Malida
Malida lebt in Bangladesch, in einer der ärmsten Regionen im Nordwesten des Landes. Sie ist eine Adivasi, so heißen die Ureinwohner Bangladeschs, die heute oft in miserablen Verhältnissen und sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht vom Rest der Bevölkerung abgegrenzt leben. Sie gehört dem indigenen Volk der Kurmi an.
Malida, die ich während eines Besuches in ihrem kleinen Dorf kennen lerne, erzählt mir von ihrem schwierigen Leben. Ihr genaues Alter kennt sie nicht, hat aber vage Kindheitserinnerungen an die Unabhängigkeit Bangladeschs im Jahr 1971. "Damals", berichtet sie, "war das Leben noch schön!" Sie konnte jeden Tag drei Mahlzeiten zu sich nehmen und ihre Familie besaß ein wenig Land. In jungem Alter wurde sie von ihren Eltern mit Phoni verheiratet und musste ihr Heimatdorf verlassen. Von diesem Zeitpunkt an wurde sie, so sagt sie selbst, als Eigentum der Familie ihres Mannes behandelt. Der an Asthma erkrankte Phoni erwirtschaftete als Korbflechter nur ein geringes Einkommen und die junge Malida war gezwungen, sich als Tagelöhnerin in den Feldern zu verdingen. Dort hat sie ein ganzes Leben lang für wenig Lohn geschuftet. Trotzdem war das Einkommen nicht ausreichend, um sich, ihren Mann und die beiden Kinder zu ernähren. Da in dieser Gegend die Erntesaison nur vier Monate dauert und so nicht regelmäßig Arbeit in der Landwirtschaft da ist, musste Malida ihre Arbeitskraft zu einem geringen Preis im Voraus verkaufen. Dadurch geriet sie in Abhängigkeit lokaler Großgrundbesitzer.
So überlebte die Familie mehr schlecht als recht am Rand des Existenzminimums. Bis sich der Gesundheitszustand ihres Mannes immer weiter verschlechterte und er - auch wegen mangelnder medizinischer Versorgung - vor fünf Jahren starb. Von diesem Moment an stand Malida alleine mit zwei Kindern und ohne festes Einkommen da. "Die folgenden zwei Jahre waren die schlimmste Zeit meines Lebens," berichtet sie. Malida musste betteln gehen. Sie wanderte jeden Tag durch die Nachbardörfer, um eine Handvoll Reis von mitfühlenden Familien zu bekommen. Ihre Kinder waren ständig krank und hungrig. Vom Betteln in der ebenfalls armen Nachbarschaft konnte sie nur knapp die zum Überleben notwenige Menge an Reis zusammenbringen. "Das schlimmste an meinem Bettlerleben", so erzählt sie mir, "war das Schuldgefühl, nicht ausreichend für meine Kinder zu sorgen."
Ich versuche mir vorzustellen, wie Malida mit dem Mut der Verzweiflung den Überlebenskampf auf sich nimmt. Damals war sie eine der vielen Ärmsten der Armen, die es hier in Bangladesch nicht schaffen, ein würdiges Leben zu führen.
Inzwischen hat sich Malidas Situation deutlich verbessert. Seit fast drei Jahren nimmt sie am Projekt "Ein Leben lang genug Reis" von Ashrai, einer Partnerorganisation von NETZ, teil. Durch das Projekt bekam sie fünf Enten, zwei Ziegen, drei Hühner und eine alte Rikscha, dessen Wert sie zinsenfrei zurückzahlen konnte. Vom Profit ihres winzigen Familienunternehmens konnte sie eine Kuh und eine neue Transport-Rikscha kaufen. Diese wird jetzt von ihrem 17-jährigen Sohn gefahren und bringt der Familie durchschnittlich 300 Taka, das sind ca. drei Euro, Einkommen im Monat. Die Kuh wurde verkauft, um die Hochzeit der 15-jährigen Tochter zu bezahlen.
Malida schaut mich heute mit glücklichen Augen an. Die schlimmste Zeit ihres Lebens liegt hinter ihr. Jetzt ist sie selbstständig und in der Lage, einen bescheidenen Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu verdienen.
Fotos von Rolf Wegst.