Klassenfahrt mal anders
Als ich am Abend in Gaibandha, in Norden Bangladeschs, ankomme, finde ich eine große Gruppe von Jugendlichen vor. Bunt gemischt, Deutsche zwischen Bengalen, Bengalen zwischen Deutschen. In der einen Ecke wird lauthals gelacht, in einer anderen angeregt diskutiert und im nächsten Eck bringen sich die Jugendlichen gegenseitig Spiele ihrer Kindheit bei. Diese Szene erweckt in mir den Eindruck, dass hier innerhalb eines Tages schon enge Freundschaften geschlossen wurden.
Vor zwei Jahren war ich an der Stelle der deutschen Schülerinnen und Schüler gewesen. Mit acht weiteren Schülerinnen und zwei Lehrkräften hatte ich an einer von NETZ organisierten zweiwöchigen Dialog- und Lernreise nach Bangladesch teilgenommen. Klassenfahrt mal anders. Gefördert wurde diese Reise damals, wie auch die aktuelle, vom Entwicklungspolitischen Schulaustauschprogramm, kurz ENSA, des Entwicklungsministeriums. Jetzt ist meine Freude groß meine "Nachfolger" kennenzulernen. Diese kommen alle vom Michael-Ende-Gymnasium in Tönisvorst.
Ziel des Workshops, für den die deutschen Jugendlichen nach Gaibandha gekommen sind, um an diesem mit Gleichaltrigen aus Bangladesch teilzunehmen, ist die Erarbeitung einer Wandzeitung. Die Jugendlichen aus Bangladesch engagieren sich ehrenamtlichen an ihren Schulen in einem Menschenrechts-Theaterprojekt der NETZ-Partnerorganisation Ain o Salish Kendra. Die Wandzeitung soll die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten der beiden Länder möglichst farbenfroh und bilderreich darstellen, so dass man sie bei Vorträgen in Deutschland als Anschauungsmaterial verwenden kann.
Bei der Gruppenarbeit über die verschieden Schulsysteme wird den Jugendlichen recht schnell klar, dass ihr Verständnis von Gruppenarbeit nicht gleich ist. So werden aus den für diese Einheit angesetzten vierzig Minuten drei Stunden, in denen es viele verblüffte, enttäuschte aber auch faszinierte Gesichter zu sehen gibt. Aber am Ende sind sich alle einig: einen besseren Einblick in die Schulsysteme beider Länder, als durch diese Gruppenarbeit, hätte man nicht bekommen können. Am Ende des Tages sind alle Teilnehmenden sehr geschlaucht und freuen sich auf den nächsten Tag - den Freitag.
Für diesen Tag, der im Allgemeinen zur freien Verfügung steht, haben sich die Leiterinnen und Leiter des Workshops etwas besonders einfallen lassen: eine Bootstour auf dem Brahmaputra, einem der größten Flüsse der Welt. Statt "zu Hause" rumzusitzen, entschieden sich alle Jugendlichen dafür, lieber daran teilzunehmen. Doch vor der Bootsfahrt wartet zunächst eine Rikschafahrt auf sie - die erste für fast alle Deutschen. Die meisten können sie kaum erwarten. Doch nach fast 50 endlos erscheinenden Minuten Fahrt durch Schlaglöcher und Schlamm, sind alle heilfroh endlich absteigen zu dürfen und wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Knapp fünf Stunden dauert dann die Bootsfahrt. Langeweile kommt nicht ein einziges Mal auf. Sobald einmal die Gesprächsthemen ausgehen, wird gesungen, geklatscht und gegrölt oder die Landschaft, die Menschen und die Tiere am Flussufer beobachtet und fremde Flussinseln erkundet. Am Ende der Tour sprechen die Gesichter der Jugendliche Bände: für sie war die Bootstour ein voller Erfolg.
Samstagmittag - zurück beim Workshop. Nach einem Besuch in einer Grundschule am Vormittag werden die Jugendlichen vier Gruppen eingeteilt. Jede von ihnen bekommt ein anderes Diskussions-Thema: Familie, Alltagsleben, Träume und Wirtschaft stehen zur Auswahl. Nach einer Stunde Diskussion überlegen die einzelnen Gruppen, wie sie ihr Thema am Besten vorstellen können. Es entstehen Standbilder zu den Themen Familie und Träume, ein kleines Theaterstück zur Darstellung des deutschen und bengalischen Alltags und eine Modenschau zum Thema Wirtschaft.
Als ich an diesem Abend mit zwei Jugendlichen spreche und sie mir von ihren Erfahrungen und Einblicken erzählen, bin ich erstaunt und erfreut darüber, wie in so kurzer Zeit so viel zu kulturellen Unterschieden und Gemeinsamkeiten ausgetauscht werden kann. Christina erzählt mir begeistert, dass sie den Nationalstolz und das Gemeinschaftsgefühl der Bengalen sehr bewundert. "Die meisten würden ihre persönlichen Träume und Wünsche sofort aufgeben, wenn sie dem Land damit helfen könnten", so Christina. "Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden!" Nahid findet es toll, das Frauen und Männer in Deutschland in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen können. Das Schulsystem dort sei einfacher zu verstehen und einheitlicher.
Der absolute Höhepunkt des Theaterworkshops ist der für die Jugendlichen arrangierte kulturelle Abend am Sonntag. Sieben verschiedene Tanzgruppen stellen farbenfroh und mit viel Freude das Leben der Menschen in Bangladesch dar. Ein Mann aus dem Publikum singt ein selbstkomponiertes Lied, das von einer verflossenen Liebe handelt. Trotz der unbekannten Sprache, rührt das Lied einige der Teilnehmenden aus Deutschland zu Tränen. Danach sind die deutschen Jugendlichen dran. Sie geben St. Martins-Lieder zum Besten und führen anschließend noch einen Spitzentanz auf. Letzterer führt bei den Bangladeschis zu zahlreichen "ohs" und "ahs", offenen Mündern sowie freudig glänzenden Augen.
Die Begeisterung aller Zuschauer ist beinahe fühlbar und bereitet so manchem eine Gänsehaut. Wer sich bis jetzt von den Teilnehmenden aus Deutschland noch nicht in dieses Land mit seinen wunderschönen Farben und freundlichen Menschen verliebt hatte, um die oder den war das spätestens jetzt geschehen.