bengalischen Männer doch nur Kochen können und nicht Lesen oder Schreiben.

In den letzten drei Wochen bin ich viel durch die Dörfer gereist, um zwei Frauen und ihre Geschichten für unseren Film zu finden. Eine dieser Frauen, die selber mit zwölf Jahren an einen dreißigjährigen Mann verheiratet wurde, erzählte mir, dass ihre Tochter (14) kurz vor ihrer Hochzeit verrückt geworden sei. Ihre Tochter hat aufgehört zu essen und zu schlafen. Sie hat angefangen nur noch mit sich selbst zu reden und ohne Grund zu lachen. Warum ihre Tochter verrückt geworden ist, weiss sie nicht.

Ein anderes Beispiel ist ein Mädchen, das zum Zeitpunkt ihrer Flucht sechzehn Jahre war. Sie wurde mit einem Mann verheiratet, von dem sie selber sagt, dass er nicht schlecht war. Jedoch immer, wenn ihr Mann als Rickschafahrer arbeitete, kam dessen Vater und vergewaltigte sie. Ihr Mann wusste davon, tat aber nichts dagegen. So beschloss sie ihren Mann zu verlassen.

Ich könnte an dieser Stelle noch unzählige Geschichten dieser Art nennen, doch im Grunde sind sie alle ähnlich.

Ein Problem ist, dass aufgrund fehlender Bildung wenige der Frauen von ihren Rechten überhaupt wissen. Auf dem Papier genießen bengalische Frauen eine Menge Rechte und die Strafen für Gewalt gegen Frauen sind sehr hoch.

"Sollten nicht mehr Frauen von ihrem Recht wissen, sich Scheiden lassen zu können?", frage ich im Gespräch eine jener Frauen. "Nein sollten sie nicht!", sagt sie. "Warum nicht?" "Weil sie dann davon zuviel Gebrauch machen würden!"

Wie gesagt "Liebe" ist ein sehr kontroverses Thema in Bangladesch und ich will nicht verallgemeinern! Die oben genannten Beispiele sind häufig, jedoch nicht die Regel. Am Ende habe ich euch noch die Geschichte eines meiner besten Freunde in Bangladesch aufgeschrieben. Sie ist nichts besonderes, jedoch auf ihre Art eine für Bangladesch typische Geschichte von Ohnmacht und Ungerechtigkeit.

"Hier an diesem Baum haben wir uns immer getroffen! Sie und ich."
"Ist sie deine große Liebe?"
"Wir sind sehr verliebt. Ich würde sagen, dass sie die Liebe meines Lebens ist!"
"Wann habt ihr euch kennen gelernt?"
"Ich weiß nicht. Wir kennen uns schon seit wir Kinder waren."
"Und wann seid ihr zusammen gekommen?"
"So mit fünfzehn oder so. Wir hatten sogar eine sexuelle Beziehung."
"Und davon hat niemand etwas mitgekriegt?"
"Ich weiß nicht. Vielleicht hat es ihre Familie gewusst. Jedenfalls, irgendwann ist sie weinend zu mir gekommen und hat mir erzählt, dass sie bald jemand anderes heiraten muss. Wir haben dann noch zwei Wochen bis zur Hochzeit miteinander verbracht. Mittlerweile lebt sie zwei Dörfer weiter und hat zwei Kinder."
"Warum bist du nicht zu ihrem Vater gegangen und hast gesagt, dass du sie heiraten willst?"
"Bela, weil ich arm bin und sie reich!"

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