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Mit zwölf Jahren verheiratet

Zu Beginn des Monats erstellte ich einen Bericht über Kinder aus den Slums von Dhaka, die eine Schule besuchen, welche auch von NETZ unterstützt wird.

Am 14. Februar fuhr ich mit Urs, der auch einen Freiwilligendienst mit NETZ in Bangladesch leistet, nach Netrakona. Doch erst am 19. Februar konnten wir in den Bezirk Mohanganj weiterreisen. Wir überbrückten die Zeit mit dem Besuch weiterer Projekte der Entwicklungsorganisation Sabalamby.

Unser Arbeitsauftrag ist es, einen Film über das Projekt für extrem arme Frauen zu drehen, das Sabalamby durchführt. In vielen Entwicklungsprogrammen werden die ärmsten Menschen nicht erreicht, weil sie im Dorf sozial ausgegrenzt sind oder an Kleinkredit-Programme, mit denen Einkommen erzielt werden soll, nicht teilnehmen können. Die Familien haben keinerlei regelmäßige Einkünfte. Wenn eine Familie nun mit einem Kleinkredit eine Kuh anschafft und sie diese durch Krankheit verliert - wie soll die Familie dann ihren Kredit zurückzahlen? Die Organisation, die den Kredit verleiht, würde bei mehreren derartigen Fällen große Verluste machen und kann folglich das Risiko nicht eingehen. Die Geldverleiher im Dorf haben Zinssätze von mehreren hundert Prozent, auch dort findet sich keine Rettung für die Familie.

Sabalamby hat deshalb in Zusammenarbeit mit NETZ ein spezielles Programm für die ärmsten Familien entwickelt. Die Mitarbeiter der Organisation haben Frauen aus dem entlegenen Bezirk Mohanganj motiviert, sich zu Gruppen zusammen zu schließen. Sie beraten die Frauen in verschiedenen Möglichkeiten der Einkommensschaffung. Nach Schulungen in Tierhaltung und einfacher Buchführung erhalten die Frauen eine Kuh, Hühner oder Startkapital für einen kleinen Laden. Außerdem sprechen die Frauen in ihren wöchentlichen Treffen über Gesundheit, Rechtsberatung und den Zugang zu staatlichen Diensten wie Behandlung im Krankenhaus, Schulbildung für die Kinder und die Versorgung der Tiere durch das Veterinäramt.

Während der letzten Flutkatastrophe erhielten die Familien Lebensmittel und Wiederaufbauhilfe für ihre Hütten. In der Region Mohangonj erreicht Sabalamby durch dieses Projekt seit zwei Jahren 300 Familien. Darunter sind auch viele verwitwete Frauen, die ganz alleine auf sich gestellt ihre Kinder ernähren müssen. Dieses Jahr sind weitere 300 Familien hinzugekommen.

Als wir in Mohangonj ankamen, begannen wir sofort Familien zu suchen, die für den Film geeignet sind. Dies nahm einige Zeit in Anspruch. Weitere Verzögerungen traten unter anderem durch den Nationalfeiertag auf, der an den Sprachenaufstand während der pakistanischen Fremdherrschaft erinnert. Die Woche in Mohanganj war dennoch sehr arbeitsintensiv. Es kostete viel Kraft, von Dorf zu Dorf zu fahren, die Frauen nach ihren zum Teil sehr schweren Schicksalen zu befragen und diese schlimme Armut zu sehen. Viele der Frauen sind im Alter von 12 oder 14 Jahren verheiratet worden und brachten kurz darauf ihr erstes Kind zur Welt. Oft starb der Ehemann und ließ seine Frau schutzlos, rechtlos und hoffnungslos zurück.

Ende des Monats entschieden wir uns, Mina in den Mittelpunkt des Filmes zu stellen - ihre katastrophale Lage ist typisch für viele Familien in Bangladesch. Mina, etwa 30 Jahre alt, war mit 12 Jahren verheiratet worden, mit einem 28 Jahre alten Mann. Ein Jahr später kam ihre erste Tochter zur Welt, Rina. Deren Schicksal war vorgezeichnet: sie sollte ebenfalls früh verheiratet werden, allerdings "erst" mit 15 Jahren. Doch als sie davon erfuhr, wurde Rina ernsthaft psychisch krank. Sie begann zeitweise wirre Sachen zu reden, plötzlich zu weinen, zu lachen oder wegzurennen. Seither gilt sie im Dorf als verrückt.

Vor zwei Jahren begann Minas Ehemann zu kränkeln. Doch was sollte er tun? Um die Familie mit mittlerweile drei Kindern zu ernähren, blieb ihm nichts anderes übrig als ununterbrochen als Tagelöhner weiterzuarbeiten. Letztes Jahr brach er plötzlich auf dem Markt zusammen und starb. Schon damals hatte die Familie im Projekt für extrem Arme teilgenommen und hatte eine Kuh erhalten. Während der Flut 2004 starb die Kuh jedoch an einer Seuche. Mina stürzte in eine tiefe Krise, sie und ihre Kinder darbten mit einer, höchstens zwei Mahlzeiten pro Tag und die Kinder waren wegen der permanenten Unterernährung immer wieder krank. Sabalamby ersetze die Kuh durch einen "mobilen Laden": Mina wandert nun mit einem Korb voller Waren in den umliegenden Dörfern von Haus zu Haus. Ihr Absatz ist recht gut. Um ihre Vorräte aufzufrischen, muss sie alle paar Tage einige Kilometer zu Fuß in die Stadt gehen.

Um die Situation der Familie unmittelbar miterleben zu können, fragten wir die Mitarbeiter von Sabalamby, ob wir einen vollen Tag und eine Nacht bei ihr verbringen könnten, gegen Kostenausgleich für die Mahlzeiten natürlich. Zuerst zögerte Sabalamby, schließlich ließ es sich doch arrangieren. Allerdings sollten wir nicht in Minas Haus schlafen, sondern in einer Hütte, die zum Gehöft des nächsten Grundbesitzers gehört. Ich hatte mir diesen Menschen arrogant, protzig und kalt vorgestellt. Als wir plötzlich gesagt bekamen, dass der unter den anderen Umstehenden überhaupt nicht hervorstechende alte Mann mit Lungi - den landestypischen Beinkleidern der Männer - und dem verwaschenen Hemd der Grundbesitzer sei, war ich sehr verblüfft.

Wir waren nachmittags angekommen, hatten uns ein bisschen umgeschaut und die interessierten Fragen der Nachbarn beantwortet. Eigentlich wollten wir früh schlafen gehen, um gegen sechs Uhr morgens mit Mina aufstehen zu können. Unsere Hoffnungen auf genügend Schlaf wurden jedoch vom Onkel des Dorfvorstehers zerstört. Der alte Mann pflanzte sich in unsere Hütte und lies eine Schimpftirade gegen Sabalamby los, deren Unterstützung für die Frauen ganz klar gegen die Tradition des Islams verstoßen würde. Kokon, unser Begleiter von Sabalamby, ging in die Defensive und wollte den Bärtigen nicht weiter gegen sich aufbringen. Der Grundbesitzer aber fand deutliche Worte: "Und was tut Ihr gegen die Armut hier?" Nachdem sich endlich alle Schaulustigen aus unserem Raum verzogen hatten, schliefen wir bald tief und fest und bemerkten gar nicht, dass unser Gastgeber die ganze Nacht um unsere Behausung patroullierte, um für unsere Sicherheit zu garantieren.

Urs und ich standen im Morgengrauen auf, um den Sonnenaufgang zu filmen. Es war wunderbar, dieses Erwachen des Tages mitzuerleben, auch wenn sich einige Bengalen um das Stativ versammelten und das Bild mit ihrer Person bereicherten. Dann gingen wir alle zu Mina, die bald begann, das Frühstück zu kochen. Die Kinder saßen um das Feuer und wärmten sich die Hände an der Asche, die die Großmutter aus dem Lehmofen schob. Nach dem Frühstück aus Reis und - uns zuliebe - Gemüse mit getrocknetem Fisch, nahmen wir ein paar Szenen ihrer Alltagsarbeit auf. Als wir sie fragten, ob sie im Dorf oder ihrer Familie keine Bezugsperson habe, die ihr finanziell hätte helfen oder mit der sie wenigstens ihre Probleme hätte teilen können, brach sie in Tränen aus. Es war sehr unangenehm; wir waren in unserem Eifer, mehr über ihr Leben herauszufinden, wirklich zu weit gegangen. Wir brachen das Gespräch ab. Plötzlich wurde Kokon, der Sabalamby-Mitarbeiter, unruhig und wollte das Dorf verlassen. Wir erfuhren, dass ein anderer älterer Mann gekommen war und gegen uns gewettert hatte. Leider kamen wir mit unserem Zeitplan wirklich in Verzug, da wir schon am Abend des folgenden Tages nach Netrakona zurück mussten. Doch am nächsten Morgen fuhren wir noch einmal zu Mina, nahmen ein Interview mit ihr auf und verabschiedeten uns von ihr. Doch nach unserer monatlichen Arbeitsbesprechung in Dhaka werden wir wieder zurückkommen.

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