Lichterfest
In Dhaka gibt es drei buddhistische Klöster. Das größte davon, das 1962 gegründete Dharmarajika-Kloster, liegt in der Nähe des Hauptbahnhofs. Wie in allen großen Städten ist auch das Bahnhofsviertel von Dhaka eine ziemlich unangenehme Gegend. Wir wurden ausdrücklich davor gewarnt, uns abends alleine dort zu bewegen. Nur wenige hundert Meter vom Kloster entfernt erstrecken sich einige der zahlreichen Slums von Dhaka. Bis vorgestern habe ich weder hier noch anderswo etwas Vergleichbares gesehen. Es ist schon ein verdammt großer Unterschied, ob man Slums vom Wohnzimmersessel aus im Fernsehen betrachtet oder unmittelbar daran vorüber fährt.
Wir waren eingeladen worden, am Thadingyut-Fest teilzunehmen. Während der letzten drei Monate haben die Mönche zurückgezogen im Kloster gelebt, dort meditiert und theologische Studien absolviert. Das Lichterfest beendet ihre Klausur. Von nun an dürfen sie das Kloster wieder verlassen und sollen ihre neu gewonnenen Erkenntnisse allen Interessierten auf Einladung predigen, wie man uns erklärte. Wie der Festzug, der letzten Sonntag die hinduistische Durga Puja beendete, wurde auch das buddhistische Lichterfest von starken Polizeikräften gesichert. Am Klostereingang wurden von einem eloquenten Mönch namens Maung empfangen. Er ist gerade einmal 30 Jahre alt, hat in Norwegen studiert und spricht fließend Englisch. Etwas erstaunt war ich darüber, dass Maung ein - recht oft klingelndes - Handy und einen Laptop besitzt, der in seinem ansonsten recht spartanisch eingerichteten Zimmer irgendwie deplaziert wirkte. Er führte uns durch das Kloster, dem u.a. ein Waisenhaus und eine Schule angegliedert sind. Die Anlage umschließt einen großen Teich, in dessen Mitte ein bunt erleuchteter kleiner Schrein errichtet ist. Durch Maung kamen wir auch in den Genuss einer buddhistischen Zeremonie im Herzstück des Klosters, dem buddhistischen Tempel mit einer großen Buddha-Statue aus Sri Lanka. Sehr eindrucksvoll war das Lichterfest selbst. Buddhisten und Muslime, deren Alltag gerade vom Fastenmonat Ramadan bestimmt wird, feierten friedlich und ausgelassen gemeinsam ohne irgendwelche Zwischenfälle. Inwieweit das massive Polizeiaufgebot dazu beitrug, bleibt Spekulation. Neben einer Blaskapelle in bunten Uniformen und einigen Feuerspuckern waren vor allem die etwa 400 aus Papier gefertigten Ballons eine große Attraktion, die bis spät in die Nacht himmelwärts geschickt wurden. Ihre Form ähnelte meist überdimensionalen Kondomen, manche waren als Fische oder Flugzeuge aufgemacht. Auftrieb erhielten sie durch brennende, in Wachs und Petroleum getränkte Stoffbündel. In Deutschland wäre eine solche Veranstaltung undenkbar, denn so mancher Ballon stieg nicht weit hinauf in den Himmel, sondern verbrannte in niedriger Höhe und stürzte auf umliegende Häuser, Bäume oder Besucher; einer stürzte sogar in Lounge des Moderators, der die mehrstündige Zeremonie mit Gebeten begleitete.
Als wir gegen 20 Uhr mit drei Rikschas zurückfuhren, stürzte ein brennender Ballon nur wenige Meter vor uns auf die Straße. Maung erklärte uns, dass die Ballons die Haare Buddhas symbolisierten, die er sich im Angesicht des Todes abgeschnitten und mit den Worten fallen gelassen hatte: "Wie mein Haar jetzt zu Boden gleitet, wird meine Seele meinen toten Körper verlassen und hinauf ins Nirvana schweben." Es war wirklich beeindruckend, diese vielen Ballons am Firmament zu beobachten, wie sie immer höher stiegen und immer weiter flogen, bis sie sich nach und nach unseren Blicken entzogen.