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Leicht wie eine Feder

Ich werde sanft vom Duft der angesengten Zwiebeln und Chilis geweckt. Es ist sechs Uhr. Farida bereitet bereits das Frühstück und Mittagessen zu. Reis mit scharfer Beilage. Mittlerweile hab ich mich durchgesetzt und darf morgens Obst essen. Drei Mal Reis am Tag ist mir dann doch zu viel. Um einen Bericht über das Dorf Farajipara zu schreiben, und um das Leben in solch einem Dorf richtig mitzubekommen, darf ich neun Tage bei Farida und ihrer Tochter Hiya leben.

Um sieben Uhr quäle auch ich mich aus dem Bett, das freundlicherweise ganz mir alleine gehört für die neun Tage bei Farida. Sie und Hiya schlafen nebenan bei ihrer Freundin. Die Nacht war geprägt von wenig Schlaf. Nachdem Billy - eine Ratte; ich habe sie Billy getauft, das macht es etwas netter und erträglicher - endlich aufgehört hat mit den Töpfen zu klappern, hat der Holzwurm "Herbert" mit Knabbern angefangen. Ein ekliges Geräusch!

Ich gehe verschlafen vor die Tür, um herauszufinden wann ich mich duschen bzw. waschen kann. Hier wohnen insgesamt sechs Frauen, die alle im Außenbüro meiner Partnerorganisation GUK, welches gleich nebenan ist, arbeiten. Und es gibt nur eine Wasserpumpe. Da ist das Gedränge groß. Es wird schon fleißig Wäsche gewaschen, Geschirr gespült oder sich selbst gewaschen. Ich bin einfach kein Morgenmensch, egal wie stark ich versuche mir das anzugewöhnen. Das muss an den Genen liegen. Verträumt schaue ich dem eingespielten Frauenteam bei der morgendlichen Zeremonie zu. So, jetzt bin ich dran! Die Frauen schmunzeln mich an. Finden sie es immer noch witzig wie so eine verschlafene bideshi, also eine Ausländerin, aussieht? Oder gucken sie etwa durch die kleinen Löcher in der Tür, wenn ich mich wasche? Ich stell mich nämlich ganz schön blöd an. Es ist gar nicht so einfach, sich mit Klamotten - so wie man das hier eben macht - zu waschen.

Mit Eimer und Kännchen gehe ich in den kleinen Raum mit der Wasserpumpe. Die ersten Pumpenzüge fallen mir schwer. Ich habe noch einen Muskelkater von den vergangenen sechs Tagen. Ich glaube, wenn alle Deutschen ihren Wasserverbrauch selber aus dem Grund pumpen müssten, wäre die Übergewichtsrate deutlich niedriger. Nachdem ich meinen Eimer endlich voll habe, leere ich das kühle Nass mit Hilfe des Kännchens über mich. Jetzt bin auch ich wach. Es ist Februar und die Kälte des Winters hat sich noch nicht ganz verzogen. Zu der eisigen Morgenluft kommt das kalte Wasser dazu. Schade, dass ich hier nicht Singen und Rumhüpfen kann, wie in meinem Zimmer im Hauptbüro von GUK in Gaibandha. Da wird es einem gleich wärmer.

Umständlich versuche ich mich aus den nassen Klamotten zu winden. Wie machen die das bloß, dass man da nichts sieht? Das geht doch nicht. Also wenn die Damen wirklich spicken würden, hätten sie spätestens jetzt einen Lachkrampf bekommen. Ich bin also leicht beruhigt und genieße mein bisschen Privatsphäre in diesem kleinen Räumchen mit der löchrigen Wellblechtür. Privatsphäre habe ich nur auf der Toilette oder beim Duschen. Da klopft es aber auch schon. Weniger weil Wasser gebraucht wird, sondern weil es so interessant ist, wie ich meine Wäsche wasche. Ich muss viel Überzeugungsarbeit leisten, damit mir die Frauen glauben, dass ich waschen kann und es auch selber machen will. Dasselbe beim Kochen und Geschirr spülen. Da ich in der Vorstellung vieler Leute, die mich nicht besser kennen, eine "reiche Ausländerin" bin, wird oftmals davon ausgegangen, dass ich die Hausarbeiten von anderen machen lasse. So wie das hier üblich ist, sobald man das nötige Kleingeld hat.

Dann geht es ins Büro. Heute ist ein besonderer Tag: Hiya wird neun Jahre alt! Zur Feier des Tages gibt es eine Geburtstagstorte, mit der jeder gefüttert wird. Ob man es will oder nicht. Hiya hat große Freude daran, mir ein riesen Stück dieser undefinierbaren Mischung aus Zucker, Buttercreme und Farbstoff in den Mund zu stopfen. "Mhhhhh. Lecker Hiya! Danke!!" Und weil es so schön war noch einmal!

Für meinen Dorfbericht über dieses schöne Fleckchen Erde Farajipara, gehe ich mit meinem treuen Begleiter und Übersetzungshelfer Kaderi wie jeden Tag in das Dorf und interviewe Familien. Die wunderschöne Landschaft und herzlichen Leute lassen einen fast vergessen, wie hart die Menschen hier arbeiten müssen, um halbwegs gut über die Runden zu kommen. Doch bei den Gesprächen mit den Familien werde ich schnell wieder in die Realität zurück geholt. Mir gegenüber sitzt eine Frau, die schon mit sieben Jahren verheiratet wurde und ihr ganzes Leben für ihre acht Kinder geschuftet hat und dies immer noch tut. Mir dreht es den Magen um und das nicht wegen dem unbeschreiblichen Geburtstagskuchen. Die verspielte, unbeschwerte, lebensfreudige Hiya ist heute neun Jahre alt geworden. Undenkbar sie sich als Ehefrau vorzustellen! Die Kinderehe der Frau ist etwa 40 Jahre her und seitdem hat sich einiges geändert. Kinderehen sind aber immer noch ein großes Problem in Bangladesch.

Da heute Donnerstag ist, was bedeutet dass das "Wochenende", welches lediglich aus dem Freitag besteht, vor der Tür steht, geht es nach der Arbeit zu Faridas Familie in ein anderes Dorf. Und ich darf nach langer Überzeugungsarbeit bei den GUK-Mitarbeitern auch mit. Sie hatten zunächst Bedenken bezüglich meiner Sicherheit und Gesundheit gehabt. Bei Farida kann man nur in einer hier üblichen Wellblechhütte übernachten. Allerdings fange ich schon beim Aufsteigen auf Faridas Mofa-Motorrad aka "Hüpferle" - wie meine Mama so schön sagen würde - an, meine Entscheidung zu bereuen.

Da wir zu Dritt fahren, habe ich den Ehrenplatz mit der Gepäckträger-Stange im Steiß bekommen. Schon nach dem ersten Schlagloch spüre ich, dass ein übler blauer Abdruck an meinem Allerwertesten mich noch lange an diese Fahrt erinnern wird. "Schön", dass die Straßen hier durch die Fluten fast nur aus Schlaglöchern bestehen. Ich versuche es mit mentaler Kraft und stelle mir vor ich wäre leicht wie eine Feder. Komm schon: LEICHT WIE EINE FEDER! Klappt nicht. Um mich von den Schmerzen abzulenken, versuche ich aus dem Hupkonzert der anderen Verkehrsteilnehmer Lieder zu erkennen. Dank meiner blühenden Fantasie spielen die Bus-, Auto-, Motorradhupen und Rikschaklingeln Lieder wie "Oh Happy Day" oder "Hakuna Matata" aus dem König der Löwen für mich. Ich verdrücke mir die Frage, wie lang es noch dauert und bilde mir stattdessen lieber ein: "Noch 5 Minuten! Nur noch 5 Minuten!" Es geht auf einen Feldweg. Sind wir etwa gleich da? Nein, das bedeutet nur noch mehr Schlaglöcher. Autsch! Nach gefühlten zwei Stunden sind wir dann endlich angekommen. Mir tut alles weh und ich laufe als hätte ich extreme O-Beine. Doch die herzliche Begrüßung und die schöne Umgebung machen das alles wieder wett. Und das Bett, ein Holzbrett mit Decken darauf, kommt mir vor wie ein flauschiger Wolkenhimmel.

Am nächsten Morgen frage ich Hiya, wo die nächste Toilette ist. Natürlich darf das kein Geheimnis bleiben uns so rennt das Mädchen auf den Hof und verkündet allen, dass ich mal für kleine bideshi muss. Stolz werde ich von etwa zehn Leuten zur besten Latrine im Dorf geführt. Vor der Tür wird brav gewartet. Warum sollte das denn auch peinlich sein? Ist doch das Normalste auf der Welt. Nach einer ausgiebigen Dorfführung ganz nach dem Motto "Mästet Regina" bzw. Rozina, wie viele Leute meinen Namen aussprechen, dem Besuch auf einer Hochzeit, sehr netten Gesprächen, einer weiteren Nacht bei dieser überaus gastfreundlichen und herzlichen Familie - kurz: nach einem wunderschönen Wochenende, geht es dann wieder zurück. Die Fahrt beschreibe ich lieber nicht noch einmal.

Ich bin gespannt, was ich in meinen letzten drei Tagen noch erleben werde. Für mich ist das hier ein bisschen wie Campen. Aber ich kann bald wieder in mein "luxuriöses" Zimmer mit Bad zurück, in dem ich ganz viel Privatsphäre habe und in dem ich nach der Arbeit einfach nur abschalten kann wenn ich möchte. Die Menschen hier müssen täglich den ganzen Tag schuften und das Wort "Freizeit" gibt es wahrscheinlich gar nicht in ihrem Wortschatz.

Für mich steht fest: Eine grandiose Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Ich habe nun noch mehr Respekt vor dem "einfachen Leben" auf dem Land, habe wunderbare Menschen kennengelernt und ich werde Farida und Hiya sehr vermissen!

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